Thomas Gottschalks Autobiografie stand wochenlang auf den Bestsellerlisten. Das hat seinen Grund: Sie erleben nicht nur Stories und Anekdoten von Stars und Sternchen, sondern einen faszinierenden Einblick ins Showgeschäft, der weit über "Wetten, dass..." hinausgeht.
Jahrelang hat sich Thomas Gottschalk vor einer Autobiografie geradezu gedrückt, und das ist gut so: In "Herbstblond" erlebt der Leser einen gereiften Menschen, der trotz allen Rummels um seine Person seine eigenen Schwächen nicht nur einschätzen kann, sondern auch ganz offen damit umgeht. Den Vorwurf der Dampfplauderei und schlechten Interview-Stils räumt Gottschalk ganz offen ein und spielt geradezu damit; ebenso wie seine von ihm empfundene mangelnde Bildung insbesondere bei Begegnungen mit Marcel Reich-Ranicki. Dass Gottschalk durchaus gebildet ist, liest man aus dem Buch trotzdem heraus.
Von Kulmbach zum Lerchenberg
So erzählt Thomas Gottschalk zunächst von seinen Anfängen im bayrischen Kulmbach, seinen Abenteuern als Ministrant der Stadtpfarrkirche "Zu unserer lieben Frau" und von seiner Zeit als Schüler des Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasiums. Nach ersten Versuchen als DJ und bei Lokalzeitungen kommt er endlich die erste Radiosendung. Später darf er erste kleine TV-Sendungen machen, ehe er von der BILD zum Show-Titan befördert wird. Diese Erinnerungen sind gespickt mit Anekdoten und heiteren Episoden, in denen Thomas Gottschalk allerdings niemanden bloß stellt. Ganz nebenbei entführt Gottschalk in eine zu Beginn von bürokratischen Mief geprägte öffentlich-rechtliche Fernsehlandschaft und beschreibt, wie der Siegeszug der privaten Fernsehsender und vor allem des Internets alles verändert.
Genau das ist eines der Hauptthemen und nicht etwa nur flüchtige Anekdoten: Thomas Gottschalk analysiert mit ungeheurer Zielsicherheit die gegensätzlichen Interessen im Medienrummel. Selten hat jemand den Wahnsinn eines Shootings auf dem roten Teppich so treffend beschrieben. Wenn man sich wundert, was im ZDF-Hauptquartier am Lerchenberg abgeht, dann erzählt Gottschalk nicht, sondern er führt den Leser förmlich ins Gebäude hinein. Ebenso nah dran ist man, wenn Gottschalk über den Unfall von Samuel Koch erzählt, oder wie er von einem Titanic-Redakteur mit der Buntstift-Wette geleimt wurde. Überhaupt gehört die Schilderung von Pleiten, Pech und Pannen bei der TV-Show zu den Highlights des Buchs.
Herbstblond: Eine Chronik deutscher TV-Geschichte
Aber Thomas Gottschalk setzt überhaupt nicht auf Effekthascherei. Man kann natürlich zwischen den Zeilen lesen, dass sich der Show-Titan nicht gerade mit dem Pop-Titan versteht und er auch kein Fan von Reality-Formaten ist. Wirkliches Geläster liest man nie - allenfalls begründetes, fundiertes Entsetzen über eine Medienwelt, die für Thomas Gottschalk längst aus den Fugen geraten ist.
Fazit: "Herbstblond" ist ein hervorragend lesbare, stets mit süffisant-ironischem Unterton verfasste Chronik nicht nur des Lebensweges von Thomas Gottschalk selbst, sondern der Entwicklung der gesamten deutschen Fernseh- und Medienlandschaft der letzten 40 Jahre. Ein Muss - und zwar ausdrücklich auch für Fernseh-Muffel.
Für wen eignet sich´s? Die Autobiografie von Thomas Gottschalk wendet sich im Grunde an jeden, der "Wetten, dass..." kennt, ist aber auch absolut aktuell. So wird nicht nur die graue Medien-Steinzeit beleuchtet, sondern aktuelle Ereignisse noch aus dem vergangenen Jahr. Gottschalk geht für jeden.
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