„Das Lächeln am Rand der Welt“ (Auszüge aus dem gleichnamigen Roman) „Das Lächeln am Rand der Welt“ (Auszüge aus dem gleichnamigen Roman)

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Miriam in Muxia, am Rand der Welt


Die Gischt sprühte ihr in kurzen Abständen ins Gesicht und der Wind zerrte an ihrem Friesennerz und der wasserdichten Fischerhose. Der dicke Rollkragenpullover aus ungewaschener Schafswolle, den sie unter dem Regenmantel trug, hielt Miriam warm. Das Fischerboot pflügte gleichmäßig, in stetem Schaukeln, durch die Wellen. Miriam stand breitbeinig vor dem Ruderhaus, nah am Bug, und genoss die Fahrt. Mit der rechten Hand hielt sie sich an einem gespannten Tau fest. Ab und zu verlagerte sie ihr Gewicht von einem Bein auf das andere, um das Schwanken auszugleichen. Das Piratenlied aus der Schatzinsel ging ihr durch den Kopf und sie sang „Fünfzehn Mann auf des Toten Mannes Kiste“ aber der Wind riss ihr das Lied von den Lippen. Egal. Es war wunderbar, es war aufregend und es war irgendwie sogar romantisch. Sie fühlte sich sehr verwegen. Alvaro tauchte neben ihr auf und grinste sie an. „Respekt!“ sagte er. „Du bist absolut seefest.“ Dann deutete er mit dem Finger auf eine Felsformation, die aus dem Wasser aufragte. „Dahinter wird’s ruhiger, da ist das Meer nur fünf bis fünfzehn Meter tief. Aber kalt, wegen der Strömung. Ideal für Hummer.“ „Fischt ihr oft nach Hummern?“ Er grinste wieder. „Wir kommen einmal die Woche hier raus, um die Hummerfallen zu überprüfen. Das reicht. Unser Schwerpunkt liegt ja doch beim Pulpo. Aber der Hummer macht nicht viel Arbeit und ist ein gutes Nebengeschäft.“ „Ihr wart heute früh schon draußen, oder?“ Er nickte. „Seit heute früh um drei. Mein Abuelo meinte immer, Pulpo fängt man am besten nachts und am frühen Morgen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, ob das noch stimmt, so wie wir mit den Reusen den Pulpo fangen. Aber das Licht der Boote macht die Fische neugierig. Und den Pulpo ebenso.“ Das Boot fuhr nun langsamer und Alvaro deutete auf mehrere rotleuchtende Bojen. „Da sind die Hummerfallen.“ Gael, Alvaros Bruder, kam aus dem Ruderhaus nach vorn zum Bug. So wie sein Bruder hatte er lockiges, dunkles Haar und einen dichten Vollbart. Zwischen den Zähnen klemmte ein glimmender Zigarillo. „Übernimm du das Ruder, Hermano. Ich kümmere mich um die Fallen.“ Der Dieselmotor tuckerte jetzt nur noch leise, als Alvaro ruhig auf die Hummerreusen zusteuerte. Miriam setzte sich auf einen Stapel Taue und beobachtete Gael, wie er mit einem Bootshaken die Bojen heranzog, nach den Tauen griff und die Hummerfallen nach oben holte. In den meisten befanden sich kräftige, große Hummer. Alles was kürzer als sein Unterarm war, warf er wieder ins Wasser. „Die müssen noch ein wenig wachsen“ brummte er. Bevor er die Hummer in Meerwassergefüllte Kisten legte, zog er ihnen Gummibänder über die Scheren. „Damit sie sich nicht gegenseitig umbringen in der Kiste“, erklärte er. „Die haben manchmal einen Hang zum Kannibalismus.“ „Gibt es hier draußen auch Pulpo?“ fragte Miriam. „Hier nicht, oder besser, kaum. Das ist auch gut so. Pulpos sind clevere, verfressene Biester. Die räumen einem Fischer mal ganz schnell eine Reuse leer oder plündern ein Netz. Da muss man aufpassen.“ Er zog eine weitere Reuse hoch. „Hey, Alvaro!“ rief er und schwenkte eine Languste von der Länge eines Männerarms. „Das Abendessen wird edel heute!“ Miriam lächelte und sah Gael weiter zu. Zwei Dutzend Hummer und drei Langusten später bestückte Gael die Hummerkörbe mit Ködern und warf sie in hohem Bogen wieder ins Wasser, während Alvaro das Boot langsam rund um ihr Fanggebiet tuckern ließ. Er schob den Kopf aus dem Ruderhaus. „Miriam! Ist dir nicht kalt?“ Sie zog die Wollmütze etwas tiefer in die Stirn und grinste. „No! Todo va bien!“ Sie genoss es draußen auf dem Meer zu sein, den Wind und die Kraft der Wellen zu spüren.

Es hätte schon stark stürmen müssen, bevor sie unter Deck oder ins Ruderhaus gegangen wäre. Sie hielt das Gesicht in den Wind, atmete die saubere Meeresluft ein und fühlte sich einfach lebendig. Zurück im Hafen von Muxiá legte die Jimena, das Fischerboot, an der Mole an. Gael vertäute das Boot und half Miriam galant von Bord. „Kommst du heute Abend zum Essen? Pilar macht sicher was Besonderes mit den Langusten!“ Er dreht sich zu Alvaro um. „Hermano, glaubst du, du kannst Pilar zu einer Caldereta überreden?“ Alvaro grinste und hob den Daumen. Als Miriam sich Richtung Stadt wandte, hielt Gael sie auf. „Moment Matrose. Jetzt gehen wir erst mal was trinken.“ Die Hummer wurden bereits von ein paar Männern der Lonxa auf einen kleinen Transporter geladen. Alvaro kam ebenfalls von Bord, eine Styroporkiste im Arm, in der sich die vier Langusten befanden. „Ich bringe das kurz bei Pilar vorbei und komme nach“, sagte er. Gael umfasste Miriams Schulter und dirigierte sie zu einer Bar, schräg gegenüber dem Hafen, neben der Bushaltestelle. „Was ist eine Caldereta?“ fragte sie. Gael lachte. „Unsere Großmutter, Abuela Jimena, war Mallorquinerin. Und die Caldereta de Langosta war ihr Feiertagsrezept. Was Besseres kann man aus Langusten kaum machen. Ein phantastischer, würziger Krustentiereneintopf. Mit Tomaten, Zwiebeln, Knoblauch…und einer sensationellen Fisch und Hummer Brühe. Pilar hat ja immer einen guten Fonds auf Vorrat. Und den verbessert sie dann noch mit den Carcassen der Langusten. Du wirst begeistert sein!“ Miriam lächelte. Sie mochte die lebensfrohe Art von Alvaros jüngerem Bruder. Er hatte etwas an sich, dass die Menschen für ihn einnahm. Das angenehme Äußere und seine unkomplizierte, fröhliche Art machten es leicht, ihn zu mögen. Die Kneipe war schlicht, die Tische aus Holz mit Resopalplatten, die Wände schmucklos, mit Ausnahme eines Kalenders, eines verblichenen Schwarz-Weiß Fotos und des unvermeidlichen Fernsehers, auf dem stumm ein Fußballmatch stattfand.

Sie setzten sich an den Tresen und der Wirt brachte ihnen unaufgefordert zwei Gläser Albariño. Er blickte Miriam mit der diskreten Neugier seines Berufsstandes an. Gael machte eine Hin-und her Geste, als er sie vorstellte. „Miriam, das ist Mateo, Mateo, ella es Doña Miriam. Nuestra monja de barco. 100% resistente al mar.“ Miriam knuffte ihn an der Schulter. „Ich geb dir gleich Bootsnonne, du Clown! Aber danke für das 100%seefest.“ Mateo reichte ihr die Hand und verbeugte sich dabei. „Willkommen in Muxiá.“ Er schaute sie beide an. „Mögt ihr eine Portion Pulpo?“ „Heute nicht, Pilar kocht.“ Mateo blickte verständnisvoll und nickte. Die Tür öffnete sich und Alvaro kam herein. Er setzte sich zu ihnen und wenige Sekunden später stand ebenfalls ein Glas vor ihm. „Und? Wie hat´s dir heute gefallen?“ „Fabelhaft, ich liebe es auf dem Meer zu sein. Sag mal, könnt ihr mich auch mal mit rausnehmen zum Pulpofang?“ Alvaro trank einen Schluck und schüttelte den Kopf. „Lieber nicht. Beim Pulpofischen geht´s ziemlich hektisch zu an Bord. Das ist mir zu riskant. Ich möchte ja nicht, dass du uns über Bord gehst.“ Miriam nickte. „Verstehe, kein Problem. Es hätte mich nur mal interessiert, wie das abläuft.“ Gael schmunzelte. „Das kann ich dir auch so erklären. Ich hab dir doch erzählt, dass die Pulpos verfressene Biester sind? Darum kann man sie nicht so fangen, wie wir Hummer fangen. So einem Hummer macht das wenig aus, wenn er eine Woche in der Reuse sitzt. Na ja, vielleicht ist er ein wenig angepisst, aber er kommt wochenlang ohne Nahrung aus. Aber die Kraken, die fressen alles, was ihnen vor den Schnabel kommt. Sogar ihre eigene Art. Darum dürfen sie nicht lange in der Falle bleiben, es könnte ein zweiter hineinschwimmen und schon ist Massaker.“ Er trank einen Schluck und blickte seinen Bruder an, der bestätigend nickte. „Also werfen wir die Pulpofallen an langen Leinen großflächig ins Meer, fahren ein Stück weiter und wiederholen das ein paarmal. Danach fahren wir wieder zurück zu den ersten Fallen und holen sie ein. Und das machen wir in einem ständigen Rhythmus ein paar Stunden lang. Ist ziemlich anstrengend und kann hektisch werden. Na ja, wenn wir dann die Pulpos an Bord haben, werden sie getötet. Das machen wir mit einem spitzen Holzstab, den wir ihnen in den Kopf rammen. Wenn man nicht schnell genug ist, kann es sein, dass sie ihre ganze Tinte verspritzen. Das gibt immer eine ziemliche Sauerei. Das passiert auch dann oft, wenn man ein Messer benutzt, statt des Holzstabs. Die Klinge schlitzt den Tintensack auf und schon ist wieder eine Riesenschweinerei an Bord. Es dauert ewig, bis man das von den Planken hat.“ Er signalisierte Mateo ihnen nachzuschenken. „Übrigens, hast Du gewusst, dass die Viecher drei Herzen haben? Der größte, den wir je herausgeholt haben, war fast drei Meter lang und hatte eine Spannweite von neun Metern.“ Alvaro nickt zustimmend und lachte. „Stimmt, den haben wir Mateo direkt verkauft. Er hat mehrere Stunden gebraucht, um das Riesenvieh weichzuklopfen. Stimmt’s Mateo?“ Mateo wandte sich um. „Que?“ „Der Riesenpulpo? Wie lange hast du gebraucht für den?“ Mateo verdrehte die Augen. „Erinnre mich bloß nicht daran, mir tat die ganze Woche alles weh, nachdem ich ihn weich hatte. Wenn du nochmal sowas fängst, verkauf ihn mir bitte nicht.“ Miriam lachte und schaute Mateo an. „Gibt es keine einfachere Methode, die Pulpos weichzukriegen?“ Mateo wiegte den Kopf hin und her. „Na ja, man könnte sie einfrieren, dann platzen die Proteinverbindungen auch. Aber das ist nicht dasselbe, finde ich. Wenn man sie ordentlich immer wieder auf den Küchentisch knallt oder so, dann werden sie am besten.“ Er lächelte und kümmerte sich weiter um seine anderen Gäste. Miriam lehnte sich zurück und trank einen weiteren Schluck des fruchtigen Weißen. Die Bar mochte nicht besonders hübsch sein, aber sie hatte Atmosphäre, fand sie. Was nicht zuletzt am Publikum lag, das vorwiegend aus einheimischen Fischern bestand. „Wie heißt die Bar eigentlich?“ fragte sie. Alvaro überlegte kurz. „Wenn ich es recht bedenke, die heißt eigentlich gar nicht. Draußen auf dem Schild steht einfach nur Bar und darunter Estrella. Hier sagen alle nur wir gehen zu Mateo.“

Ein älterer, graubärtiger Fischer ging an ihnen vorbei und winkte ihnen knapp zu. Er trug eine klassische Seemannsjacke aus dunkelblauem Filz und eine Strickmütze. Ein goldener Ohrring blitzte zwischen den grauen Haaren hervor, die seine Ohren fast verdeckten. Er humpelte leicht auf einem Bein. Alvaro und Gael nickten ihm zu. „Hasta luego, Nacho!“ „Wer war das?“ fragte Miriam. „Nacho? Nacho ist auch ein Fischer. Kann mich kaum erinnern, dass er nicht hier war. Ziemlich wortkarg, seit seine Frau gestorben ist. Aber ein guter Kerl und Fischer.“ „Eine beeindruckende Erscheinung.“ Miriam hielt drei Finger hoch und signalisierte Mateo noch einmal nachzuschenken. „Jetzt fühl´ ich mich wirklich wie im Admiral Benbow.“ „Wie im was bitte?“ Miriam lachte. „Hast du nie die Schatzinsel gelesen, Gael? Die Isla de tesoro, von Robert Louis Stevenson?“ „Doch klar, als Junge. Ach so,…du meinst die Kneipe, die Jim Hawkins Mutter gehörte, dort wo er auf Long John Silver trifft.“ Er grinste. „Ja, da hast du gar nicht unrecht, wenn Nacho so an einem vorbeihumpelt, überall Fischer und Seeleute…sieht ganz so aus, als hättest du eine romantische Seele.“ Miriam lachte wieder und hob ihr Glas. „Worauf du einen lassen kannst, Chico!“ Alvaros Telefon klingelte. „Si Cariña? …. Si, claro. Cuanto más, mejor! … ¿A las ocho? Muy bien, besito!” Er prostete Miriam und Gael zu und grinste. “Abendessen um acht, die Langusten sind so groß, dass Pilar gleich mal ein paar Leute eingeladen hat.“ Miriam trank noch einen Schluck des frischen Albariño und blickte auf ihre Timex. „Sehr gut, dann kann ich ja noch Siesta machen!“



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