Perry Anderson - "Hegemonie" Die allerschönste Abhängigkeit!

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Perry Anderson schreibt mit "Hegemonie - Konjunkturen eines Begriffs" eine akribische Analyse und fordert die Konfrontation mit Begrifflichkeiten. Quelle: Suhrkamp / Insel Verlag

Der marxistische Historiker Perry Anderson hat ein Buch über einen derzeit wieder in Mode gekommenen Begriff geschrieben: "Hegemonie" lautet der Titel des Buches. Eine ambitionierte, begriffsgeschichtliche Analyse.

Da sich Begrifflichkeiten und deren Deutungen im Laufe der Zeit (und aufgrund der Zeit) ändern, ist es ratsam, alle Jahre wieder eine Art Ausmistungs-Aktion vorzunehmen, um somit eine klarere Vorstellung davon zu bekommen, wie Begriffe gemeint und eingeordnet werden können. Wie solch eine Ausmistungs-Aktion vonstatten gehen kann, zeigt uns der marxsistische Historiker Perry Anderson, der sich in seinem neuen Buch "Hegemonie" mit ebendieser beschäftigt. Anderson zeigt uns, was begriffliche Klarheit bedeutet und welchen Veränderungen - gerade im Bereich der politischen Auseinandersetzung oft vorgebrachte - Terminologien unterworfen sind.

Wir, eine Gemeinschaft

Grundsätzlich wird als hegemonial eine Staatsmacht bezeichnet, die nicht zuletzt dadurch dominiert, dass sie erklärt, am deutlichsten für eine gemeinsame Sache zu kämpfen und diese auch am kräftigsten durchsetzen zu können. Anderson durchkämmt beispielhaft und ambitioniert die Geschichte: Athen unter den griechischen Statsstaaten, Preußen im kleindeutschen Bund, die Bolschewiken bei der Abschaffung der russischen Monarchie und schließlich die Vereinigenten Staaten, die - in Bezug auf die westliche Demokratie und ihren Ressourcenbedarf - für lange Zeit eine Vorherrschaftsstellung einnahmen. In all diesen Beispielen kann man beobachten, wie neben der militärischen Komponente auch die Produktion von wahrgenommenen Vorteilen eine besonders wichtige Rolle spielt. Der Hegomon muss den von ihm Beherrschten den Eindruck vermitteln, dass deren Unterwürfigkeit mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringt. Solange diese Illusion in diversen Bereichen (im Kulturellen, im Ökonomischen, im Militärischen) aufrechterhalten werden kann, ist die Vorherrschaftsstellung gesichert.

Anderson legt im Zuge seiner Begriffsanalyse eine Fachkundigkeit an den Tag, welche dem Leser nur selten geboten wird. Der Autor scheint jede sich mit den Hegemonie-Begriff befassenden Schrift gelesen zu haben, die ab der Mitte des neunzehnten Jahrhunders geschrieben wurde. Besondere Beachtung findet der italienische Philosoph Antonio Gramsci, der, so Anderson, Anfang der zwanziger Jahre "...zum ersten Mal so etwas wie eine systematische Theorie des Begriffs..." der Hegemonie verfasst hatte. Dementsprechend wird die gesamte Gramsci-Rezeption im Buch aufgenommen und leitfadenartig verfolgt.

Gründliche und Klar

Anderson geht es in erster Linie um die nachvollziehbare Verortung eines Begriffes. Und dazu gehören auch begrifflich exakt bestimmte Absonderungen, wie beispielsweise die Absonderung der Hegemonie von Usurpation. Klar wird dabei, dass dieser recht schwierig zu fassende Begriff nicht auf "irgendein Verhältnis zwischen Macht und Gewalt" reduziert werden kann, da, wie Anderson klar macht, hinter einer Begriffspolitik auch immer eine Machtpolitik steckt. Hier wird Andersons Werk lehrreich. Nicht nur aufgrund der immensen Kenntnisse, die der Autor mit dem Leser teilt, sondern ebenso sehr in der Erinnerung daran, dass vernebelnden Beschreibungen immer ein Unkenntlich-Machen gewisser (Macht)Strukturen zugrunde liegt. Begriffe werden produziert oder im propagandistischen Sinne umgedeutet. Die Deutungshoheit geht dabei immer von einem Machtgefüge aus. So bemerkt Anderson auch, dass die Sprache der Politik in jeder Epoche zum Euphemismus neigt, da jene, die Macht besitzen oder nach ihr streben, "ihre Karten nie gänzlich aufdecken wollen."

Auch wenn er sichtlich darum bemüht ist in seiner Analyse rational und unparteiisch zu bleiben, kommt Anderson doch nicht umhin, ein Stück weit gegen den heuschlerischen Charakter der westlichen Welt anzuschreiben. Die Vorstellung aber, die Dinge ohne weiteres ändern zu können hält er für naiv. Andersion ist Realist, kein Utopist. Seine Waffe ist nicht die revolutionäre, alles entwurzelnde Idee, sondern die genaue Benennung und Herleitung der Misstände. In diesem Sinne könnte eine aus "Hegemonie" zu schließende Aufforderung lauten: Ergebt euch nicht dem blendenden Licht der systematisch angelegten Verkomplizierungen! Wägt ab! Als Beispiel geht Perry Anderson hier selbst voraus.

Perry Anderson, Hegemonie - Konjunkturen eines Begriffs; Suhrkamp, 2018, 249 Seiten, 18 €




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