Der geschenkte Gaul: Bericht aus einem Leben von Hildegard Knef

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Der geschenkte Gaul, 1970 erschienen, verweigert die klassische Autobiografie. Das Buch ordnet nicht, es glättet nicht, es erklärt sich nicht selbst. Knef erzählt ihr Leben nicht chronologisch, sondern tastend, in Rückblenden, in Verdichtungen. Erinnerung steht neben Erinnerung, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Der Text bewegt sich, wie das Leben sich bewegt hat: sprunghaft, unterbrochen, offen.

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Der geschenkte Gaul: Bericht aus einem Leben | Die Neuausgabe der Autobiografie von Hildegard Knef zu ihrem 100. Geburtstag

Kindheit, Krieg, Nachhall

Geboren 1925, aufgewachsen in Berlin, erlebt Knef den Nationalsozialismus als Kind und Jugendliche. Bombennächte, Zerstörung, frühe Verluste sind Teil des Textes, aber nie als historische Kulisse ausgestellt. Sie tauchen auf, knapp und unaufgeregt. Geschichte wird nicht erklärt, sondern mitgetragen.

Öffentlichkeit als Zustand

Nach dem Krieg folgt der schnelle Aufstieg. Film, Bühne, Öffentlichkeit. Erfolg erscheint bei Knef nie als Ziel, sondern als Zustand mit Nebenwirkungen. Sie schreibt über Ruhm ebenso wie über das Scheitern in Hollywood, über Erwartungen, die von außen kommen, und über das dauerhafte Gefühl, nicht ganz dazuzugehören. Der Ton bleibt kontrolliert. Keine Abrechnung, keine Selbstverteidigung. Stattdessen eine präzise Beobachtung dessen, was Sichtbarkeit kostet.

Ein brüchiges Ich

Formal ist der Text von Offenheit geprägt. Perspektiven wechseln, das erzählende Ich bleibt brüchig, manchmal widersprüchlich, gelegentlich sarkastisch. Knef verzichtet auf Selbststilisierung. Sie zeigt Ehrgeiz, Scham, Verletzbarkeit, ohne sie zu erklären oder zu entschuldigen. Gerade diese Weigerung, sich festzuschreiben, macht die literarische Qualität des Buches aus.

Erfolg und Irritation

Bei seinem Erscheinen wird Der geschenkte Gaul ein großer Publikumserfolg. Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste, Übersetzungen in siebzehn Sprachen. Zugleich irritiert das Buch. Kritiker stellen fest, dass dies keine Autobiografie im herkömmlichen Sinn ist. Zu offen, zu wenig ordnend, zu nah an der Person. Der Begriff Autofiktion existiert noch nicht – und mit ihm fehlt der Schutzraum, den spätere Autorinnen und Autoren haben werden.

Schreiben ohne Schutzraum

Knef schreibt ohne Rückversicherung. Sie legt Einsamkeit offen, Scham, den Preis der Öffentlichkeit. Sie tut das als prominente Frau in einer Zeit, in der genau das als Grenzüberschreitung gilt. Der Text wird gelesen, aber lange nicht als Literatur ernst genommen. Zu sehr ist die Autorin selbst Teil der öffentlichen Erzählung, zu präsent als Stimme, als Gesicht, als Projektionsfläche.

Eine überraschende Gegenwart

Aus heutiger Perspektive wirkt das Buch erstaunlich modern. Die fragmentarische Form, die Weigerung zur Glättung, das Schreiben gegen Erwartungshaltungen finden sich später bei Autorinnen wie Annie Ernaux oder in der autobiografischen Gegenwartsliteratur. Bei Knef ist all das bereits angelegt – ohne Theorie, ohne programmatische Geste.

Keine Lehre, keine Versöhnung

Der geschenkte Gaul ist kein Trostbuch. Es bietet keinen Abschluss. Am Ende steht keine Lehre. Was bleibt, ist eine Haltung: das eigene Leben nicht zu verklären, aber auch nicht zurückzuweisen. Es anzusehen, wie es ist. Und es als literarisches Material ernst zu nehmen.


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