Ein sportlicher Junge im Rollstuhl, ein Freund mit Sehschwäche, ein Professor mit fragwürdigem Maschinenpark – und mittendrin eine Welt, in der Träume nicht nur flüchtige Nachtphantasien sind, sondern hochgradig gefährdetes Territorium. Mit „Aufbruch nach Deseo“ beginnt Markus Heitz eine Trilogie, die junge Leser in eine phantastische Parallelwelt entführt – und ganz nebenbei die Grenzen von Körper, Vorstellungskraft und Genre aushebelt.
Dass der Held dieser Geschichte nach einem BMX-Unfall buchstäblich ausgebremst ist, stört ihn weniger, als es die Erwachsenenwelt vermuten lässt. Finn kann nämlich träumen. Und zwar nicht einfach so – sondern aktiv, lenkend, bewusst. Eine Fähigkeit, die in seinem Fall nicht nur Trostpflaster ist, sondern Eintrittskarte in eine ganz andere Realität.
Worum geht’s in Die Traumgänger – Aufbruch nach Deseo
Finn sitzt im Rollstuhl, seine Mutter sitzt in der Überfürsorge, und sein bester Freund Linus sitzt auf der Ersatzbank – wegen starker Kurzsichtigkeit. Gemeinsam beobachten sie den Sportunterricht aus sicherer Entfernung und erzählen sich Geschichten. Nur dass Finns Geschichten keine bloßen Erfindungen sind, sondern Teil einer Traumwelt, in der er nicht nur wieder laufen, sondern auch handeln kann.
Eines Nachts trifft er dort auf Sanja – ein Mädchen mit schwarzem Outfit, blauer Sonnenbrille und eindeutig mehr Ahnung vom Träumen als der Rest der Menschheit. Ihre Eltern sind verschwunden. Entführt von Mrak, dem selbsternannten Herrscher des Albtraumlandes. Und wie das so ist mit Herrschern, die nur Dunkelheit kennen: Sie wollen mehr. Mehr Macht, mehr Einfluss, mehr Albträume für alle.
Sanja ist überzeugt, dass die Traummaschine, irgendwo im Haus eines sonderbaren Professors, nicht nur mit ihrem Verschwinden, sondern mit dem zunehmenden Chaos in den Traumwelten zu tun hat. Gemeinsam mit Finn versucht sie, dem Ursprung der Störungen auf die Spur zu kommen – und landet schließlich in Deseo, dem Lager der Traummacher. Dort könnten Hinweise auf das Schicksal ihrer Eltern verborgen sein – oder neue Gefahren, denen selbst ein Traumgänger kaum gewachsen ist.
Einschätzung zu: Die Traumgänger – Aufbruch nach Deseo
Markus Heitz nutzt vertraute Versatzstücke – das Kind mit Handicap, die fantastische Gabe, die geheime Mission – ohne sie in Klischees zu verramschen. Statt Mitleid bekommt Finn Handlungsspielraum. Statt einer moralischen Erweckungsgeschichte entfaltet sich eine temporeiche Erzählung, die mit jedem Kapitel mehr Traumlogik wagt.
Dass hier nicht alles erklärbar ist, gehört zum Konzept. Traumwelten müssen keine Baupläne liefern – sie sollen zum Erkunden einladen. Das tut „Aufbruch nach Deseo“ mit spürbarer Lust an der Fantasie und einer Prise wohldosierten Grusels. Die Gefahr, die von Mrak ausgeht, bleibt eher atmosphärisch als explizit. Bedrohung wird hier nicht durch Gewalt, sondern durch Kontrollverlust erzeugt – ein Gefühl, das vielen Kindern nicht ganz unbekannt sein dürfte.
Die Illustrationen von Isabeau Backhaus treffen den Ton des Textes treffsicher. Mal verspielt, mal düster, stets in Bewegung – sie begleiten die Geschichte, ohne sie zu illustrieren, wie man es aus Schulbüchern kennt. Vielmehr setzen sie eigene Akzente, die Lesende zum Innehalten und Weiterträumen einladen.
Der Sprachstil ist klar, ohne platt zu werden. Die Dialoge tragen die Geschichte, die Kapitel sind kurz, die Spannung hoch, der Humor fein dosiert. Und wer sich lieber vorlesen lässt, findet in Simon Jäger einen Sprecher, der der Geschichte genau das richtige Maß an Energie, Tempo und Zwischentönen verleiht – jugendlich, aber nicht aufgesetzt.
Lohnt es sich Die Traumgänger – Aufbruch nach Deseo zu lesen?
„Aufbruch nach Deseo“ ist kein pädagogisches Projekt mit Fantasy-Mantel, sondern ein echter Einstieg in eine Traumwelt, die sich nicht anbiedert. Mit einem Helden, der nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Einschränkungen interessant ist. Mit Figuren, die sich entwickeln dürfen, ohne ihr Geheimnis zu verlieren. Und mit einem Szenario, das das Zeug hat, junge Leser für eine ganze Trilogie lang zu begleiten.