Träumen als Flucht? Oder als Kampfzone? Markus Heitz’ Traumgänger-Trilogie erzählt von beidem – und liefert jungen Leserinnen und Lesern zugleich ein mitreißendes Abenteuer, das sich wohltuend vom Üblichen absetzt. In einer Welt, in der Träume nicht nur Zufallsprodukte des Unterbewusstseins sind, sondern systematisch gesteuert, gespeichert und – im schlimmsten Fall – manipuliert werden können, stellt sich ein ungewöhnliches Trio gegen einen Herrscher, der Albträume zur Norm machen will.
Im Mittelpunkt steht Finn, ein Junge, der nach einem Unfall im Rollstuhl sitzt – aber gerade dadurch das Träumen neu für sich entdeckt. Sanja, geheimnisvoll, fordernd, mutig, wird zur Verbündeten, Linus, ihr gemeinsamer Freund, zur Stimme der Skepsis – und des Humors. Diese Konstellation funktioniert, weil Heitz seinen Figuren Raum lässt, statt sie bloß als Funktionen zu führen. Auch sprachlich bleibt die Trilogie klar und zugänglich, ohne zu vereinfachen. Es wird ernst, ohne schwer zu werden, spannend, ohne Effekthascherei.
Die Traumwelt selbst ist vielschichtig, überraschend und entwickelt sich mit jeder Seite weiter: von der fast märchenhaften Welt Deseo über das flirrend-fremde Hellenia bis zum düsteren Dunkelion. Illustrationen von Isabeau Backhaus flankieren die Erzählung stimmungsvoll, das Hörbuch von Simon Jäger verstärkt zusätzlich die immersive Wirkung.
Markus Heitz gelingt mit dieser Trilogie ein Spagat, an dem viele scheitern: Er unterhält – und erzählt dabei von Selbstbestimmung, Freundschaft, Verlust und Mut. Ohne Pathos, ohne pädagogischen Zeigefinger – und mit einem Ende, das nicht abschließt, sondern nachhallt. Eine Traumreise, die sich zu lesen lohnt – für Kinder ab 8, aber auch für Erwachsene mit einem Rest Neugier.
Band 1: Aufbruch nach Deseo
Der Auftakt bringt einen Helden ins Spiel, der sich nicht bewegt – jedenfalls nicht körperlich. Finn sitzt nach einem Unfall im Rollstuhl, aber in seinen Träumen ist er frei. Diese Träume sind mehr als bloße Eskapaden: Sie sind bewusst gesteuert und bald auch gezielt genutzt, denn als er auf Sanja trifft, beginnt ein Abenteuer mit echtem Risiko. Deseo, das Land der Traummacher, wird zur Bühne für eine Geschichte, die zwischen Fantasie und Alltagswirklichkeit pendelt. Heitz gelingt es, mit Finn eine Hauptfigur zu entwerfen, die Stärke nicht durch Überlegenheit, sondern durch Beharrlichkeit zeigt. Auch die Freundschaft mit Linus, dem etwas spröden Realisten, sorgt für kluge Bodenhaftung. Sanja hingegen bringt Tempo, Rätselhaftigkeit und eine gewisse Coolness ins Spiel. Das Zusammenspiel funktioniert – getragen von einer schnörkellosen, gut lesbaren Sprache. Ein starker Start, der eine Welt eröffnet, in der Träume zugleich Schutzraum und Schlachtfeld sein können.
Band 2: Verschollen in Hellenia
Mit dem zweiten Band öffnet sich die Geschichte in mehrere Richtungen: In Hellenia, einer neuen, brüchigen Traumwelt, stranden Finn und Sanja, weil sie die Warnung des Professors ignoriert haben. Ihre Traumsteine zerbrechen, der Rückweg ist versperrt. Zeitgleich beginnt in der Realität das eigentliche Problem: Die Traummaschine spielt verrückt und zieht albtraumhafte Kreaturen nach Buchstrand. Der Wechsel zwischen Traum- und Wirklichkeitsebene ist präzise komponiert – nie verwirrend, aber stets spannungssteigernd. Die Figuren gewinnen an Tiefe: Sanja bleibt kantig, Finn ringt mit Verantwortung, Linus wächst in seiner Rolle. Besonders der Professor, bisher ein skurriler Nebenakteur, tritt stärker ins Zentrum – und mit ihm das Thema: Wie sehr ist unser Schlaf eigentlich noch unser eigener? Sprachlich bleibt Heitz klar und zielgruppenorientiert, aber ohne Anbiederung. Verschollen in Hellenia ist mehr als eine Fortsetzung – es ist die Ausweitung eines Kosmos, der sich zunehmend als vielschichtiges Denkspiel mit Emotion entfaltet.
Band 3: Aufruhr in Dunkelion
Der Abschlussband der Trilogie zieht alle Fäden zusammen – und das mit Tempo. Finn, Sanja und Linus begeben sich auf eine gefährliche Reise direkt in das Herz der Dunkelheit: Dunkelion, das Reich Mraks, des Herrschers über Albträume. Die Traummaschine steht kurz vor dem Kollaps, finstere Gestalten dringen in die Realität ein, und der Kampf um die Träume der Menschheit wird zum Kampf um Selbstbestimmung und Hoffnung. Mit Tante Extrana bekommt das Trio Unterstützung von einer herrlich exzentrischen Figur, während der Professor im Hintergrund verzweifelt um Stabilität ringt. Der Grusel bleibt kindgerecht, die Bedrohung spürbar. Was bleibt, ist ein erzählerisches Kraftfeld: Heitz verabschiedet sich von der Reihe ohne Knalleffekt, aber mit einem poetischen Schlusspunkt, der seine Leser nicht zurücklässt, sondern weiterdenken lässt. Aufruhr in Dunkelion ist ein durchdachtes, emotional kraftvolles Finale, das der Trilogie einen würdigen Abschluss verleiht – und ihre Kernthemen noch einmal verdichtet: Träumen heißt, sich zu wehren.
Was liefert die Traumgänger-Trilogie?
Was diese Trilogie auszeichnet, ist nicht nur ihre Fantasie, sondern der Mut, den sie ihren jungen Figuren – und damit auch den Lesenden – zutraut. Finn, Sanja und Linus sind keine Superhelden, sondern Kinder mit Zweifeln, Fehlern und begrenzten Möglichkeiten. Doch genau daraus ziehen sie ihre Kraft: aus der Freundschaft, die hält, wenn alles unsicher wird; aus der Vernunft, die auch dann noch mitdenkt, wenn das Herz schneller schlägt; und aus dem Ziel, das größer ist als sie selbst. Hier geht es nicht nur ums Träumen, sondern ums Dranbleiben – an sich, am anderen, an der Hoffnung. Und das ganz ohne falsche Heldenpose. Wer einmal mit Finn durch Deseo gelaufen ist, mit Sanja durch Hellenia geflüchtet ist und mit Linus den Rückweg gesucht hat, wird wissen: Lesen kann Abenteuer sein – und Freundschaft, Mut und Fantasie fangen oft dort an, wo die Wirklichkeit eine Pause macht.
Über den Autor Markus Heitz
Markus Heitz, geboren 1971 in Homburg (Saar), zählt seit Jahren zu den prägenden Stimmen der deutschsprachigen Fantasy. Mit Reihen wie Die Zwerge oder Ulldart hat er das Genre für ein breites Publikum geöffnet – oft düster, stets erzählerisch präzise. Dass er nun mit den Traumgängern ins Kinder- und Jugendbuch gewechselt ist, zeigt weniger eine Kehrtwende als eine Erweiterung: Auch hier geht es um Welten im Umbruch, um das Ringen zwischen Licht und Schatten – nur eben auf Augenhöhe mit jüngeren Leserinnen und Lesern. Heitz gelingt es, Spannung zu erzeugen, ohne zu überfordern, und Fantasie zu wecken, ohne in Kitsch zu kippen. Seine Bücher sind vielgelesen, oft gehört – und in diesem Fall besonders gut geeignet für alle, die wissen wollen, was Träumen mit Mut zu tun hat.