Das am 11. Januar 2019 im Carl Hanser Verlag erschienene Buch Stella von Takis Würger löste von Anfang an intensive Debatten aus. Der renommierte Verlag, bekannt für seine hochwertige Literatur, veröffentlichte ein Werk, das die historische Figur Stella Goldschlag in den Mittelpunkt stellt – eine Jüdin, die im nationalsozialistischen Berlin zur Kollaborateurin der Gestapo wurde. Die Geschichte verwebt reale historische Ereignisse mit fiktiven Elementen und fordert den Leser heraus, sich mit einem der moralisch komplexesten Dilemmata dieser Zeit auseinanderzusetzen: dem Verrat von Juden, um das eigene Leben zu retten.
Ambivalente Figuren und menschliche Entscheidungen unter extremem Druck
Takis Würger gelingt es in Stella, die Ambivalenz seiner Figuren eindrucksvoll darzustellen. Die Figur der Stella Goldschlag wird weder als reines Opfer noch als gnadenlose Verräterin porträtiert. Stattdessen entwickelt sie sich zu einer vielschichtigen Persönlichkeit, die in Zeiten extremer Unterdrückung und Gewalt moralisch fragwürdige Entscheidungen trifft. Diese Entscheidungen, die auf dem verzweifelten Wunsch basieren, ihr eigenes Überleben und das ihrer Familie zu sichern, werfen ein Licht auf die menschliche Natur unter unmenschlichen Bedingungen.
Die Kritik am Buch: Würger rechtfertigt die Taten von Stella Goldschlag keineswegs, sondern versucht aufzuzeigen, wie Menschen unter Zwang, Angst und Verzweiflung zu solchen Entscheidungen getrieben werden. Stella fordert die Leser dazu auf, sich mit den psychologischen und moralischen Mechanismen des Überlebens während der Judenverfolgung auseinanderzusetzen, ohne vorschnell zu urteilen.
Historische Protokolle und persönliche Konflikte: Ein tiefes Eintauchen in die NS-Zeit
Eine Besonderheit von Würgers Erzählstil sind die kurzen Kapitel, die immer wieder durch historische Protokolle und Nachrichtenmeldungen unterbrochen werden. Dies verleiht dem Buch eine eindringliche Atmosphäre und gibt den Lesern einen Eindruck von den politischen und gesellschaftlichen Umständen der Zeit. Ereignisse wie die Deportation von Juden aus dem Ghetto von Litzmannstadt werden den persönlichen Konflikten der Protagonisten gegenübergestellt. Diese historischen Einschübe verstärken die Tragödie und vermitteln ein umfassenderes Bild des Holocaust, indem sie die Unmenschlichkeit des Naziregimes deutlich aufzeigen.
Stella Goldschlag: Ein Mensch der einfach überleben wollte?
Die Darstellung von Stella Goldschlag als komplexe Figur, die weder glorifiziert noch verteufelt wird, sorgt für moralische Kontroversen. Für viele Leser ist es schwer, die Geschichte einer Frau, die Juden verraten hat, ohne eindeutige Verurteilung zu lesen. Doch genau diese Ambivalenz macht den Roman zu einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit der Frage, wie weit Menschen unter extremen Bedingungen gehen, um zu überleben. Würger zeigt Stella nicht als "Monster", sondern als Mensch, der in einem System aus Angst, Zwang und Grausamkeit gefangen ist. Dies macht die Lektüre schwierig, aber auch äußerst wichtig, um die Komplexität der Holocaust-Geschichte zu verstehen.
Die Kontroverse um "Stella"
Die Frage, ob der Roman rechte Propaganda betreibt, ist unbegründet. Vielmehr zielt Würger darauf ab, die menschliche Natur und die Mechanismen des Überlebenskampfes in der NS-Zeit differenziert darzustellen. Stella mag in einer Zeit, in der klare moralische Urteile oft bevorzugt werden, nicht auf breite Zustimmung stoßen, doch das Buch bietet eine notwendige Komplexität, um das Unfassbare der Judenverfolgung und des Holocaust besser zu begreifen.
"Stella" – wichtige Auseinandersetzung mit dem Holocaust
Insgesamt ist Stella von Takis Würger ein Werk, das tief bewegt und zu intensiven Diskussionen anregt. Die Mischung aus historischen Fakten und fiktiven Elementen sowie die Darstellung der Protagonistin machen das Buch zu einer herausfordernden Lektüre, die sich nicht in einfachen moralischen Urteilen erschöpft. Es ist ein Roman, der uns an die extremen und schrecklichen Situationen erinnert, die das nationalsozialistische Regime für Juden und andere Verfolgte geschaffen hat. Stella bleibt kontrovers, aber gerade das macht das Buch zu einer wichtigen Stimme in der literarischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust und den moralischen Grauzonen menschlichen Handelns.
Topnews
Geburtstagskind im Oktober: Benno Pludra zum 100. Geburtstag
Das Geburtstagskind im September: Roald Dahl – Der Kinderschreck mit Engelszunge
Ein Geburtstagskind im August: Johann Wolfgang von Goethe
Hans Fallada – Chronist der kleinen Leute und der inneren Kämpfe
Ein Geburtstagskind im Juni: Bertha von Suttner – Die Unbequeme mit der Feder
Ein Geburtstagskind im Mai: Johannes R. Becher
Ein Geburtstagskind im April: Stefan Heym
Ein Geburtstagskind im März: Christa Wolf
Bertolt Brecht – Geburtstagskind im Februar: Ein literarisches Monument, das bleibt
Wie Banksy die Kunst rettete – Ein überraschender Blick auf die Kunstgeschichte
Ein Geburtstagskind im Januar: Franz Fühmann
Zauberberg 2 von Heinz Strunk
100 Jahre „Der Zauberberg“ - Was Leser heute daraus mitnehmen können
Oschmann: Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung“ – Umstrittene russische Übersetzung
Überraschung: Autorin Han Kang hat den Literaturnobelpreis 2024 gewonnen
PEN Berlin: Große Gesprächsreihe vor den Landtagswahlen im Osten
„Freiheitsschock“ von Ilko-Sascha Kowalczuk
Precht: Das Jahrhundert der Toleranz
Jenny Erpenbeck gewinnt Internationalen Booker-Preis 2024
Takis Würger: "Stella" - Abgas, Drogen, Geld, Macht, Prostitution, Stella, Stella, Stella
Percival Everett – Dr. No
Wachs – Anatomie eines unaufgeregten Widerstands
Daniel Kehlmanns The Director: Wenn Vergangenheit Gegenwart wird
Leon de Winter: Stadt der Hunde
Ein Buch, das uns lesen lässt, wie wir leben: „Wackelkontakt“ von Wolf Haas
Vom „Ritter Nerestan“ zu „Mädchen in Uniform“
„Hundert Jahre Einsamkeit“ von Gabriel García Márquez
Man kann auch in die Höhe fallen von Joachim Meyerhoff
zu lieben von Ulrike Draesner
Atlas: Die Geschichte von Pa Salt – Der finale Band der „Sieben Schwestern“-Saga enthüllt das lang gehütete Geheimnis
Monster von Nele Neuhaus – Ein düsterer Psychokrimi, der die Abgründe der Menschlichkeit offenlegt
Transit von Anna Seghers
„Verlorene Sterne“ von Tommy Orange: Eine Geschichte über Verlust, Identität und das Erbe der indigenen Bevölkerung
„Das Kalendermädchen“ – Fitzeks packender Psychothriller für die dunkle Jahreszeit
Aktuelles
Astrid Lindgren: Die Brüder Löwenherz
Herbst der Utopien – warum wir das Hoffen verlernt haben
Heart of the Damned – Ihr Versprechen ist sein Untergang von Julia Pauss –„Auf alle Diebe wartet der Tod. Nur auf mich nicht.“
Bonds of Hercules – Liebe das Monster in mir von Jasmine Mas – Wenn der Funke zur Fessel wird
Die Holländerinnen von Dorothee Elmiger – Aufbruch ins Offene: Wenn True Crime zur Fata Morgana wird
Leider Geil von Sophie Ranald – Vom „braven Mädchen“ zur eigenen Stimme
Das Haus meiner Schwester von Rebekah Stoke – Glitzer, Gier, Grenzen
„Herr Lehmann“ – Sven Regeners melancholisch-komisches Kneipenkonzentrat
Welcome Home – Du liebst dein neues Zuhause. Hier bist du sicher. Oder? von Arno Strobel – Wo Sicherheit endet und Paranoia anfängt
Sven Regener wird Mainzer Stadtschreiber 2026
Tucholsky – Mit 5 PS: Fast 100 Jahre Literatur auf Störgeräusch
Percival Everett – Dr. No
"Umbenannt"
Die Himmelsreisen des Träumers
Vea Kaiser: Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels
Rezensionen
Tolstoi: Krieg und Frieden
Falling Like Leaves von Misty Wilson – Herbstluft, Herzklopfen, Heimkehr