Im österreichischen Klagenfurt starteten gestern Vormittag die Lesungen der 46. Tage der deutschsprachigen Literatur. Vier Autoren und eine Autorin präsentierten der Jury und dem Publikum ihre Texte. Insbesondere der rumänischstämmige und in Berlin lebende Dichter Alexandru Bulucz konnte Überzeugen und erhielt viel Zuspruch. In seinem Text "Einige Landesgrenzen weiter östlich, von hier aus gesehen" umkreist er in lyrisch mäandernder Sprache die Begriffe Heimat, Herkunft und Verlust.
Der erste Lesetag des diesjährigen Bachmannpreis-Wettbewerbs scheint bereits einen ersten Favoriten hervorgebracht zu haben. Dem rumänischstämmigen Dichter Alexandru Bulucz gelang mit seinem Text "Einige Landesgrenzen weiter östlich, von hier aus gesehen" ein "unglaublich gelungenes Spiel mit der Sprache", wie Juroren Vea Kaiser einbrachte. Der Text rekonstruiere Phrasen und schaffe so Neukontextualisierungen. Juryvorsitzende Insa Wilke lobte darüber hinaus die komplexen syntaktischen Gefüge im Text. Für Klaus Kastberger werden hier Annahmen darüber, was Heimat und Herkunft bedeuten, grundsätzlich in Frage gestellt. Außerdem gehe der Text an die Grundlagen der Narration und fragt: "Wo beginne ich zu erzählen?" Philipp Tingler bemerkte indessen, dass man, bei aller Lyrik und Lyrikbegeisterung, nicht übersehen sollte, dass es durchaus einen "feinen Hauch von Konventionalität" im Texte gibt.
Autoren und Texte und Lesungen
Eröffnet wurde der erste Lesetag mit dem Text "Die königliche Republik" von Hannes Stein. Ein Text, der sich mit den zuschnürenden Schlingen von Verschwörungsmythen befasst. Im Mittelpunkt steht dabei ein ehemaligen Professor, der, nach der Veröffentlichung eines Buches über die polnisch-litauische Union, harsche Angriffe von linker Seite erhielt. Trotz aller Kritik glaubt er jedoch weiterhin an das Fortbestehen der Union, und sucht, einem Verschwörungstheoretiker nicht unähnlich, in sämtlichen Details - ob Fernsehen oder Glückskekse - nach geheimen Anspielungen und Botschaften. Die Jury nahm den Text wohlwollend, aber nicht übermäßig begeistert an. Vom Aufbau einer Gegenwelt war während der Diskussion die Rede. Klaus Kastberger erkannte im Texte eine Referenz auf die politischen Verhältnisse in den USA.
Eva Sichelschmidt war die einzige Autorin am Eröffnungstag. Mit "Der Körper meiner Großmutter" las sie einen Text, der Zerfall, Abschied, Hinauszögern und Verlust thematisiert. Im Zentrum steht die Spannung zwischen Enkelin und Großmutter sowie die grundverschiedenen Perspektiven auf ein und dieselben Phänomene, Abläufe und Gegenstände. Neben einigen bemerkenswerten Passagen entdeckte die Jury doch die ein oder andere Plattitüde im Text. Diese als "Kalendersprüche" bezeichneten Einlassungen wurden von den Jurymitgliedern mal als gewagtes Experiment, mal als störende Floskeln empfunden. Wie diese zunächst allzu flach erscheinenden Passagen im Bezug auf das Thema des Textes wirken sollen, darüber herrschte letztlich Uneinigkeit.
Leon Engler las den Text "Liste der Dinge, die nicht so sind, wie sie sein sollten". Darin fragt sich ein letztlich scheiternder Jungschauspieler, welche Person er eigentlich sein möchte. Auf einer Zugfahrt denkt er über deutsche Städte, gelbe Zähne und Menschen auf dem Land nach. Außenansicht und Innenperspektive verzahnen sich dabei auf humorvolle Art und Weise. Insa Wilke entdeckte Bachmann-Zitate und religiösen Verweise in Englers Text, der ihr durchaus gefiel. Brigitte Schwens-Harrant verwies darauf, dass hier jemand aus einer bestimmten Blase heraus schreibt, die er nicht zu durchbrechen vermag. Klaus Kastberger schloss sich dieser Kritik mehr oder weniger an und nannte den Text mit Blick auf Anna Baals Eröffnungslesung einen "Weißbrottext aus der Backstube der Konvention".
Den Abschluss des ersten Lesetages machte Andreas Moster mit seinem Text "Der Silberriese". Thematisiert wird hier die Rolle eines alleinerziehenden Vaters mitsamt den Schwierigkeiten, Ängsten und Verfehlungen. Der Protagonist, ein Leistungssportler der sich auf Olympia vorbereitet, wird von seiner Babytochter in seinen Übungen immer wieder unterbrochen. Vea Kaiser, die Moster zum Wettbewerb eingeladen hatte, verwies auf die politische Bedeutung, die mit dieser Themenwahl einhergeht. Der Text zeige, dass auch Männer innerhalb einer Leistungsgesellschaft verzichten können. Starke Widerstände gegen den Text hatte Klaus Kastberger. "Ich glaube dem Text kein Wort", so der Juror. Die Distanz zwischen Olympiasportler und Vatersein sei eine zu große. Am Ende überzeugte der Text literarisch nicht.
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