Poet. Prophet. Psychologe. Punk. 200 Jahre Dostojewski: Die Abgründe zum Klingen bringen

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Zum 200. Geburtstag des großen russischen Romanciers Fjodor Michailowitsch Dostojewski haben Markus Spieker und David Bühne ein Buch geschrieben, welches Anthologie und Biografie zugleich ist. Ein wunderbare, frische Einführung in das Werk und Leben des Autors, die sich vor allem an jüngere Leserinnen und Leser richtet. Bild: Fontis Verlag

Heute wird weltweit der 200. Geburtstag des großen russischen Romanciers Fjodor Michailowitsch Dostojewski gefeiert. Dutzende Neuerscheinungen wurden in den vergangenen Wochen anlässlich des Jubiläums auf den Weg gebracht. Wir wollen ein Buch vorstellen, welches sich insbesondere an Leserinnen und Leser richtet, die sich bisher nicht so intensiv mit Dostojewski beschäftigt haben: "Rock Me, Dostojewksi: Poet. Prophet. Psychologe. Punk." ist eine unkonventionelle, schmissig geschriebene Kombination aus Anthologie und Biografie.

Fjodor Michailowitsch Dostojewski schrieb fieberhaft und oft unter finanziellem Druck. Seine Romane gelten bis heute als die größten psychologischen Werke, die jemals im Bereich der Literatur hervorgebracht wurden. Nicht nur Schriftsteller waren und sind von der unheimlichen Kraft Dostojewskis geprägt; auch in der Philosophie - insbesondere in der des französischen Existenzialismus - lassen sich deutliche Verweise auf den russischen Romancier finden. Nicht weniger wichtig waren seine Bücher für die im Entstehen begriffene Psychoanalyse am Ende des 19. Jahrhundert. Für Sigmund Freud, der sich unter anderem in seinem Aufsatz "Dostojewski und die Vatertötung" intensiv mit dem Autor beschäftigte, waren die in den Romanen angestellten psychologischen Betrachtungen, allem voran die immer wieder auftretenden Fiebertraum-Bilder, wichtige Arbeitsgrundlage.

Poet. Prophet. Psychologe. Punk.

Dostojewski schrieb Weltliteratur. Zu seinen großen Büchern zählen Romane wie "Verbrechen und Strafe", "Die Dämonen", "Der Idiot" und "Die Brüder Karamasow". Geleitet werden all seine Erzählungen von existenziellen Fragestellungen, wie die nach dem Sinn des Lebens oder der Unsterblichkeit der Menschenseele. Oft treffen wir auf ärmliche Verhältnisse, auf enge Kammern, auf am Leben und an der Liebe verzweifelnde Protagonisten, auf innere, familiäre Konflikte und aufeinanderprallende, politische wie philosophische Weltanschauungen.

Wer sich als Neuling an Dostojewski heranwagt, sieht sich also mit einem riesigen, facettenreichen und - das gilt insbesondere für die späten Roman - oftmals nicht leicht zugänglichen Werk konfrontiert. Umso schöner, wenn es Bücher gibt, die einen spannenden und begeisternden Einstieg gewähren. Eines dieser Bücher trägt den Titel "Rock Me, Dostojewksi: Poet. Prophet. Psychologe. Punk." und ist vor kurzem beim Fontis Verlag erschienen.

Kurz vor dem Tod

Auf der Grundlage der neusten Dostojewski-Forschungen führen die Autoren Markus Spieker und David Bühne durch das aufreibende Leben des Schriftstellers, der 1821 als Sohn eines Armenarztes in Moskau geboren wurde. Im Alter von 17 Jahren hatte Dostojewski sich ein Motto gesetzt, welches sich auch die Autoren dieser Biografie/Anthologie zu Herzen genommen haben: "Der Mensch ist es Geheimnis. Man muss es enträtseln".

Während des hier beschriebenen Weges kommt der Autor immer wieder selbst zu Wort. Briefe, Aufzeichnungen, Texte aus Zeitschriften, Briefe und Notizen begleiten die biografischen Beschreibungen. Wir erfahren von frühen schriftstellerischen Anfängen, von der Verurteilung zum Tode und der, kurz vor der Hinrichtung ausgesprochenen, Begnadigung. Dostojewski selbst erkannte in diesem Tag den (zweiten) Beginn seines Lebens. Er wird zu vier Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt, lebt dort zwischen Kinder- und Frauenmörder und macht Beobachtungen, die er später in seinem Roman "Aufzeichnungen aus einem Totenhaus" verarbeitet. Sowohl die "Nahtoderfahrung" kurz vor der Hinrichtung als auch die Zeit im Zuchthaus werden den Schriftsteller nicht mehr verlassen, der auch Jahrzehnte später noch, stets kurz vor dem finanziellen Bankrot, hungernd und schreibend, ein Leben an der existenziellen Grenze führte. Er leidet unter Epilepsie, schreibt, um seine Schulden zu begleichen, verkauft notgedrungen die Rechte an seine Romane.

Markus Spieker und David Bühne fragen in ihrem Buch, was uns Dostojewksi heute noch zeigen kann. Wie die Probleme des 19. Jahrhunderts mit unseren zu vergleichen sind und was uns der Schriftsteller zur Problembewältigung beitragen kann. Dabei führen sie, aufschlussreich und eindringlich, auch in die Werke des Schriftstellers ein. Diese waren schließlich weder von seiner Zeit, noch von seinem Leben zu trennen.

"Rock Me, Dostojewksi: Poet. Prophet. Psychologe. Punk." ist locker und an ein jüngeres Publikum gerichtet geschrieben. Eine einmalige uniunkonventionelle Fusion von Anthologie und Biografie, die zeigt, dass eine intensive Selbstreflexion, das Hinabsteigen in die dunkelsten Verließe des eigenen Ichs, Komplikationen und Widersprüche hervorruft, die Menschen bereits vor 180 Jahren beschäftigten.


Markus Spieker, David Bühne: "Rock Me, Dostojewksi: Poet. Prophet. Psychologe. Punk."; Fontis Verlag, 2021, 560 Seiten, 25 Euro


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