„Holzfällen. Eine Erregung“ – Thomas Bernhard im Gespräch: Wolfgang M. Schmitt und Achim Truger im Literaturforum im Brecht-Haus

Vorlesen

Ein Ohrensessel. Die Wände altrosa, die Stimmen gedämpft. Eine Wiener Abendgesellschaft versammelt sich zum Kunstgespräch. Draußen rauscht die Stadt, drinnen herrscht Selbstgewissheit. In Thomas Bernhards Holzfällen sitzt ein Mann am Rand und sieht zu. Oder besser: hört zu, erinnert sich, rekonstruiert. Was entsteht, ist kein Bericht – es ist eine Erregung. Am Mittwoch, den 10. Dezember 2025, um 20:00 Uhr widmen sich Wolfgang M. Schmitt und Achim Truger im Literaturforum im Brecht-Haus diesem Roman. Der Abend gehört dem literarischen Monolog, der Kritik, dem Stil. Und einer Frage, die den Rahmen sprengt: Müssen wir uns wirklich weniger empören – oder bloß präziser?

Wolfgang M. Schmitt Wolfgang M. Schmitt Von Wolfgang M. Schmitt -CC0 wikipedia

Ein Roman wie ein Innenraum

Der Schauplatz: ein Abendessen in Wien, nach der Beerdigung einer alten Freundin. Die Gastgeber: Teil der Kulturszene, man spricht von Theater, Kunst, Engagement. Der Erzähler: schweigt lange, bevor er zu denken beginnt – und dann nicht mehr aufhört. Was wie Reflexion beginnt, wird zur Attacke. Aber nicht als Empörungsspektakel, sondern als choreografierte Wut. Satz um Satz, Wiederholung um Wiederholung. Bernhard lässt seinen Erzähler nicht erzählen, sondern kreisen – um eine Szene, um eine Stadt, um eine Haltung.

„Wald, Hochwald, Holzfällen“ – dieser Satz, vorgetragen vom gefeierten Burgschauspieler, wird zum inneren Holzweg. Er zitiert sich selbst, setzt ein Zeichen, ohne zu handeln. Auch das gehört zum Motiv dieses Textes: Selbstzitat als Stillstand. Kunst, die sich in Phrasen spiegelt.

Sprache als Erregungsträger

Bernhards Sprache kennt keine Ruhe. Sie insistiert. Ein Satz steht nie für sich, er kehrt wieder, wird leicht verschoben, erneut platziert. Dieses Verfahren wirkt wie musikalische Struktur, aber es ist mehr: ein Akt der Zersetzung. Durch Wiederholung entsteht keine Stabilität, sondern eine Krise der Begriffe. Das „künstlerische Wien“, das „kulturelle Milieu“, das „Engagement“ – sie verlieren mit jedem Satz an Gewicht.

Diese Methode hat nichts Ornamentalisches. Sie zwingt zur Aufmerksamkeit. Und sie stellt einen Zusammenhang her: zwischen Form und Kritik. Wer so schreibt, entzieht sich der Komplizenschaft mit dem Gesagten. Er unterläuft Erwartungen, sabotiert Zustimmung, setzt Ironie an die Stelle von Pathos.

Gesellschaft als Text

Der Erzähler in Holzfällen sitzt nicht nur räumlich, sondern auch sozial am Rand. Eingeladen, aber nicht beteiligt. Wiedergekehrt, aber nicht angekommen. Seine Perspektive ist gebrochen – und gerade deshalb scharf. Er erkennt in der gepflegten Empörung seiner Umgebung keine Geste der Verantwortung, sondern ein Spiel. Ein Theater des Gutmeinens. Die Kritik richtet sich weniger gegen Personen als gegen einen Tonfall: das Einverständnis mit sich selbst.

Der Roman denkt Gesellschaft als Inszenierung. Und der Monolog des Erzählers wird zur Gegeninszenierung: zornig, verdichtet, formal radikal. Die Frage, was „engagierte Kunst“ bedeuten kann, wird hier nicht beantwortet, sondern befragt – durch sprachliche Zersetzung. Der Burgschauspieler spricht von Holzfällen, aber fällt kein Holz.

Gespräch über eine Erregung

Wenn Wolfgang M. Schmitt, Literaturkritiker und Podcaster, mit dem Ökonomen Achim Truger, Mitglied des Sachverständigenrats, über diesen Text spricht, geht es um mehr als Literatur. Es geht um Stil als Haltung, um Kritik als Form. Und um die Möglichkeit, Erregung nicht als affektive Geste, sondern als reflektierten Zustand zu denken.

Das Gespräch verspricht keine Antworten. Aber es zeigt, wie Literatur, Ökonomie und Gegenwart ein Resonanzfeld bilden können. Dass gerade ein Text wie Holzfällen, geschrieben 1984, in einer Gesellschaft voller Diskursrituale und Erregungskurven neu lesbar wird, verweist auf seine strukturelle Intelligenz. Es geht nicht darum, wie sehr wir uns empören. Sondern wie genau.


Veranstaltungsdetails

Mittwoch, 10. Dezember 2025
Mittwoch, 10. Dezember 2025
Beginn: 20:00 Uhr (Einlass: ab 19:30 Uhr)
Ort: Literaturforum im Brecht-Haus, Berlin
Eintritt: 8€, ermäßigt 6
Digital: Livestream verfügbar
Tickets: Eintrittskarten


Gefällt mir
0
 

Topnews

Mehr zum Thema

Aktuelles

Rezensionen