Ein Preis, der nicht von Feuilletons getragen wird, sondern von Feeds. Die TikTok Book Awards, zum dritten Mal auf der Frankfurter Buchmesse verliehen, präsentieren sich als Bühne einer literarischen Gegenwart, die längst von Algorithmen mitgeprägt wird – oder zumindest von der Frage, wie viel Leidenschaft in ein 15‑Sekunden‑Clip passt. Und: Wer sie am besten inszeniert.
TikTok Book Awards 2025: Wenn Likes zu Literaturpreisen werden – Mercedes Ron, Lilly Lucas und @nathalie_reads unter den Gewinnern
Die diesjährigen Gewinner*innen könnten unterschiedlicher kaum sein, doch sie eint die Fähigkeit, Geschichten nicht nur zu erzählen, sondern sie zirkulieren zu lassen. In Kommentaren, unter Hashtags, als visuelles Echo.
Auszeichnung als Rückmeldung
Lilly Lucas, die nun offiziell als „Autorin des Jahres“ ausgezeichnet wurde, hat es geschafft, was vielen Romance-Autorinnen schwerfällt: Sie hat nicht nur Leserinnen gewonnen, sondern Botschafterinnen. Ihre Community folgt ihr nicht bloß, sie formuliert mit ihr – etwa, wenn Geschichten auf TikTok weitergedacht oder Figuren in Memes überführt werden. Dass der Award nicht von einer Fachjury, sondern durch ein Community-Voting verliehen wurde, ist kein Betriebsunfall, sondern Prinzip.
In einer Branche, in der Verkaufszahlen oft verdeckt, aber Meinungen öffentlich sind, liegt der Fokus auf Sichtbarkeit. Und Sichtbarkeit bedeutet hier: geteilte Begeisterung.
Bestseller, Blockbuster, BookTok
Mercedes Ron – ausgezeichnet für Culpa Mía – steht exemplarisch für eine Verschiebung, bei der Bestseller nicht mehr nur an der Ladenkasse entschieden werden. Ihr Roman ist nicht nur ein Buch, sondern längst ein Content‑Cluster: Die Netflix-Verfilmung, die viralen Soundbites, das Cosplay – alles wird zu Literaturbetrieb, alles wirkt zurück aufs Buch.
Ron hat nicht einfach eine Geschichte erzählt, sie hat einen Raum geschaffen, in dem Leserinnen – oder vielleicht besser: Teilnehmerinnen – sich inszenieren können. Dass Culpa Mía als #BookTok-Bestseller des Jahres ausgezeichnet wurde, ist nur konsequent: Der Roman war nicht das Ende einer Lektüre, sondern der Anfang einer Diskussion. Ein narrativer Resonanzkörper, der sich im Rhythmus der Clips beschleunigte.
Creatorin statt Kritikerin
Nathalie Reads, ebenfalls ausgezeichnet, ist kein Medium für Bücher – sie ist mittlerweile eine eigene Marke. Ihre Videos bewegen sich souverän zwischen Ästhetik und Argument, zwischen Empfehlung und Performanz. Literaturkritik als vertikale Storyline, deren Stärke nicht in der Tiefe, sondern in der Direktheit liegt.
Dass sie zur #BookTok Creatorin des Jahres gewählt wurde, bedeutet auch: Die Vermittlung von Literatur hat sich professionalisiert, aber nicht im klassischen Sinn. Ihre Reichweite ist keine Nebenwirkung, sondern Teil des Erzählens.
Literaturbetrieb als Echokammer
Und auch Verlage, Buchhandlungen und Serienproduzenten wurden ausgezeichnet. Der LYX Verlag – erneut prämiert – spielt die Klaviatur der Plattformen längst so virtuos wie die des Romans. Wer hier publiziert, wird nicht nur gedruckt, sondern gestreamt, geteilt und mit Glück auch in der Second Season verfilmt.
Die Auszeichnung für The Summer I Turned Pretty als beste #BookTok-Verfilmung markiert einen Medienmoment: Literatur muss heute nicht mehr nur lesbar, sondern adaptierbar sein. Die Logik des Erfolgs hat sich verschoben – vom Inhalt zur Möglichkeit der Reproduktion. Was sich gut visualisieren lässt, lässt sich auch verkaufen.
Und irgendwo zwischen all dem: Janas kleine Buchhandlung, ebenfalls prämiert, ein Gegenbild zur Plattformökonomie. Vielleicht war das der schönste Moment des Abends – weil er zeigte, dass auch Offline-Orte in dieser neuen Kultur überleben können, wenn sie digitale Leser*innen ernst nehmen.
Wo gehts hin?
Vielleicht ein neuer Begriff von Literaturszene. Einer, in dem Reichweite zur Währung wird, Relevanz sich im Kommentarstrang abbildet und Preise nicht nur über Qualität, sondern über Community definiert werden. Ob das gut ist? Das entscheidet nicht mehr allein das Feuilleton. Vielleicht nie wieder.