Trophäe (Gaea Schoeters) – Jagdroman über Macht, Begehren und Gewalt

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Trophäe ist kein klassischer Safari-Thriller, sondern ein literarischer Höllenritt über Beute, Besitz und männliche Selbsterhöhung. Die flämische Autorin Gaea Schoeters erzählt von einem sehr reichen amerikanischen Jäger, der nach Afrika reist, um ein Nashorn zu erlegen – das letzte Tier der „Big Five“, das ihm noch fehlt. Auf der Strecke dorthin zerlegt der Text die Pose des „Eroberers“ in ihre Einzelteile: Gier, Angst, Leere. Die deutsche Ausgabe erschien 2024 im Paul Zsolnay Verlag (Übersetzung: Lisa Mensing).

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Trophäe: Roman

Handlung von „Trophäe“

Im Mittelpunkt steht Hunter White, ein immens vermögender US-Finanzhändler, der „lebt, um zu jagen“. Er fliegt nach Afrika, wo Guides, Ranger und Fährtenleser die hochpreisige Großwildjagd organisieren. Sein Ziel: ein Rhinozeros – der letzte fehlende Haken auf seiner privaten Big-Five-Liste. Je näher der Abschuss rückt, desto mehr verschieben sich Perspektive und Machtbalance: Hunter merkt, dass er nicht nur Jäger, sondern Objekt wird – von Blicken, Erwartungen, ökonomischen Interessen, und von etwas Dunklerem in ihm selbst.

Der Roman folgt ihm durch Lagerfeuer-Verhandlungen, Lockrufe, Fährten, Wartezeiten im heißen Staub. Zufälle und Entscheidungen, nicht allein das Gewehr, treiben die Geschichte voran; am Ende steht keine Trophäe für den Kaminsims, sondern eine Konsequenz, die Hunter in sich trifft. (Name, Set-up und Motivlage sind im Originalexposé bestätigt.)


Themen & Motive: Jagd als Grammatik der Macht

  • Männlichkeitsrituale: Schoeters legt bloß, wie Statusfantasien (Listen, Rekorde, Preise) Gewalt legitimieren – und wie fragil diese Posen sind, sobald Kontrolle schwindet.

  • Kolonialer Blick & Kapitalismus: Die Safari ist ein Markt, in dem Körper (tierische wie menschliche) als Wertezirkulieren. Jäger, Outfitter, lokale Communities – alle haben Interessen, doch nicht alle Profit. (Der Roman verhandelt dies erzählerisch, ohne Statistik-Gesten.)

  • Beute/Begehrenslogik: „Trophäe“ heißt Objekt, Bild, Andenken – und verhandelt, wie sehr Begehren nach Besitz am Verschwinden der Dinge hängt: erst wenn etwas genommen ist, wird es wertvoll.

  • Moralische Ambivalenz: Es gibt keine reinen Figuren – nur Rollen, die die Jagd verteilt. Der Leser wird zum Mitschauenden: Wie viel Blick ist schon Komplizenschaft?

Big-Five-Industrie, Debatten und Doppelmoral

„Trophäe“ spielt bewusst ohne Land- und Reservatsnamen: Die Safari-Industrie ist global, austauschbar, marktkonform. Der Roman spiegelt Realdebatten über Trophäenjagd, Devisen, Parkgebühren, Korruption und Scheinargumente des Naturschutzes – ohne Thesenaufsatz zu werden. Er zeigt, wie Erzählungen (vom Helden, vom Schutz der Arten, vom Nutzen fürs Dorf) Handlungen überblenden. Genau hier entfaltet der Text seine Brisanz: Was wäre, wenn das wahre „Wild“ weder Nashorn noch Löwe ist, sondern das, was Menschen einander antun?

Atemloser Realismus, psychologische Verdichtung

Schoeters schreibt nah an Hunter, in einer präzisen, körperlichen Prosa: Hitze brennt, Staub knirscht, Schweiß riecht. Die Sätze sind gedrängt, oft szenisch, mit filmischer Präzision. Aus Warteräumen – Ansitzen, Dämmerungen, Autopisten – entsteht Spannung: Was zählt, ist Blickdisziplin, Geduld, Timing. Gleichzeitig greift der Text zu Metaphern der Jagd (Lockmittel, Fährte, Wind) und wendet sie auf Macht, Sexualität, Markt an. Ergebnis ist ein moralischer Thriller, der literarisch arbeitet – nicht mit Twists, sondern mit Verschiebungen. (Die internationale Kurzbeschreibung betont genau dieses „bloodcurdling“ Kammerspiel um westliche Männlichkeit.)

Für wen eignet sich „Trophäe“?

  • Für Leser*innen, die dichte, moralisch aufgeladene Literatur suchen und sich für Macht- und Blickverhältnisseinteressieren.

  • Für Buchclubs, die Ambivalenz aushalten und über Jagd, Kolonialgeschichte, Körperpolitik streiten möchten.

  • Für alle, die literarische Grenzgänge zwischen Psychodrama und Thriller mögen – ohne Kommissar, mitKonsequenzen.

Kritische Einschätzung – Stärken & Schwächen

Stärken

  1. Konzeptuelle Klarheit: Der Roman kennt sein Ziel und verfolgt es erbarmungslos; jede Szene steht im Dienstder Jagdmetapher.

  2. Stimme & Tempo: Druckvolle Sprache, starke Atmosphäre, exakte Körperlichkeit.

  3. Ethik ohne Zeigefinger: Keine Lehrmeinung, sondern Erfahrung – der Leser muss urteilen.

Schwächen

  1. Monoperspektive: Die Engführung auf Hunter macht den Text intensiv, kann aber monoton wirken, wenn man Figurenvielfalt erwartet.

  2. Kälte als ästhetische Entscheidung: Wer Empathie-Automatismen sucht, wird sich an der Distanziertheitreiben.

  3. Hochspannung statt Welterklärung: Wer Fakten zur Jagdökonomie erhofft, erhält eher Erzählkritik als Daten – das ist Absicht, bleibt aber Geschmackssache.

Drei Fragen, die der Roman aufwirft (und kurz beantwortet)

Ist „Trophäe“ ein Krimi oder ein Gesellschaftsroman?

Eher Gesellschaftsroman mit Thriller-Drive: Die Spannung entsteht aus Macht, Blick und Begehren, nicht aus Ermittlungsarbeit.

Wie realitätsnah ist die Safari-Ökonomie im Buch?

Sie ist erkenntnisnah inszeniert, aber literarisch kondensiert: Der Text zeigt Preise, Lizenzen, Outfitter-Logik als Machtinstrumente, ohne Zahlenexkurse.

Gibt es die deutsche Ausgabe und eine aktuelle Taschenbuchversion?

Ja. Deutsch 2024 bei Zsolnay (Übers. Lisa Mensing); Taschenbuch bei Penguin (2025).

Über die Autorin: Gaea Schoeters

Gaea Schoeters (geb. 1976, Sint-Niklaas) ist Autorin, Journalistin, Librettistin und Drehbuchautorin. Das niederländische Original „Trofee“ erschien 2020; die deutsche Übersetzung „Trophäe“ folgte 2024. Für das Buch erhielt sie u. a. den Sabam for Culture-Preis; beim Literaturpreis der Europäischen Union wurde es besonders erwähnt. Schoeters bewegt sich zwischen formalem Experiment und gesellschaftlicher Dringlichkeit – von Opernlibretti bis Kolumnen; „Trophäe“ ist ihr international meistbeachteter Roman.

Lesen – und aushalten

„Trophäe“ ist hochartikulierte Zumutung: glänzend erzählt, moralisch scharf, emotional riskant. Wer nur ein Jagdabenteuer erwartet, wird überrascht; wer Literatur als Erfahrungsraum für Ambivalenz sucht, bekommt einen der prägnantesten Romane der letzten Jahre zu Macht und Begehren. Unbedingt lesen – und diskutieren.

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