Mit „Und Großvater atmete mit den Wellen“ kehrt Trude Teige in ihre groß angelegte Familienerzählung zurück: Diesmal steht Konrad Bjerke, der Großvater aus dem Vorgängerband, im Mittelpunkt. Der Roman verbindet Liebesgeschichte, Überlebensdrama und Nachkriegserbe – von einem Torpedoangriff 1943 bis zu den Spuren, die diese Erfahrungen in der Familie hinterlassen. Die deutsche Ausgabe erschien 2024 bei S. Fischer in der Übersetzung von Günther Frauenlob.
Und Großvater atmete mit den Wellen von Trude Teige-Wenn Erinnerungen wie Brandung wiederkehren
Handlung von „Und Großvater atmete mit den Wellen“: Java 1943, ein zerrissener Brüderbund – und Sigrid
Indischer Ozean, 1943: Die Brüder Konrad (Leichtmatrose) und Sverre (Funker) geraten auf einem Handelsschiff in einen japanischen U-Boot-Angriff. Konrad überlebt knapp und strandet auf Java; Sverre wird gefangen genommen. Im Krankenhaus trifft Konrad auf Sigrid Greve, eine norwegische Krankenschwester, die seit Kindheitstagen auf Java lebt. Zwischen beiden entsteht eine zarte, riskante Nähe – unter den Bedingungen einer japanischen Besatzung, die Alltag und Regeln von Woche zu Woche härter macht.
Nach rund hundert Seiten geraten Konrad, Sigrid und Sverre getrennt in Gefangenschaft. Teige schildert das Lagerleben mit Mangel, Krankheit und Willkür: Hunger, Malaria, unzureichende Hygiene, das Warten auf Nachrichten – und die Frage, wer überlebt. Der Titel verweist auf Konrads Atemtechnik, mit der er Angst und Schlaflosigkeit begegnet: „mit den Wellen atmen“ – ein physischer Halt in einer unwirtlichen Welt. Spätere Entwicklungen, Wiedersehen und Schicksalsentscheidungen bleiben hier ausgespart; sie tragen das Spannungsmoment der Lektüre.
Themen & Motive: Kriegsseeleute, Lagererfahrung, Liebe als Gegenkraft
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Überleben und Würde: Der Roman zeigt, wie kleine Routinen (Atem, Pflege, Teilen von Rationen) Menschlichkeit bewahren, wenn Systeme kollabieren.
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Liebe als Anker – kein Trostpflaster: Die Beziehung zwischen Konrad und Sigrid ist Motivation und Risiko zugleich; sie formt Entscheidungen, ohne das Elend zu romantisieren.
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Brüderbindung & Schuld: Konrad/Sverre tragen wechselseitige Verantwortung – der Roman fragt, was Versprechen im Krieg wert sind.
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Transgenerationale Wirkung: Erzählerisch rahmt Enkelin Juni Bjerke die Erinnerungen. Deutlich wird: Vergangenes bleibt wirksam – und braucht Sprache, um nicht stumm weiterzugeben.
Norwegische Kriegsseeleute, Java & japanische Lager (1943–45)
Teige verankert die Fiktion in einer wenig bekannten Kriegsfront: norwegische Handelsschiffe im Indischen Ozean, japanische Besatzung auf Java und Internierungslager für Zivilisten und Seeleute. Das Buch greift explizit reale Hintergründe auf – inklusive der Tatsache, dass norwegische Überlebende japanischer Lager um Anerkennung und Entschädigung ringen mussten. Damit erweitert der Roman den üblichen, auf Europa fokussierten Blick auf den Zweiten Weltkrieg.
Mehrstimmig, szenisch, mit dokumentarischem Puls
Teige schreibt klar und szenisch, mit Wechseln der Perspektiven (u. a. Konrad, Sigrid, Sverre) und Zeitsprüngen. Die Anfangskapitel brennen sich als Überlebensabenteuer ein (Torpedoangriff, Flucht, Strandung), während der Mittelteilnüchtern-protokollarisch Lageralltag und Willkür zeigt. Der leise dokumentarische Grundton vermeidet Pathos; gerade dadurch entfalten die Kapitel emotionale Härte.
Für wen eignet sich der Roman?
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Leser historischer Romane, die neue Schauplätze des Krieges entdecken möchten (Südostasien/Java statt Europa).
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Buchclubs, die über moralische Ambivalenzen, Überlebenstechniken und Erinnerungskultur diskutieren wollen.
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Fans des ersten Bandes (Als Großmutter im Regen tanzte): Der neue Teil ist eigenständig lesbar, gewinnt aber an Resonanz im Zusammenspiel.
Kritik – Stärken & mögliche Schwächen
Stärken
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Unerzählter Kriegsschauplatz: Java, Internierung, Kriegsseeleute – selten beleuchtet, hier plastisch und recherchestark.
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Erzählökonomie: Action am Anfang, Protokoll des Aushaltens im Mittelteil – ein Rhythmus, der Erfahrungstatt Spektakel in den Vordergrund rückt.
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Figurenpsychologie: Konrad, Sigrid und Sverre sind fehlerhafte, glaubhafte Menschen; Hoffnung entsteht trotzund wegen der Härte.
Mögliche Schwächen
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Tempo im Lagerteil: Die bewusste Verlangsamung kann Leser, die Plot-Feuerwerke erwarten, ungeduldigmachen.
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Rahmung durch Juni: Die Enkelinnen-Perspektive bleibt eher Klammer als tragende Erzählstimme – das ist folgerichtig, aber nicht für alle befriedigend.
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Emotionaler Druck: Krankheit, Verlust, Willkür – die Dichte der Figurenleiden ist hoch; sensible Leser sollten Pausen einplanen.
Kurz beantwortete Leserfragen
Ist „Und Großvater atmete mit den Wellen“ ein Einzelband?
Ja. Der Roman funktioniert ohne Vorwissen; Bezüge zur Familiengeschichte vertiefen sich mit dem Vorgänger.
Welche historischen Tatsachen stecken dahinter?
Der Roman basiert auf verbürgten Kontexten: Torpedierung norwegischer Schiffe im Indischen Ozean, japanische Besatzung Javas, Zivil- und Lagerinternierung.
Gibt es eine Hörbuchausgabe?
Ja, in Deutschland beim Argon Verlag verlinkt; im Norwegischen erschien bereits 2021 eine Hörbuchfassung.
Über die Autorin: Trude Teige – Journalistin mit Sinn für blinde Flecken der Geschichte
Trude Teige (geb. 1960) ist eine norwegische Autorin und Journalistin. Ihre Romane verbinden Recherche und erzählerische Empathie; sie fokussieren vergessene oder verdrängte Kapitel der Geschichte und deren Nachwirkungen auf Familien. Die deutsche Ausgabe von Und Großvater atmete mit den Wellen führt diese Linie fort und knüpft an den Erfolg von Als Großmutter im Regen tanzte an.
Lohnt sich „Und Großvater atmete mit den Wellen“?
Ja. Teige erzählt pragmatisch und nah von Überleben, Loyalität und Würde – und rückt einen selten erzählten Kriegsschauplatz ins Zentrum. Wer Gefühl ohne Kitsch, Recherche ohne Zeigefinger und Figuren mit moralischen Grauzonen sucht, findet hier eine bewegende, diskussionsstarke Lektüre. Dass der Lagerteil lange aushält, ist kein Mangel, sondern ästhetische Entscheidung: Der Roman will erinnern, nicht nur unterhalten.
Großmutter-Trilogie von Trude Teige – Kurzüberblick
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Als Großmutter im Regen tanzte – Der Auftakt über verdrängte Kriegserfahrungen und ihre Folgen für drei Generationen.
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Und Großvater atmete mit den Wellen – Die Geschichte von Konrad (dem Großvater) und Enkelin Juni: Wie Erinnerung und Schuld ans Ufer gespült werden.
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Wir sehen uns wieder am Meer – Der Abschlussband über Birgit, Tekla und Nadia: Freundschaft, Zwangsarbeit und das lange Nachhallen des Krieges.
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