Zwei Genies, ein Faustschlag – und eine literarische Abrechnung

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Ein Flughafen in Caracas, ein Foto in Mexiko, ein Schlag ins Gesicht: Jaime Baylys Roman Die Genies (dtv, 2025, aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen) erzählt mit sarkastischer Lust und dramaturgischer Präzision die Geschichte einer literarischen Freundschaft, die sich im Laufe der Jahre in Eifersucht, Ideologie und Ehebruch auflöst – und in einem legendären Fausthieb kulminiert.

Im Zentrum stehen Mario Vargas Llosa und Gabriel García Márquez, „MVL“ und „Gabo“, wie sie sich nennen – Nobelpreisträger, Popstars des lateinamerikanischen Boom, ehemalige Nachbarn in Barcelona, Seelenverwandte und schließlich Gegner. Im Zentrum stehen Mario Vargas Llosa und Gabriel García Márquez, „MVL“ und „Gabo“, wie sie sich nennen – Nobelpreisträger, Popstars des lateinamerikanischen Boom, ehemalige Nachbarn in Barcelona, Seelenverwandte und schließlich Gegner. dtv

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Die Genies: Roman

Im Zentrum stehen Mario Vargas Llosa und Gabriel García Márquez, „MVL“ und „Gabo“, wie sie sich nennen – Nobelpreisträger, Popstars des lateinamerikanischen Boom, ehemalige Nachbarn in Barcelona, Seelenverwandte und schließlich Gegner. Die eigentliche Handlung beginnt am 12. Februar 1976 in einem Kinosaal der Kammer der Mexikanischen Filmindustrie. García Márquez will seinen alten Freund umarmen. Vargas Llosa schlägt ihn nieder. Die Brille bricht, das Auge schwillt, der Mythos ist geboren.

Chronik eines angekündigten Desasters

Bayly, 1965 in Lima geboren, verlegt das Geschehen rückwärts und vorwärts durch Zeit und Raum. Die „Odyssee in den Anden“ – ein Film über eine abstürzende Rugby-Mannschaft, die überlebt, indem sie ihre toten Freunde isst – bildet die bizarre Kulisse eines literarischen Kannibalismus. Zwischen Mexiko, Paris, Barcelona und Lima rekonstruiert Bayly, was zwischen den beiden Autoren und ihren Ehefrauen Patricia und Mercedes vorgefallen ist – und was letztlich über Jahre hinweg zu jenem kurzen Moment der Gewalt führte, der bis heute für Rätsel sorgt.

Es ist nicht nur das literarische Umfeld, das Bayly sichtbar Freude bereitet – Pablo Neruda als Walfisch-Delphin, Julio Cortázar mit hormonunterstütztem Bart, Jorge Edwards als politische Persona non grata –, sondern auch das Intime, Banale, Allzumenschliche. Vargas Llosa, getrieben von Ehrbegriff und Kontrollverlust, García Márquez, zwischen Klatsch und Charme oszillierend, Patricia, die Cousine, die zur Ehefrau wird, Mercedes, die Sängerin, die zum Kotelett greift. Dazwischen Carmen Balcells, die Übermutter des Literaturbetriebs, als Agentin, Ratgeberin und diskrete Strippenzieherin.

Ein Schlag als Strukturprinzip

Die Sprache? Rasch, direkt, manchmal bewusst grob. Die Szenen? Pointiert, mit filmischer Schnitttechnik erzählt. Was bei oberflächlicher Lektüre wie Boulevard erscheinen mag, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als kalkulierte Dramaturgie. Die Eröffnungsszene ist exemplarisch: ein Fausthieb, der sich aus Kindheitstrauma, Internatserziehung, Eitelkeit und Missverständnis auflädt. Vargas Llosa, der in der Kadettenschule lernte, zu schlagen – gegen Vorgesetzte, Mitschüler, am Ende gegen den eigenen Vater –, bringt all diese Gewalt in einem einzigen Punch unter. Die Biografie explodiert im Gesicht des Freundes.

Der Text lebt von dieser Spannung zwischen Fakt und Fiktion, zwischen ironischer Überzeichnung und psychologischer Tiefenbohrung. Wenn Mercedes ein Steak fürs blaue Auge sucht, García Márquez als „verwundeter Buddha“ daliegt und ein Hund das Kotelett klauen will, dann ist das mehr als eine Anekdote. Es ist grotesker Kommentar auf Männlichkeit, Ehre und die Inszenierung von Autoren als Helden – oder Gaukler.

Kein Denkmal, sondern ein Kammerspiel

Bayly stilisiert nicht, er dekonstruiert. Der große literarische Zweikampf ist bei ihm kein Drama von Weltbedeutung, sondern eine Revue aus Alltagsfeindseligkeiten, verletzter Eitelkeit und privaten Schwächen. Der Ton bleibt leicht, aber nicht flach, die Dialoge überdreht, aber nie dumm. Ein Roman wie ein Schlagabtausch – schnell, wendig, mit sardonischem Grinsen. Der Mythos wird nicht zerstört, sondern fein säuberlich zerlegt. Am Ende bleibt kein Heldenbild zurück, sondern ein Panorama der literarischen Spätmoderne: egomanisch, politisiert, brillant – und tief beschädigt.

Autor Jaime Bayly:

Jaime Bayly, geboren 1965 in Lima, ist Romancier, TV-Moderator und Kolumnist. Bekannt wurde er durch autobiografisch geprägte Romane und seine pointierten Auftritte im lateinamerikanischen Fernsehen. Die Genies erschien 2023 im Original bei Alfaguara, die deutsche Ausgabe folgt 2025 bei dtv – wenige Wochen nach dem Tod Mario Vargas Llosas.

Übersetzer Willi Zurbrüggen :

Willi Zurbrüggen, geboren 1949 in Borghorst (Westfalen), ist vielfach ausgezeichneter Übersetzer aus dem Spanischen. Zu seinen Autoren zählen Fernando Aramburu, Luis Sepúlveda und Antonio Muñoz Molina. Für Baylys Roman gelingt ihm eine unaufdringlich stilsichere Übertragung, die Rhythmus und Ironie präzise trifft.


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