Ausgezeichnete Vermittlung: Michael Maul erhält den Gleim-Literaturpreis 2025

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Manchmal gewinnt nicht das lauteste Buch, sondern das mit dem genauesten Ton. Der Gleim-Literaturpreis 2025 geht an den Musikwissenschaftler Michael Maul für sein Werk „J. S. Bach. ‚Wie wunderbar sind deine Werke‘“ – eine Entscheidung, die so klug wie folgerichtig wirkt. Ausgelobt von der Stadt Halberstadt und dem Trägerverein des Gleimhauses, Museum der deutschen Aufklärung, würdigt der Preis Arbeiten, die die Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts einem breiten Publikum zugänglich machen. Und genau das gelingt Maul: mit einem kenntnisreichen, sprachlich präzisen und zugleich inspirierenden Buch über das geistliche Vokalwerk Johann Sebastian Bachs.

„J. S. Bach. ‚Wie wunderbar sind deine Werke‘“ „J. S. Bach. ‚Wie wunderbar sind deine Werke‘“ Michael Maul Insel Verlag

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Der Preis: Aufklärung mit Publikumsnähe

Mit 5.000 Euro dotiert und im zweijährigen Turnus verliehen, zählt der Gleim-Preis zu den stilleren, aber hochrespektierten Auszeichnungen des literarisch-wissenschaftlichen Betriebs. Frühere Preisträger wie Günter de Bruyn, Heinrich Detering oder zuletzt Eva Seemann zeigen, dass es dem Preis weniger um feuilletonistische Resonanz als um Substanz geht. Dass nun ein Musikwissenschaftler ausgezeichnet wird, der gleichermaßen aus dem Archiv wie aus dem Äther (Podcast: „Die Bach-Kantate mit Maul & Schrammek“) spricht, betont, worum es der Jury geht: Vermittlung auf Augenhöhe, zwischen Forschung und Faszination.

Der Autor: zwischen Forschung und Öffentlichkeit

Michael Maul, geboren 1978, ist Professor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und forscht am renommierten Bach-Archiv Leipzig. Als Intendant des Leipziger Bachfestes ist er auch musikalischer Kurator – und vor allem: ein Erzähler. Sein Buch über Bach lässt den Leser nicht mit Jahreszahlen und Werkverzeichnissen allein, sondern nimmt ihn mit in ein Leipzig des 18. Jahrhunderts, in dem Kantoren, Ratsherren, Thomaner und Kompositionspläne aufeinanderprallen.

Michael MaulMichael MaulVon Steffen Prößdorf, CC BY-SA 4.0

Über Bach schreiben – ohne Ehrfurchtsstarre

Mauls Ton ist dabei frei von sakraler Verklärung. Er schreibt über Bach als Musiker seiner Zeit, der mit bürokratischen Hürden kämpfte, unter der Widersprüchlichkeit seiner Dienstherren litt und dabei Musik schuf, die heute noch verstört, tröstet und überfordert. Dass er Bach abschnittsweise direkt anspricht – als „übermotivierten“, „verehrten“ oder „verschwiegenen“ Zeitgenossen – verleiht dem Text eine Nähe, die nicht ins Vertrauliche kippt, sondern in ein dialogisches Denken mündet.

Gerade die Passagen, in denen Maul kulturpolitische Konflikte aus Bachs Alltag rekonstruiert – etwa um die Versorgungslage des Thomanerchors – machen spürbar, wie sehr der Komponist eingebunden war in ein System, das seine Genialität nicht immer zu schätzen wusste. Und wie sich um 1730 ein Bruch vollzieht – weg von neuen Kirchenkantaten, hin zu anderen musikalischen Formen.

Inhaltliche Schwerpunkte und Forminnovationen

Mauls inhaltlicher Fokus liegt auf den Passionen und der h-Moll-Messe – letzterer attestiert er ganz unironisch eine ikonische Aura, wenn er sie „Bachs Mona Lisa“ nennt. Das Weihnachtsoratorium behandelt er kürzer, was er mit der Herkunft des Werks aus Parodieverfahren begründet: Die Einheit von Musik und Text sei dort weniger zwingend.

Bemerkenswert ist auch die technische Seite des Buchs: Eine Spotify-Playlist begleitet die Lektüre. Kleine Notensymbole mit Nummern am Seitenrand verweisen auf die jeweiligen Stücke. Während die Desktop-Version dies reibungslos anzeigt, fehlt diese Orientierung in der mobilen App – ein kleiner Wermutstropfen bei ansonsten geglückter medialer Verbindung von Hören und Lesen.

Preiswürdig im besten Sinne

Michael Mauls Buch ist kein Denkmal für Bach, sondern ein Zugang. Es vermittelt historische Tiefe, ohne sich in ihr zu verlieren, und es lädt ein, sich selbst ein Bild zu machen – akustisch, erzählerisch und kritisch. Dass ein solches Werk mit dem Gleim-Literaturpreis ausgezeichnet wird, ist keine Konzession an Popularität, sondern ein Zeichen für das, was Aufklärung im 21. Jahrhundert bedeuten kann: Wissenschaft, die spricht, ohne zu dozieren. Und Leser, die staunen dürfen, ohne sich klein fühlen zu müssen.


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