„Die Waffen nieder! Sag’s vielen – vielen.“ Ein Geburtstagskind im Juni: Bertha von Suttner – Die Unbequeme mit der Feder

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Am 9. Juni 1843 kommt in Prag ein Kind zur Welt, das in eine Gesellschaft geboren wird, in der der Krieg als Vater aller Dinge noch nicht in Verruf geraten ist. Bertha Sophia Felicita Freifrau von Suttner, geborene Gräfin Kinsky von Wchinitz und Tettau, wächst in einem Milieu auf, das vom Glanz des Adels und vom Schatten des Militarismus geprägt ist. Ein Vater, der k.k. Feldmarschallleutnant war, ein Großvater Hauptmann der Kavallerie – man weiß, wie die Welt funktioniert. Doch die Welt dieser Tochter des Hochadels gerät bald ins Rutschen: Die Mutter verspielt das Vermögen. Die Tochter arbeitet.

Herausgeber der Reihe: Michael Holzinger Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes: Bertha von Suttner (Photogravure, um 1900) ‎ CreateSpace Independent Publishing Platform

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Die Waffen nieder!: Eine Lebensgeschichte

Vom Unterrichtsfräulein zur Unruhestifterin

Bertha nimmt 1873 eine Stelle als Gouvernante im Haushalt des Industriellen Karl Freiherr von Suttner in Wien an. Sie unterrichtet dessen vier Töchter in Musik und Sprache – eine Tätigkeit, die für eine Gräfin eigentlich nicht vorgesehen ist, aber notwendig wird. Dort verliebt sie sich in Arthur Gundaccar von Suttner, den jüngsten Sohn des Hauses. Sieben Jahre jünger und aus Sicht seiner Familie unpassend. Der Adel heiratet keine arbeitenden Frauen, schon gar keine, die sich mit einem Nichtadeligen einlassen – so adelig der Name auch klingen mag.

Die Lösung ist typisch für diese Zeit: Bertha wird entlassen – nicht ohne Absicherung, sondern mit einer Empfehlung. Sie reist nach Paris und wird Sekretärin bei Alfred Nobel, dem wohlhabenden Erfinder des Dynamits. Zwei Wochen dauert das Arbeitsverhältnis, aber der Kontakt bleibt ein Leben lang bestehen. Es beginnt eine Brieffreundschaft, die Nobel tief prägt – ideell, vielleicht auch moralisch. Der Gedanke, mit wissenschaftlichen Mitteln den Krieg zu beenden, begegnet bei Bertha nicht bloß Sympathie, sondern kritischer Wachsamkeit.

Zurück in Wien, heiraten Arthur und Bertha am 12. Juni 1876 heimlich. Arthur wird enterbt. Das Paar zieht sich in den Kaukasus zurück. Acht Jahre lang leben sie dort von dem, was sie können: Sie unterrichten Sprachen, schreiben Romane, Artikel und Übersetzungen – beide verbindet die Leidenschaft für das Schreiben und der Wille, von eigener Arbeit zu leben.

Ihre Rückkehr nach Wien bringt eine Versöhnung mit der Familie. Sie beziehen das Anwesen in Harmannsdorf in Niederösterreich. Dort lebt auch Maria Louise von Suttner, Arthurs Nichte, mit der er – sehr zum Missfallen Berthas – eine langjährige Beziehung unterhält. Marie, selbst schriftstellerisch tätig, verarbeitet diese Zeit in ihrem Roman „Wie es Licht geworden!“, den sie – mit einer Spur von Ironie – „meiner lieben Tante und Lehrmeisterin“ widmet.

„Die Waffen nieder!“ – ein literarischer Aufstand

1889 veröffentlicht Bertha von Suttner ihr Hauptwerk: „Die Waffen nieder!“. Es ist kein Aufruf, sondern ein Roman – oder besser: ein erzähltes Argument. Erzählt wird das Leben der Martha Althaus, einer Frau aus der höheren Gesellschaft, die in vier aufeinanderfolgenden Kriegen Ehemänner, Brüder und Illusionen verliert. Keine Märtyrerin, keine Überfigur, sondern eine Frau, die erlebt, was Krieg anrichtet – nicht auf dem Schlachtfeld, sondern im Alltag.

Das Besondere an diesem Roman: Er stützt sich auf Quellen. Berichte von Kriegskorrespondenten, Aussagen von Militärärzten, Zeitungsartikel. Bertha will nichts erfinden, sondern zeigen. Und sie zeigt: das Elend, das Grauen, die Sinnlosigkeit – und vor allem die Systematik, mit der die Gesellschaft den Krieg akzeptiert.

Der literarische Erfolg ist überwältigend: 37 Auflagen, Übersetzungen in über 15 Sprachen. Das Buch wird diskutiert, verrissen, gefeiert – je nach ideologischem Lager. Aber es wird gelesen. Und der Titel wird zum geflügelten Wort. Die österreichische Schriftstellerin Marie Eugenie delle Grazie schreibt: „Sein Titel steht aber schon heute auf der ersten Seite einer neuen Weltgeschichte!“

Bertha von Suttner schreibt in der Ich-Form, aber nicht aus persönlicher Betroffenheit. Ihr Roman ist kein Klagegesang, sondern ein Dokument des Widerspruchs gegen eine Gesellschaft, die Krieg als Normalität begreift. Frieden ist für sie kein Idealismus, sondern eine rechtlich fundierte Forderung. Sie denkt in Kategorien des Völkerrechts, der Vernunft, der Geschichte. Ihr Pazifismus ist unbequem, weil er nicht bettelt, sondern fordert.

Engagement und Öffentlichkeit

Nach dem Erfolg des Romans wird Bertha zur öffentlichen Stimme des Friedens. Sie gründet 1891 die Österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde, wird Vizepräsidentin des Internationalen Friedensbüros, gemeinsam mit Alfred Hermann Fried ruft sie die Deutsche Friedensgesellschaft ins Leben. Sie reist zu Kongressen in Rom, Bern, Boston, spricht vor Parlamentsmitgliedern und Präsidenten. Ihre Reise durch die USA im Jahr 1904 ist eine Serie öffentlicher Auftritte – bis zu drei Reden täglich. Friedensarbeit wird zur öffentlichen Praxis.

Arthur von Suttner engagiert sich ebenfalls, unter anderem im Verein zur Abwehr des Antisemitismus in Österreich. 1890 unterzeichnet er den Rickert-Aufruf gegen Antisemitismus in Deutschland. Beide bewegen sich in einem Milieu, das progressiv denkt – aber konservative Gegenkräfte bleiben spürbar. Die bürgerliche Friedensbewegung wird belächelt, die Frau an ihrer Spitze unterschätzt – und gefürchtet.

Nobelpreis und späte Jahre

1905 erhält Bertha von Suttner als erste Frau den Friedensnobelpreis. Alfred Nobel, der ihre Gedanken bereits zu Lebzeiten geschätzt hatte, hatte die Idee des Preises maßgeblich aus ihrer Korrespondenz entwickelt. In ihrer Nobelpreisrede formuliert sie drei Forderungen: internationale Schiedsgerichte, eine Friedensunion der Staaten und eine Instanz zur Regelung internationaler Konflikte. Heute würde man sagen: sie denkt in UNO-Kategorien, Jahrzehnte bevor diese Organisation existiert.

Sie bleibt publizistisch aktiv, warnt vor dem Wettrüsten, vor imperialer Rhetorik, vor einer technisierten Kriegsführung. Als 1911 in Libyen die erste Fliegerbombe abgeworfen wird, schreibt sie: „Und mit jedem Tag wird der Krieg verbrecherischer.“ Ihre Sprache ist klar, ihr Blick analytisch. Sie ist nicht mehr nur Mahnerin, sondern Diagnostikerin einer entfesselten Moderne.

Letzte Worte – und die falsche Stunde

Am 21. Juni 1914 stirbt Bertha von Suttner in Wien an Krebs. Ihre letzten Worte, überliefert von Alfred Hermann Fried: „Die Waffen nieder! Sag’s vielen – vielen.“ Es sind Worte, die wenig später unter dem Donner von Kanonen begraben werden. Wenige Wochen nach ihrem Tod beginnt der Erste Weltkrieg.

Der Weltfriedenskongress, für den sie im Herbst 1914 zurück nach Wien geladen hätte, findet nie statt. Stattdessen beginnt ein Krieg, der all das bestätigt, was sie beschrieben hat – und dem nichts mehr entgegensteht.


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