Magdalena Platzovás Roman Leben nach Kafka erschien 2022 zunächst in tschechischer Sprache und liegt seit 2024 in deutscher Übersetzung von Kathrin Janka im BALAENA Verlag Landsberg am Lech vor. Mit diesem Werk setzt Platzová einen markanten Akzent zum Abschluss des Kafka-Gedenkjahres 2024. In einem Jahr, das von Publikationen, Ausstellungen und Diskussionen rund um Franz Kafka geprägt war, fällt ihr Roman auf: Statt den Schriftsteller selbst erneut in den Mittelpunkt zu rücken, beleuchtet sie eine der zentralen, jedoch oft übersehenen Figuren seines Lebens – Felice Bauer. Der Roman hebt hervor, wie eng historische Fakten und persönliche Perspektiven miteinander verflochten sind, und setzt dabei auf eine besondere formale Gestaltung: Originalzitate und historische Dokumente sind kursiv gedruckt, um sie klar von den fiktiven Passagen abzugrenzen. (Leseprobe)
Franz Kafka, das Gedenkjahr und die Bedeutung von Felice Bauer
Das Kafka-Gedenkjahr 2024 würdigte weltweit das Leben und Werk eines der einflussreichsten Schriftsteller der Moderne. Kafkas Nachruhm, der sich vor allem auf seine literarischen Werke wie Der Prozess oder Die Verwandlungstützt, hat in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche neue Perspektiven auf seine Persönlichkeit und seine Beziehungen hervorgebracht. Besonders seine Verbindung zu Felice Bauer, dokumentiert in fast 500 Briefen, gehört zu den am intensivsten erforschten Aspekten seines Privatlebens. Doch während Kafka durch diese Briefe als zwiespältiger, oft unsicherer Mensch sichtbar wird, blieb Felice Bauer lange auf die Rolle der „ewigen Verlobten“ reduziert. Magdalena Platzová geht über dieses Klischee hinaus und zeichnet ein vielschichtiges Porträt einer Frau, deren Leben weit mehr war als nur eine Randnotiz in Kafkas Geschichte.
Felice Bauers Leben nach Kafka
Im Zentrum von Leben nach Kafka steht Felice Bauers Leben nach ihrer Trennung von Franz Kafka. Nachdem die beiden Verlobungen mit Kafka scheiterten, heiratete Felice den Industriellen Moritz Marasse und baute sich ein neues Leben auf. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern emigrierte sie in den 1930er Jahren aus dem nationalsozialistischen Deutschland zunächst in die Schweiz und später in die USA. Diese Erfahrungen der Flucht, des Neuanfangs und der Herausforderungen eines Lebens in der Fremde prägen die Handlung des Romans. Felice Bauer, später Marasse, wird hier nicht nur als „Kafkas Braut“, sondern als eigenständige Persönlichkeit sichtbar, die ihr Leben unter schwierigen Bedingungen neu gestaltete.
Neben Felices persönlicher Geschichte bringt Platzová auch ihr Umfeld zum Leuchten. Eine zentrale Rolle spielt Grete Bloch, eine enge Freundin von Felice, die als Vermittlerin in der Beziehung zu Kafka auftrat und deren tragisches Schicksal sie 1944 nach Auschwitz führte. Max Brod, Kafkas Freund und Nachlassverwalter, tritt ebenfalls auf, ebenso wie der Verleger Salomon Schocken und ein mysteriöser Fremder, der vorgibt, Kafkas uneheliches Kind zu sein. Diese verschiedenen Figuren und Episoden eröffnen einen breiten Blick auf die Zeitgeschichte und die Nachwirkungen von Kafkas Leben und Werk.
Historie und Fiktion klar getrennt
Platzová macht gleich zu Beginn deutlich, dass ihr Roman sowohl auf historischen Fakten als auch auf fiktionalen Elementen basiert. Um diese beiden Ebenen für die Leserschaft deutlich zu trennen, verwendet sie eine besondere formale Gestaltung: Alle Originalzitate und historischen Dokumente, etwa Briefe oder andere zeitgenössische Quellen, sind kursiv gedruckt, während die fiktionalen Passagen im regulären Schriftsatz gehalten sind. Dieser Kunstgriff unterstreicht nicht nur die historische Grundlage des Romans, sondern schafft auch Transparenz über die Grenzen zwischen dokumentarischer und literarischer Darstellung.
Die Kapitel sind dabei sowohl zeitlich als auch räumlich strukturiert: Von Berlin und Genf über Tel Aviv bis nach Los Angeles spannt Platzová einen Bogen, der die geografischen und historischen Dimensionen von Felices Leben abdeckt. Während einige Passagen dokumentarisch wirken, tauchen andere tief in Felices Gedankenwelt ein. Besonders eindrucksvoll sind Szenen, in denen Felice Kafkas Werk reflektiert, etwa das Amerika-Fragment, das sie auf einer persönlichen Ebene mit ihrem eigenen Leben verknüpft.
Magdalena Platzovás Recherchen
Die 1972 in Prag geborene Magdalena Platzová ist bekannt für ihre akribische Recherchearbeit, die sie auch für Leben nach Kafka intensiv betrieben hat. Eine entscheidende Rolle spielte dabei ihr Treffen mit Henry Marasse, dem Sohn Felice Bauers, in New York. Henry, ein Kinder- und Jugendpsychiater, steuerte wertvolle persönliche Erinnerungen und Dokumente bei, die Platzová in den Roman einfließen ließ. Unter anderem bestätigte er, dass seine Mutter kaum über Kafka sprach, die Briefe aber stets sorgsam aufbewahrte – weniger aus Verehrung für den Schriftsteller, sondern als Zeugnis eines bedeutsamen Lebensabschnitts.
Platzová verknüpft diese historischen Recherchen mit einer literarischen Erzählweise, die Felices Innenwelt und die Leerstellen ihres Lebens fiktional ausfüllt. Sie zeigt Felice als widerstandsfähige Frau, die sich den Herausforderungen ihrer Zeit stellte und zugleich mit dem Nachklang ihrer Beziehung zu Kafka umgehen musste.
Der Ruhelose: Franz Kafka und die Frauen in seinem Leben
Kafkas Beziehung zu Frauen war oft von Unsicherheiten und Widersprüchen geprägt. Seine Briefe an Felice Bauer spiegeln diese Ambivalenz wider: Sie oszillieren zwischen Zuneigung und Zurückweisung, zwischen der Hoffnung auf eine stabile Partnerschaft und der Angst vor Bindung. Doch während Kafka selbst nach seinem Tod zur Ikone der Moderne wurde, zeigt Platzovás Roman, wie Felice Bauer ihr Leben unabhängig von seinem Einfluss weiterführte.
Ein Roman, der Felice Bauer eine Stimme gibt
Mit Leben nach Kafka gelingt Magdalena Platzová eine literarische Annäherung an eine lange übersehene Frauengestalt. Durch den klaren Einsatz kursiver Passagen zur Markierung originaler Dokumente schafft sie eine transparente und zugleich vielschichtige Erzählstruktur, die den Leserinnen und Lesern sowohl historische Genauigkeit als auch literarische Freiheit bietet. Dieses Werk ist ein würdiger Abschluss des Kafka-Jahres und eine Einladung, Franz Kafka aus einer neuen Perspektive zu betrachten – durch die Augen einer Frau, die ihr eigenes Leben unter schwierigen Bedingungen meisterte.
Die Autorin
Magdalena Platzová, geboren 1972 in Prag, ist eine renommierte tschechische Schriftstellerin und Journalistin. Ihre Werke, darunter die international beachteten Romane Aaron’s Leap und The Attempt, verbinden historische Ereignisse mit fiktionalen Erzählsträngen. Platzová studierte Philosophie an der Karls-Universität in Prag und lebte in den USA, England und Frankreich. Ihre Romane widmen sich häufig Frauenfiguren, die im Kontext der politischen und gesellschaftlichen Umbrüche des 20. Jahrhunderts ihren Platz suchten. Mit Leben nach Kafka erweitert sie diese literarische Linie um ein Werk, das die Perspektive auf eine zentrale, aber oft übersehene Persönlichkeit im Leben Franz Kafkas lenkt. Heute lebt Magdalena Platzová in Lyon, Frankreich.