Der polnische Schriftsteller Jacek Dehnel hat kürzlich angekündigt, Berlin zu verlassen und nach Warschau zurückzukehren. In einem Interview mit Newsweek Polska äußerte Dehnel scharfe Kritik an den Lebensbedingungen in Deutschland und beschrieb sein Gefühl der Erleichterung, die Bundesrepublik zu verlassen. Seine Worte fanden auch in der Berliner- Zeitung Beachtung, die insbesondere seine umfassende Kritik an der deutschen Hauptstadt hervorhob.
Jacek Dehnel verlässt Berlin und kehrt nach Warschau zurück: Scharfe Kritik an Deutschland
Die Entscheidung, nach Warschau zurückzukehren, resultiert laut Dehnel aus einer tiefen Enttäuschung über die Entwicklungen in Berlin und Deutschland im Allgemeinen. In seinem Interview zeichnete er ein düsteres Bild von einer Stadt, die nicht mehr den Erwartungen vieler Expats gerecht werde. Der Autor beschrieb dabei nicht nur seine persönlichen Erfahrungen, sondern stellte die Probleme der Stadt in einen größeren gesellschaftlichen Kontext.
Kritik an Berlin und der Expat-Szene
Dehnel betonte, dass seine Kritik keineswegs ein Einzelfall sei. Viele der Expats, also die Menschen, die aus anderen Ländern mit hohen Erwartungen nach Berlin gekommen seien, würden mittlerweile desillusioniert die Stadt wieder verlassen. Berlin, einst bekannt für seine kulturelle Offenheit und Toleranz, für erschwingliche Mieten und eine pulsierende Kreativszene, könne diesen Ruf zunehmend nicht mehr erfüllen. Diejenigen, die einst von der multikulturellen Freiheit und dem unbeschwerten Lebensstil Berlins angezogen wurden, sehen sich nun mit wachsenden Problemen konfrontiert.
Dehnel zählt sich selbst zu dieser Gruppe enttäuschter Expats, die nach einer Zeit in der deutschen Hauptstadt beschlossen haben, weiterzuziehen. Er beschrieb, dass viele Expats von denselben Schwierigkeiten berichten und ähnlich wie er zu dem Entschluss kommen, Berlin den Rücken zu kehren.
Systemische Probleme in Berlin
Die Entscheidung, Berlin zu verlassen, sei laut Dehnel kein spontaner Entschluss gewesen, sondern eine Reaktion auf tiefere, strukturelle Probleme. Besonders die zunehmende Bürokratie und die schlechte digitale Infrastruktur in der Stadt sorgten bei ihm für Frust. Aufgaben, die in anderen Städten problemlos erledigt werden können, wie etwa die Eröffnung eines Bankkontos, gestalten sich in Berlin häufig als bürokratische Hürdenläufe. Diese Mängel spiegeln sich auch in internationalen Rankings wider, in denen Berlin regelmäßig hinter anderen großen Metropolen zurückbleibt.
Dehnel kritisierte zudem die Wohnungssituation in Berlin. Die Stadt sei von steigenden Mieten und einer akuten Wohnraumknappheit geplagt, was für viele Bewohner ein großes Problem darstelle. Die einst als günstig geltende Stadt habe sich in dieser Hinsicht drastisch gewandelt.
Menschliche Unfreundlichkeit und Probleme mit der Deutschen Bahn
Neben den strukturellen Problemen sprach Dehnel auch über zwischenmenschliche Schwierigkeiten, die er in Berlin erlebt habe. Er beschrieb die Stadt als von einer „passiv-aggressiven Atmosphäre“ geprägt, die das Leben im Alltag erschwere. Er berichtete von „Mikroaggressionen“, also kleinen, oft unbewussten Kränkungen, die er in Gesprächen und Begegnungen regelmäßig erlebt habe. Diese Erfahrungen hätten seine Entscheidung, Berlin zu verlassen, zusätzlich bekräftigt.
Darüber hinaus kritisierte Dehnel die chronische Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn, was ebenfalls einen frustrierenden Aspekt des Lebens in Deutschland für ihn darstellte. Er merkte an, dass selbst die polnische Eisenbahn, die PKP, mittlerweile zuverlässiger sei als die deutsche Bahn, was ihn zu der ernüchternden Feststellung führte, dass auch auf dieser Ebene Deutschland seinen einstigen Ruf als effizienter Staat verloren habe.
Politische Probleme und wachsende Ressentiments
Ein weiterer Punkt in Dehnels Kritik richtete sich gegen die politischen Entwicklungen in Deutschland. Er zeigte sich besorgt über den zunehmenden Einfluss der rechtsextremen AfD und den wachsenden Fremdenhass gegenüber polnischen und ukrainischen Minderheiten. In diesem Zusammenhang zog Dehnel auch Parallelen zu ähnlichen Entwicklungen in Polen, wo der Rechtspopulismus ebenfalls auf dem Vormarsch sei.
Diese politischen Spannungen und die zunehmende Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen trugen zu Dehnels Entscheidung bei, nach Warschau zurückzukehren. Er betonte, dass diese gesellschaftlichen Entwicklungen ihn in seiner Wahrnehmung stark belastet hätten und er eine ähnliche politische Situation in beiden Ländern beobachte.
Multikulturalität Warschaus als Alternative
Auf die Frage, ob er das multikulturelle Berlin vermissen werde, antwortete Dehnel, dass Warschau mittlerweile eine ebenso multikulturelle Stadt sei. Die polnische Hauptstadt habe sich in den letzten Jahren stark verändert und sei heute Heimat vieler verschiedener Nationalitäten. Dehnel betonte, dass es in Warschau inzwischen sogar leichter sei, ohne Polnischkenntnisse zurechtzukommen, als in Berlin mit mangelnden Deutschkenntnissen. Dieser Aspekt trug offenbar ebenfalls zu seiner Entscheidung bei, nach Polen zurückzukehren.
Einordnung und Ausblick: Ein größerer Diskurs
Die Entscheidung von Jacek Dehnel, Berlin zu verlassen, wirft größere Fragen auf, die über seine persönliche Erfahrung hinausgehen. Seine Kritik verweist auf strukturelle Probleme in der Stadt, die von vielen Expats und Einwohnern geteilt werden. Die Gentrifizierung und die steigenden Lebenshaltungskosten haben Berlin in den letzten Jahren drastisch verändert, sodass die Stadt nicht mehr das kreative Paradies ist, das sie einst war.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Rolle Künstler und Intellektuelle in diesen gesellschaftlichen Veränderungen spielen. Kunst und Kultur waren stets ein Motor für sozialen Wandel, doch in vielen Fällen entstehen diese Impulse erst in der Abgeschiedenheit. Dehnels Entscheidung könnte als ein Zeichen gesehen werden, dass Kreative zunehmend gezwungen sind, sich aus schwierigen Verhältnissen zu lösen, um neue Perspektiven und kreative Freiheiten zu gewinnen.
Die Migration von Künstlern zwischen verschiedenen Städten ist ein Phänomen, das in einer globalisierten Welt zunehmend an Bedeutung gewinnt. Der kulturelle Austausch und die Mobilität innerhalb Europas bieten viele Chancen, werfen jedoch auch die Frage auf, wie tiefgreifende Probleme an einem Ort gelöst werden können, wenn viele die Möglichkeit haben, einfach weiterzuziehen.
Vita von Jacek Dehnel
Jacek Dehnel, geboren 1980 in Danzig, ist ein vielfach ausgezeichneter polnischer Schriftsteller, Dichter und Übersetzer. Er studierte Polonistik an der Universität Warschau und erlangte durch seine Gedichtbände und Romane internationale Bekanntheit. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Lala“ und „Saturn“. Dehnel ist auch als Übersetzer tätig und hat unter anderem Werke von Philip Larkin und Oscar Wilde ins Polnische übertragen.
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