Wie der Eiffelturm zum Berlin Gefühl wurde Seite 3

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Diese Treffen wiederum wurden umst.ndlich von der Stasi hintertrieben. Die Töchter des Dichters hatten inzwischen studiert. Eine war eine polnische Germanistin geworden. Sie kam im Sommer 1989 zu Sophie nach Berlin und fing an, ihr Gelerntes anzuwenden: "Hast du gut geschlafen? Gib mir bitte noch ein Brötchen! Wie komme ich zum Grenzübergang? Und wo ist der Polenmarkt in Westberlin?" Es waren ihre ersten Konversationen auf Deutsch. Mit ihrem polnischen Pass verließ die junge Frau früh das Haus von Sophie, um abends wieder zurück zu kommen. Der Eiffelturm schien aus dem Westen her unverschämt zu winken. Bloß nicht darüber sprechen. Überhaupt verlor in diesem Jahr die Rede vom Eiffelturm vollständig ihre Zauberkraft. Als am 9. November die Mauer aufging, musste erstmal dieser andere Berlinteil erkundet werden.

Und doch erreichten Sophie poetische Nachrichten aus Krakau, wo jetzt zwei Nobelpreisträger tatsächlich lebten. Die Szymborska und Herr Milosz. Die Totenfeier für T. Kantor fand seltsamerweise als Geburtstagsfest in Berlin im Theater am Ufer statt und wanderte später sogar in die Kulturbrauerei zu den Leuten von Ramba Zamba.

Sophie fuhr das erste Mal nach Krakau in ein reserviertes Hotelzimmer. Sie überprüfte die Gedichte, die vor Ort spielen und las wieder die, die über sie geschrieben waren. Sie stimmten noch. Ein bisschen verschlug es ihr den Atem von der Ofenheizungsluft. Das war sie nicht mehr gewöhnt. Das Caf. Rio gab es nicht mehr. Die guten alten blauweißen Straßenbahnen ratterten immer noch über die bekannten Routen. Auch die Tauben und Krähen waren tätig im Novembernebel. Die neuen Filialen bekannter Ketten machten sie schrecklich melancholisch wie die zu vielen zusammengeklappten Sonnenschirme auf dem Rynek. Die Regale mit den Gedichten in den Buchhandlungen schienen in die letzten Ecken verbannt. Es gab sie aber noch.

Irgendwann kamen keine Briefe des Dichters mehr an. Sophie schaute alle paar Jahr im Internet, wie es ihm ging. Scheinbar alles gut. Er hatte sogar Erfolg mit einer Band, die seine Texte vertont hatte. Altes gutes Ehepaar. Junge Leute sangen beim Camping abends am Feuer zur Gitarre diese Lieder.

In Sophies Leben hatte es etliche Abenteuer und auch Kontinuitäten gegeben, als plötzlich der 60. Geburtstag anstand. Von Rente keine Spur und der bundesdeutsche Pass hatte schon Eintragungen aus vielen Ländern. Mal wieder nach Paris? Einmal war sie dort, um vor französisch sprechenden Leuten aus afrikanischen Ländern einen Vortrag über die Ostgrenze der EU auf Englisch zu halten. Nach dem Tod ihrer Mutter war sie auch nach Paris geflogen und hatte sich dort auf den verschiedenen Friedhöfen etwas getröstet.

Dass die Verabredung mit dem Dichter noch gelten könnte, war eher unwahrscheinlich. Sie könnte aber trotzdem endlich auf den Eiffelturm steigen und eine Postkarte nach Krakau schicken. Dazu kam es aber nicht.

Sie packte die Dichterbriefe in ein Päckchen zusammen und gab das in ein Archiv.

In der neuen Wohnung kann Sophie den Fernsehturm von ihrem Schlafzimmer aus sehen, wenn es nicht zu neblig ist. Dann denkt sie manchmal, dass es ja ihre Geschichte vom Treffen auf dem Eiffelturm gibt. Und die gehört nun schon zu dem Berliner Menü, das sich jeden neuen Tag in der Zeitung an Veranstaltungen darbietet. Schön, dass es das alles gibt. Doch muss ich gleich heute dahin gehen?


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