Wie der Eiffelturm zum Berlin Gefühl wurde Seite 2

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Eine mittelalterliche Sponsorin im Kreis der Stifterfiguren. Die einzige lächelnde Figur im Westlettner. Zurückkommen war immer furchtbar. Alles voraussehbar. Deshalb machte sie sich immer wieder auf, kaufte das kleine Handwörterbuch und beschloss, das Russische beiseite zu lassen. Slawische Wortstämme konnten immerhin helfen, Ankerwörter in Gedichten zu verstehen, die sogar oft alltagstauglich waren. Und sie kam mit ihrem Dichter im Gebrauch des Polnischen voran. Nach ausführlichen Begrüßungen und Minidialogen war es an der Zeit, seine Gedichtbändchen aufzuschlagen und zu übersetzen. Er deklamierte auch gern. Bei den Lesungen waren es hübsche Schauspielerinnen, die die Verse sehr gut verständlich vortrugen. Eine andere Lehrerin war eine S.ngerin. Leibhaftig trat sie nicht mehr auf. Ewa Demarczyk. Aber alle kannten ihre Lieder, die irgendwie im Hintergrund klangen. Kein Herzschmerz, sondern echte Gedichte. Gesungen mit Brillanz und Feuer.

Der Dichter hatte keine Ahnung von der DDR. Sein Kumpel, auch ein Dichter, sagte, dass es dort langweilig w.re aber man k.nnte ja nach Leipzig fahren, um Schuhe zu kaufen. Dem hatte sie wenig entgegen zu setzen. Das schmerzte schon, denn au.er ihrem 20 Jahre alten Dasein, das sich gut fotografieren, bedichten, einladen und herumzeigen ließ, hatte sie ja immer das Problem mit der Rückfahrkarte. So kam es zwischen all der Poesie dazu, dass sie ihrem Dichter klar machen konnte, wie klein ihre Welt war. Was die Mauer in deutschen Landen bedeutet, die unerreichbaren Verwandten in Hamburg und Wolfenbüttel.

Als Erster kam er auf die Idee, die schließlich ein geflügeltes Wort zwischen ihnen wurde: ein Treffen auf dem Eiffelturm an Sophies 60. Geburtstag. Damals war es unvorstellbar weit weg. Zeitlich und r.umlich. Aber die Idee existierte und wurde ab und zu lachend erwähnt. Der Dichter hätte bis dahin alle Preise abgeräumt und könnte sie ausführen. Sophie dagegen begann, ihre Ausweglosigkeiten in Versen und Briefen zu beschreiben.

Es gab ja noch die Bücher von Herrn Milosz aus dem fernen Amerika, der sie als Flaschenpost über den Atlantik schickte und die weisen Alltagsklugheiten einer Wislawa Szymborska. Deren Spuren führten nach dem Revolutionsjahr sogar ins polnische Kulturinstitut an der Karl-Liebknecht-Stra.e in Ostberlin.

Doch im Bündel der Briefe des Dichters waren noch Spuren von weiteren gemeinsamen Stationen. Dankesbriefe für Pakete mit Sachen. Wie Besuche m.glich sind angefragt. Auf Einladungen oder wie. Einmal fuhr der Dichter sogar nach Naumburg. Sophie war gerade an diesem Tag zum Flötenunterricht in Leipzig. Ohne sich unterhalten zu können war dem Dichter langweilig und er beschloss mit Sophies Mutter sie vom Bahnhof abzuholen. Sie war zu diesem Zeitpunkt schon ein paar Jahre erblindet. Trotzdem gingen die beiden los. Nicht weit gekommen – am Georgentor - gab die Mutter auf und wollte jemanden fragen, wie sie wieder nach Hause kommen. Ein Passant wurde angesprochen: "Ich bin blind und dieser Herr versteht kein Deutsch, wie kommen wir zum Lindenring?" Sie sind hingekommen.

Eine Tour unternahm der Dichter sogar nach Wolfenbüttel zu Sophies Tante. Es sollte dort im Zonenrandgebiet sogar einige Polen-Interessierte geben. Die gab es auch, aber die Tante kam mit dem Dichter nicht zurecht. Empört erzählte sie am Telefon, er hätte gesagt, die deutschen Frauen seien h.sslich. Weit entfernt von normalen Beziehungen zwischen den Ländern und auch Leuten fand Sophie, es hat nur Zweck, den Dichter mit Frau und Kindern zusammen einzuladen.





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