Der Oktober rückt näher, und mit ihm ein Ereignis, das jedes Jahr aufs Neue für Unruhe in Literaturhäusern, Feuilletons und Bibliotheksfluren sorgt: die Verleihung des Literaturnobelpreises. Noch ist die Entscheidung geheim, aber draußen vor dem ehrwürdigen Haus der Schwedischen Akademie wird längst gewettet.
Favoriten unter Beobachtung – Quoten statt Kanon?
Seit dem Sommer hat sich in den Quoten einiges getan. Während draußen Herbstlaub fällt, sortieren die Buchmacher fleißig ihre Favoritenlisten neu. Und obwohl der Literaturnobelpreis gemeinhin als „unberechenbar“ gilt, scheint es doch so etwas wie eine Schwarmmeinung zu geben – zumindest, wenn man den Zahlen glaubt.
Can Xue und Krasznahorkai – Poesie des Rätselhaften
Die chinesische Autorin Can Xue, die seit Jahrzehnten Texte schreibt, als hätte Kafka sich mit einer surrealistischen Traumdeuterin zusammengetan, steht inzwischen ganz oben auf der Liste. Und das gleich bei mehreren Wettanbietern.
An ihrer Seite: László Krasznahorkai, der ungarische Meister des apokalyptischen Satzes, der in epischer Länge die Ränder des menschlichen Daseins kartiert.
Beide gelten nicht gerade als leichte Lektüre – aber vielleicht gerade deshalb als perfekte Kandidaten für eine Auszeichnung, die nicht selten das Abseitige adelt.
Haruki Murakami – immer noch im Spiel
Auch Haruki Murakami ist weiterhin präsent – wie ein literarischer Dauerläufer, der nie aufgibt, obwohl die Ziellinie sich Jahr für Jahr verschiebt. Seine Quoten sind stabil, sein Status als ewiger Anwärter bleibt unerschüttert. Sollte er tatsächlich gewinnen, wäre das wohl der einzige Moment, in dem Buchmacher weltweit kollektiv aufatmen.
Cărtărescu & Carson – einst Favoriten, nun Verfolger
Mircea Cărtărescu, der rumänische Architekt traumhafter Prosa-Kathedralen, ist im August noch gleichauf mit den Spitzenreitern gehandelt worden – inzwischen hat sich der Markt leicht abgewendet. Auch Anne Carson, Kanadas große Grenzgängerin zwischen Lyrik, Essay und Antike, ist mittlerweile aus der ersten Reihe gerückt.
Beides bedeutet jedoch wenig: Die Geschichte des Literaturnobelpreises ist reich an Preisträgern, die kurz vorher niemand mehr auf der Rechnung hatte – siehe 2024.
Neu im Ring: Rivera Garza und Vila-Matas
Zwei neue Namen mischen das Feld auf:
Cristina Rivera Garza, deren literarische Grenzgänge zwischen Körper, Sprache und Geschichte zunehmend Aufmerksamkeit erhalten, und Enrique Vila-Matas, der das Schreiben selbst zur Erzählung macht. Beide sind nicht die typischen Quotenstars – aber das war Bob Dylan ja auch nicht.
Und die Moral von der Geschichte?
Han Kang lässt grüßen: Die südkoreanische Autorin gewann 2024 mit einer Quote von 33:1 – also deutlich außerhalb des Favoritenfelds. Ihre stille, präzise Literatur war kein Wettgewinn, sondern ein literarisches Statement.
Und genau darin liegt das Paradox dieses Preises: Er entzieht sich dem Markt – und wird trotzdem von ihm begleitet.
Stockholm bleibt unberechenbar
Die Quoten zeigen, wer gelesen, diskutiert und im Gespräch ist – nicht, wer gewinnt. Und das ist vielleicht auch gut so. Denn selbst wenn die Schwedische Akademie einmal mehr das Unerwartete wählt, erzählt das Warten auf den Nobelpreis vor allem eines: dass Literatur auch im Jahr 2025 noch Anlass für Spekulation, Hoffnung, Debatte – und ja, sogar ein bisschen Nervenkitzel ist.