Immer schön vorsichtig sein bei seltsamen Pflanzen – das zeigt dieser zweite Band: Urfin, ein Tischler mit Holzbein und Hang zur Kontrolle, entdeckt im Garten ein widerstandsfähiges Kraut. Er hackt, trocknet und löst es – und siehe da: ein Pulver, das Holzklötze zum Leben erweckt. Schnell entstehen uniform wirkende Holzsoldaten, eine Armee ohne Herz und Verstand, aber schlagkräftig genug, die Smaragdenstadt zu erobern. Die gute Nachricht: Elli, der Scheuch und der Eiserne Holzfäller sind schon misstrauisch genug, um rechtzeitig Alarm zu schlagen – mit Hilfe eines Seemanns und losem Plan. Am Ende kippt der Pulk aus Spießern und Holzbeinen, weil das Pulver versieg
Inhalt auf den Punkt
Urfin ist kein einfacher Bösewicht: ein Einzelgänger, clever, wütend auf das spontane Wuchern der Natur. Er schafft eine Armee, besetzt die Smaragdenstadt und sperrt jene Herrscher ein, die sich ihm in den Weg stellen. Doch während die Soldaten marschieren, wächst der Zweifel – und mit ihm Elli, die sich erneut auf den Weg ins Zauberland macht, um Freunde zu befreien und Ordnung wiederherzustellen. Freundschaft, List, Pardons? Alles dabei – und doch nie formelhaften. Die Holzsoldaten zerbrechen, Urfin scheitert, und die alten Mächte stellen sich neu auf.
Für junge Leser: Zwischen Abenteuer und Ordnung
Wolkows Sprache bleibt klar, die Struktur überschaubar, aber mit Tiefe: Zweitklässler, die beim ersten Band mutig in die Welt der längeren Geschichten eingestiegen sind, finden hier eine Herausforderung, die sie verstehen wollen – ohne überfordert zu sein. Die Figuren sind bekannt, doch der Plot birgt Wendungen: Intrigen, Machtmissbrauch und Befreiung. Ideal, um die emotionale Reife sachte zu steigern – und zum Weiterlesen zu motivieren.
Die Illustrationen helfen dabei verbindlich: Wladimirski zeigt Urfin mit pilzender Stirne, Holzsoldaten mit starren Blicken, Elli mit entschlossener Haltung. Jedes Bild ist ein Mini-Kommentar, ein Ausdruck der inneren Mechanik, die Wolkow erzählt – nicht überdeutlich, aber spürbar. Für Kinder bieten die Bilder erneut visuelle Pausen, die Textmotivationen verstärken – ein stiller Leseturbo.
Bild und Atmosphäre: Der Klang des Unnötigen
Wladimirski lässt hier nicht nur Figuren sprechen, sondern Gefühle auf der Linie tanzen: Urfins Schlitzaugen sprechen von Geltungssucht, die Holzsoldaten vermitteln Ordnung um jeden Preis, die Farbigkeit (wenn vorhanden) signalisiert Schärfe und Dominanz. Fast fühlt man das Holz knarren. Der Scheuch wirkt ängstlich erleuchtet, der Holzfäller fest und schwer – jeder Strich absurd ernst, ohne grotesk zu werden.
Und natürlich bleibt die typische leichte Verschiebung der Illustrationen zu Textstellen bestehen – doch das ist weniger Störfaktor als Hinweis darauf, dass Wort und Bild ihre eigene Melodie spielen. Gemeinsam entstehen so Zwischentöne, die im Text allein kaum hörbar wären.
Kritische Einordnung: Macht & Moral im Märchen
Wolkow beschwört hier nicht nur Abenteuer, sondern Auseinandersetzung: Machtgier trifft auf Gemeinschaft, Technik (Holzsoldaten) auf Reflexion (Elli & Co.). Urfin bleibt ambivalent: kein böser Erzschurke, sondern ein verletzter Mensch, der nach Kontrolle greift – was ihn besonders nahbar macht. Die kindliche Leserschaft erlebt keine abstrakte Welterlösung, sondern praxisnahes, moralisches Handeln: Freundschaft, Solidarität und Klugheit als Heilmittel gegen rohe Gewalt.
Illustrativ weitergedacht: Wladimirski übersetzt diese Prinzipien in Linien und Schatten, nicht in Symbolik – die Bilder unterstützen, aber übernehmen nicht. Sie erinnern: hinter der kleinen Armee steckt ein einzelner, konfliktreicher Kopf.
Schon erwachsen im Schatten des Sturms
Dieser Band zeigt, dass Wolkow über das reine Abenteuer hinausdenkt: Konflikte entstehen nicht aus dem Nichts, sondern aus Wünschen, Frust und Kontrolle. Für junge Leser ist das ein weiterer Schritt – nicht zu komplex für Anfänger, doch gehaltvoll genug, um das Lesen zu bestärken. Elli bleibt Heldin, doch Urfin ist die Figur, bei der man fragt: Was passiert, wenn man Kontrolle liebt?
Und Wladimirski fügt hinzu, was Worte ahnen lassen: dass Holz keine seelenlose Materie bleibt, sondern zum Spiegel einer Gesellschaft wird – karg, starr und fremd.
Über den Autor & Illustrator
Alexander Wolkow, 1891–1977, widmet sich mit dem zweiten Band seiner Reihe dem Thema Macht in Kinderform, aber ohne erhobenen Zeigefinger. Leonid Wladimirski bleibt der visuelle Erzählerpartner: klar, ausdrucksstark, nie pathetisch. Gemeinsam schreiben sie ein Buch, das flüstert und schallt zugleich.
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