Anni ist zehn, ein bisschen schüchtern und eher reisemüde als abenteuerlustig. Während ihre Freundinnen von Meeresrauschen und Sonnencreme träumen, wird sie von ihren Eltern – beide beruflich in Sachen Tierdokumentation unterwegs – in den brasilianischen Dschungel mitgenommen. Der ursprüngliche Plan, die Ferien bei der Großmutter zu verbringen, ist geplatzt. Und Anni, die ihre Abenteuer lieber zwischen Buchdeckeln erlebt, sieht sich plötzlich mit einer Realität konfrontiert, die sie gar nicht bestellt hat: fremde Tiere, fremde Geräusche, fremde Welt.
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Die Ankunft im Dschungel bringt das, was man einen Kulturschock nennen könnte: eine einfache Hütte, ungewohnte Geräusche, eine alles andere als willkommene Freiheit. Doch dann passiert, was in gut erzählten Kinderbüchern oft ganz selbstverständlich daherkommt: Ein Frosch taucht auf – genauer gesagt: ein regenbogenfarbenes Exemplar – und verleiht Anni die Fähigkeit, Tiere zu verstehen.
Tierisch gute Begleiter und eine Hauptfigur, die lieber liest als lebt
Von hier an nimmt die Geschichte Tempo auf – und zwar ohne sich in Kitsch oder Klischees zu verfliegen. Anni trifft auf eine singende Kakerlake, einen Straßenhund mit unverkennbarer Berliner Schnauze und ein Jaguarkind mit eigenem Kopf. Was auf dem Cover halb versteckt beginnt, entwickelt sich im Text als dynamische, warmherzige Tierfreundschaftsgeschichte – mit genug Rätseln, um die Neugier wachzuhalten, und genug Erdung, um nicht ins Fantastische abzurutschen.
Die zentrale Figur bleibt dabei glaubwürdig: ein Mädchen, das nicht einfach zur Abenteurerin wird, sondern mit dem, was sie erlebt, wächst. Die Idee, dass Lesen eine Art Vorbereitung auf das Leben sein kann – oder zumindest ein Fluchtweg aus ihm –, wird hier nicht als Schwäche, sondern als Stärke erzählt.
Illustrationen, die mitdenken
Phine Wolff begleitet die Geschichte mit farbenfrohen, atmosphärisch dichten Bildern. Besonders gelungen: die Karte zu Beginn, die Kindern eine räumliche Vorstellung vermittelt, ohne belehrend zu wirken. Kleine visuelle Rätsel, wie das im Cover halb versteckte Tier oder überraschende Details am Kapitelanfang, laden zum Entdecken ein – und machen das Buch auch für jüngere Kinder gut zugänglich. Der Dschungel wirkt dabei nie wie ein exotischer Tapetendruck, sondern als lebendiger, irritierender, faszinierender Raum.
Erzählton und Zielgruppe
Annika Preil – bekannt als „Anna“ aus der TV-Reihe Anna und die wilden Tiere – gelingt ein Debüt, das auf Erfahrungen aus der Kinderkommunikation aufbaut, aber sprachlich eigenständig bleibt. Der Ton ist direkt, klar, ohne anbiedernd zu sein – und bewahrt sich durchgehend eine kindgerechte Perspektive. Auch Kinder unterhalb der empfohlenen Altersgruppe (ab 7 Jahren) finden hier Zugang. Dass das Buch auf stereotype Geschlechterrollen verzichtet, wirkt dabei fast nebenbei – und ist genau deshalb angenehm auffällig.
Vom Werden und Wachsen
Ein Kinderbuch, das mit einem schüchternen Ich beginnt und mit einer innerlich gereiften Figur endet. Ein Frosch als Türöffner, Tiere als Spiegel, und ein Dschungel, der nicht nur Ort, sondern Zustand ist. Annis wilde Tierabenteuer – Auf in den Dschungel!! verbindet Spannung mit Charme, Humor mit Erkenntnis – und das in einer Sprache, die junge Leser ernst nimmt, ohne sich aufzuspielen. Verdient prämiert. Und vor allem: sehr gut vorzulesen.
Baumhaus Verlag (Bastei Lübbe), 2023
usgezeichnet mit dem Deutschen Kinderbuchpreis 2024
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