Der Busfahrer Seite 3

Vorlesen
- 3 Seiten -

Als der Bus sich wieder vom Bürgersteig auf die dampfende Straße hob, stand der Flüchtling vor dem Plakat der Satirepartei, unter dem Plakat der rechten Partein und unter dem Plakat der rechtsextremen Partei. Die wässrigen Augen waren wieder auf den Asphalt gerichtet, nachdem sie den Flüchtling die ganze Zeit, die er zum Aussteigen gebraucht hatte, gemustert hatten. Ich irrte mit meiner Aufmerksamkeit im Innenraum des Busses herum und meinte nirgendwo in der Situation halt finden zu müssen. An der nächsten Haltestelle konnte der nächste Flüchtling einsteigen oder der nächste Deutsche mit Migrationshintergrund. Vielleicht kannte der Busfahrer jemanden.

Ich sah immer wieder in den Rückspiegel und traf die wässrigen Augen nicht öfter als sonst. Ich war Peripherie, dazu verdammt aus dem Fenster zu glotzen. Die anderen Fahrgäste grimassierten ausgeglichen durch ihren Morgen und ich muss es ihnen nachgetan haben, denn ich fiel niemandem auf, so wie auch mir niemand auffiel. Vorne schalteten die tätowierten Arme an den Hebeln und Kurbeln des Busses.

Ich steckte in den Schienen der Routine und fragte mich, ob der Flüchtling mit den Metallsplittern im Schädel noch unter den beiden Plakaten stand und sich das Dritte ansah. Ob er jeden Tag nur eine Station mit dem Bus fuhr. Ob er wirklich hatte aussteigen wollen und ihm die wässrigen Augen nur signalisiert hatten, dass sein Stop gekommen war. Ob er lieber an den Plattenbauten und Gärten, an den Plakaten und Haltestellen vorbeiging, als im Bus oder in der Straßenbahn vor der zerfließenden Umwelt einzuschlafen, wie ich es jeden Morgen tat. Hier gab es keinen Sand, keine Ruinen und Metallsplitter flogen auch nicht durch die Luft.

Bald kam der Hauptbahnhof und das Klinikum und ich stieg aus, ohne dass sich die wässrigen Augen je wieder so veränderten, wie sie es am Anfang getan hatten. Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke hoch, sodass er mir den Kragen wie einen Schal um den Hals schloss und ging zur Arbeit. Als ich am Straßenübergang die hektisch vorbeifahrenden Autos abwartete, versprach ich mir selbst, am Nachmittag nicht den Bus zurück zu nehmen, sondern zu laufen. Es würde wärmer sein und vielleicht würde ich den Flüchtling treffen.

Doch um kurz nach Vier wartete ich wieder auf den Bus. Er kam mit einem anderen Busfahrer. Ich stieg ein ohne mich zu erinnern. Auf der ganzen Rückfahrt sah ich nicht ein fremdes Gesicht einsteigen, so lange, so rhythmisch fuhr ich schon Bus. Als ich am Studentenwohnheim ausstieg war ich ausgeglichen. Erst als ich Abends im Bett lag und schon fast in den Schlaf sank, erinnerte ich mich an den Flüchtling. Ich wunderte mich, dass ich am Morgen so exzessiv an ihn gedacht hatte. Es musste an den Metallsplittern in seinem Schädel gelegen haben, die ihm in Afghanistan in den Kopf geflogen waren.


Gefällt mir
2
 

Weitere Freie Texte

Aktuelles