Der Busfahrer Seite 2

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Schon beim Nächsten stieg ein afghanischer Flüchtling ein. Ich kannte ihn, weil er mit Schwindel auf unsere neurologische Station gekommen war. Im MRT sah man winzige Metallsplitter, die in seine Kopfhaut eingewachsen waren. Einer von den Ärzten hatte sarkastisch gesagt: Afghanistan ist sicher, da fliegen nur Metallsplitter durch die Luft. Jetzt saß wieder ein Mensch vor mir, der diese Metallsplitter in sich hatte, den Beamte zurück in die Verwüstung schicken wollten. Er war wahrscheinlich in unsere Notaufnahme gekommen, damit man ihn und seine Familie nicht einpackte und zurück frachtete.

Trotzdem musste ich zugeben, dass er mich nicht interessierte. Genauso wenig wie die Bilder in den Nachrichten von den staubigen Ruinen unter einer Sonne, die gut genug war, um über dem Paradies zu scheinen. Ich war desensibilisiert und wollte es nicht anders. Meinen Kopf in die Hand gestützt versuchte ich am Fensterrahmen ein Widerlager für meine Ellenbogen zu finden, während mein Blick durch den Flüchtling mit den Metallsplittern im Schädel fuhr als gäbe es weder ihn noch den Bus, der uns alle unseren unterschiedlichen Destinationen näher brachte.

Im Rückspiegel erschienen die wässrigen Augen des Busfahrers. Sie schienen erst mir zu gelten, glitten dann aber klar und unverrückbar auf den Flüchtling, der wie ich durch Fensterscheibe und Bus hindurch ins Leere starrte. Vielleicht wollte uns der Blick des Busfahrers ermahnen, nicht das Leben in Abstraktion und Gleichgültigkeit zu verlieren. Ich sah den Flüchtling an und fühlte, wie die Aufmerksamkeit der Fahrgäste einen Feuerkreis um ihn zog. Wäre doch nur ein weiterer Flüchtling mitgefahren. Oder wenigstens jemand mit Migrationshintergrund. Alles konzentrierte sich auf den Mann mit den Metallsplittern im Schädel und ich stellte mir vor, wie er vor den wässrigen Augen wieder nach Afghanistan fliehen musste, wo Metallsplitter in der Luft herum schwirrten, wenn ich nicht aufstehen würde. Und ich hätte aufstehen und mich vor ihn stellen können, einfach in die Tür zwischen dem Rückspiegel und den Metallsplittern, inkognito als zufällige Bewegung der Umwelt im kühlen Morgen des Patriotismus. Ich blieb sitzen. Und auch der Flüchtling mit seinen Metallsplittern blieb still.

Schon stoppte der Bus. Ich kannte die Bushaltestelle nicht, sie war an früheren Tagen immer unbemerkt über die Scheibe gewischt. An der Straßenlaterne neben dem Bus hing weit oben das Plakat einer rechtsextremen Partei, das gegen Überfremdung keifte, darunter das Plakat einer rechten Partei, das gegen Überfremdung keifte, darunter das Plakat einer Satirepartei, das für einen Politiker mit kurzem Atem warb. Die wässrigen Augen waren auf den Flüchtling gerichtet, als gäbe es die Straße nicht mehr. Ich saß in meiner Plastikschale. Niemand stieg ein, niemand stieg aus. Bis der Flüchtling mit den Metallsplittern im Kopf aufstand.



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