Frank Uekötter - "Atomare Demokratie" Atomkraft Ja, Nein, Ja, ...

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Frank Uekötter ist Professor für Geschichte und geisteswissenschaftliche Umweltforschung an der Universität Birmingham in Großbritannien. In seinem Buch "Atomare Demokratie" zeichnet der die Geschichte der Atomenergie in Deutschland nach. Bild: Franz Steiner Verlag

In seinem Buch "Atomare Demokratie" zeichnet der Umwelthistoriker Frank Uekötter die Geschichte der Atomkraft in Deutschland nach und zeigt wichtige Wendepunkte auf dem Weg einer einst als Zukunftstechnologie gehandelten Form der Stromproduktion. Dass die Geschichte der Atomkraft tatsächlich die Zukunft berührt, ist bereits ein Allgemeinplatz. Uekötter zeigt, wie auf leiser Zustimmung lautstarke Proteste folgten, welche gesellschaftlichen und politischen Lernprozesse dabei in Gang gesetzt wurden und wie deutsche Atom-Geschichte bis heute wirkt.

Heute hat das Europaparlament beschlossen, dass Investitionen in Atomkraft und Gas unter bestimmen Umständen als nachhaltig eingestuft werden können. Ein weiterer Schritt innerhalb einer seit Jahrzehnten kontrovers geführten Debatte, die der Umwelthistoriker und Autor Frank Uekötter in seinem kürzlich erschienen Buch "Atomare Demokratie" ausbreitet. Uekötter erzählt darin die Geschichte der Atomkraft in Deutschland mitsamt ihren Ab- und Umbrüchen, Höhen und Tiefen. Am Ende bezeichnet er die jahrzehntelange Auseinandersetzung um die Technologie als eine Erfolgsgeschichte der Verhandlungsdemokratie.

Ausstieg, Verlängerung, Wiedereinstieg?

Gerade angesichts der gegenwärtigen Diskussionen um einen kalten Winter, Verzicht und Einsparungen ist ein Blick auf diese Atom-Geschichte Deutschlands aufschlussreich und empfehlenswert. Jetzt, wo vereinzelt von einer Art Übergangs-Wiedereinstieg in die Atomkraft gesprochen wird, empfiehlt es sich, sich jene "Erfolgsgeschichte" - die Ende 2022 mit dem Abschalten der letzten Kernkraftwerke enden sollte - noch einmal zu Gemüte zu führen.

Uekötter erzählt von den Anfängen der Atomenergie in den fünfziger Jahren. In die Zeit der Wirtschaftswunderjahre hineingeboren, erschien die Technologie in ihren Anfängen vielversprechend zukunftsweisend. In den siebziger Jahren dann, kam es vermehrt zu Kontroversen. Öffentliche Kundgebungen und aufkommende Proteste, die. wie Uekötter zeigt, nicht nur im Sinne gewaltbereiter Linksextremer waren, sondern auch von Normalbürgern unterstützt wurden. In diesen Auseinandersetzungen sieht der Umwelthistoriker die großen Fragen einer offenen Gesellschaft verhandelt. Demokratische Debatten, die Lernprozesse nach sich zogen, die unseren Umgang mit politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen bis heute prägen.

So funktioniert Demokratie

Der rasante Imagewechsel, den die Atomkraft in Deutschland durchlebt hat, ist, wie Uekötters Buch deutlich macht, nicht von einer Demokratisierung der Bundesrepublik zu trennen. Öffentliche Proteste, wie wir sie heute von allen Seiten für selbstverständlich halten, waren in den 50er Jahren kaum denkbar. Dass eine solch demonstrative und demokratische Form der politischen Teilhabe von Seiten der Bürgerinnen und Bürger heute möglich ist, ist also zu einem großen Teil der damaligen Anti-Atomkraft-Bewegung zu verdanken.

In einem Interview bezeichnete Frank Uekötter "den Konflikt um Atomkraft als ein gutes Lehrstück für gelebte Demokratie". Auch die heute vom Europaparlament getroffene Entscheidung, Investitionen in Erdgas und Atomkraft unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig einzustufen, hat bereits für Kritik und Empörung gesorgt. Greenpeace kündigte nach der Abstimmung rechtliche Schritte an. Friedas for Future sprach von einer "katastrophalen Entscheidung". Letztlich geht es darum, aus der "Atomaren Demokratie" das "Atomare" zu tilgen. Frank Uekötters Buch zeigt, dass bereits gewaltige Schritte in diese Richtung hinter uns liegen, und jeder weitere sich lohnt.


Frank Uekötter - "Atomare Demokratie: Eine Geschichte der Kernenergie in Deutschland"; Franz Steiner Verlag, 2022, 380 Seiten, 29 Euro


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