Heimkehr, Trümmer, Stunde Null Günter Eich: "Seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt"

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Der Lyriker Günter Eich gilt als einer der bedeutendsten Nachkriegsautoren deutscher Sprache. In seinen Gedichten zeigte er die Leiden der Kriegsgefangenen. In seinem berühmtesten Hörspiel "Träume" forderte er die Bundesrepublik dazu auf, sich vor den Leiden der Welt nicht zu verstecken. Bild: Detlefhansenfoto - Eigenes Werk (Wikipedia)

"Dies ist meine Mütze, dies mein Mantel, hier mein Rasierzeug, im Beutel aus Leinen" - so beginnt Gedicht "Inventur" des Schriftstellers Günter Eich, welches heut zu einem der einschlägigsten Werke der sogenannten Trümmerliteratur zählt. Erstveröffentlicht wurde "Inventur" 1947 in der von Hans Werner Richter herausgegebenen Anthologie "Deine Söhne, Europa", die deutsche Kriegsgefangenenlyrik versammelte. Früh galt Eich als einer der profiliertesten Autoren der Gruppe 47. Seine Gedichte zeigen menschliche Abgründe; Leid, Not und Ekel. Ebenso provozierte er die Wirtschaftswunder-Bundesrepublik mit seinem Werk. So sorgte sein 1951 gesendetes Hörspiel "Träume" für massive Hörerproteste. Anrufer bezeichneten das Stück als zynisch und "ekelerregend". "Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt.", fügte Eich der Textfassung des Stückes nach der Uraufführung hinzu...

Günter Eich gilt zweifellos als einer der umstrittensten deutschsprachigen Autoren der Nachkriegszeit. Nicht zuletzt ist dies auf eine Debatte zurückzuführen, die der Herausgeber Axel Vieregg angestimmte hatte. Eich habe "bewußt für den nationalsozialistischen Staat optiert", so der Vorwurf Viereggs. Ein Eintrittsversuch Eichs in die NSDAP ist zweifelsfrei überliefert. Bekannt ist außerdem sein Dienst als Unteroffizier im Stab des deutschen Schriftstellers und Lektors Jürgen Eggebrecht, sowie seine Arbeit für die literarische Zensurstelle beim Oberkommando der Wehrmacht.

Eich selbst sagte zu den Vorwürfen später, er habe dem Nationalsozialismus keinen aktiven Widerstand geleistet. Im Nachhinein so zu tun, als sei dies der Fall gewesen, liege ihm nicht. In seiner Eich-Monographie (1976) schreibt der Literaturkritiker Heinz F. Schafroth recht nüchtern und klar: "Eichs Position in den Jahren des Nationalsozialismus ist weder zu heroisieren, noch zu verurteilen".

Gedichte während und über Kriegsgefangenschaft

Als Vertreter der Trümmerliteratur lag Eich vor allem daran, präzise, realitätsnah und roh zu schildern, was während und nach dem Krieg geschah. In seinen frühen, sprachlich sehr kargen Gedichten, verarbeitete er die Erlebnisse der Kriegsgefangenschaft. "Über stinkendem Graben, Papier voll Blut und Urin, umschwirrt von funkelnden Fliegen, hocke ich in den Knien" beginnt etwa das Gedicht "Latrine", welches neben "Inventur" zu den bekanntestes Werken Eichs gehört. Hier wird der in embryonaler Haltung hockende Erniedrigte dargestellt, der, zwischen Not und Qual, auf die bloße, archaische Existenz zurückgeworfen ist. Eich, der 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft geriet, schöpft hier aus eigenen Erfahrungen und Anschauungen. Sowohl "Latrine" als auch "Inventur" erschienen 1948 in Eichs erster Nachkriegs-Lyriksammlung "Abgelegene Gehöfte". Im selben Jahr stieß der damals 39-jährige Autor zum ersten mal zur Gruppe 47, wo er in den Anfangsjahren als "geheimer Star" angesehen wurde. 1950 erhielt er dann auch den ersten ausgeschriebenen Preis der Gruppe. Ein Jahr später wurde er mit dem Literaturpreis der Bayrischen Akademie der Schönen Künste ausgezeichnet.

Günter Eich als Begründer des "poetischen Hörspiels"

Neben Lyrik schrieb Eich ab den 50er Jahren vermehrt Hörspiele. Als sein bis heut berühmtestes Stück "Träume" 1951 vom Nordwestdeutschen Rundfunk gesendet wurde, kam es zu massiven Protesten von Seiten der Hörerschaft. Anrufer hatte vor allem den zweiten der insgesamt fünf angeführten Träume als zynisch und grausam empfunden, und verlangten unter anderem die "Einsperrung" des Autors. Der Redakteur Heinz Schwitzke sprach mit Blick auf das Stück später von der "Geburtsstunde des poetischen Hörspiels".

Im besagten zweiten Traum verkaufen eine "Frau" und ein "Mann" ihren sechsjährigen Sohn an eine reiche chinesische "Dame", die das Kind schlachten und ausweiden lässt. Blut, Herz und Leber des Kindes werden dem schwerkranken Ehemann der "Dame" verabreicht, um dessen Leben zu retten beziehungsweise zu verlängern. Im Verlaufe des Stückes stellt sich heraus, dass die Lieferanten jedes Jahr ein ein neues Kind zeugen. Mit Stolz verkünden sie während des Verkaufsgesprächs, bisher nur "gesunde Kinder von erstklassiger Zucht" geliefert zu haben. Auch die reiche chinesische "Dame" hat nicht zum ersten Mal ein Kind gekauft, um ihrem Mann eine "Frischzellenkur" zu verpassen.

Dem Leiden ins Auge sehen

Das Hörspiel "Träume" deutet auf ein Kernelement in Eichs Schaffen hin. Eines seiner Hauptanliegen war es, der in den flirrenden Farben der Wirtschaftswunderjahre gekleideten Bundesrepublik deutlich zu machen, dass nach wie vor gelitten wird in der Welt. Nicht wegsehen, nicht zu tief ins Wohlfühlen geraten, sich nicht gehen lassen im eigenen Danach, das sind die Botschaften, die sich, auf je unterschiedliche Weise ausformuliert, in "Träume" finden lassen. Nach der Uraufführung im Nordwestdeutschen Rundfunk fügte Günter Eich dem Stück noch einige Gedichtverse als Schlusswort an. Heute endet das Stück in der Druckfassung mit den Zeilen:

"Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet! Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt."


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