Anekdoten aus der DDR Thomas Bärsch im Interview zu "Das große Ganze im vielen Kleinen"

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Mit seinem neuen Buch „Das große Ganze im vielen Kleinen“ erinnert Thomas Bärsch an dem Alltag in der DDR. Für seine kleine Tochter hat Thomas Bärsch in 50 witzigen, skurrilen, nachdenklichen Anekdoten, Einlassungen und manchmal nur Gedankenschnipseln seine Kindheit und Jugend in Worte gefasst. Für die Lesering-Redaktion gab uns der Autor anlässlich der Veröffentlichung seines Buches ein Interview.

Foto Thomas Bärsch

Der Titel des Buches heißt: Das große Ganze im vielen Kleinen : was ist für Dich das Große?

Im Idealfall: Der Eindruck, der sich aus den vielen „kleinen“ Geschichten herausschält, ein Gefühl für die Atmosphäre, in der ich aufgewachsen bin, das Lebensgefühl, dieses gewisse Etwas, das man nicht mit einer Definition klar umreißen kann.

Wie ist es zu dem Buch gekommen?
Meine Tochter fragte mich mal, ob ich auch bei der Stasi war. Natürlich nicht, hab ich gesagt, und sie hat das absolut nicht verstanden. Warum denn nicht, meinte sie, Papa, du hättest doch richtig spionieren können!!! Die Sendung Logo hatte kurz vorher die „Stasi“ mit so einem kleinen Trickfilm erklärt, und offenbar was Unbeabsichtigtes bei meiner Tochter ausgelöst. Naja, und so kam ich drauf, dass sie wirklich kein Bild von der DDR haben kann, in der ich aufgewachsen bin, und die mir eigentlich immer noch ganz schön nahe ist. Das was mich also formte, ist für sie bestenfalls Geschichtsunterricht. Und das muss ja nicht so bleiben.

Rund 50 skurrile und komische Geschichtchen hast Du aufgeschrieben? Gibt es eine Lieblingsanekdote aus dem Buch?

Vieles liest sich im Nachhinein wirklich lustig, am meisten beeindruckt hat mich aber wohl die Geschichte, als mir ein Polizist, der gegen mich wegen einer Wandschmiererei ermittelte, versteckte Tipps gab, wie ich meine Antworten zu den allgemeinen Fragen so gestalten kann, dass die Stasi nicht unnötig auf mich aufmerksam wird.

Auf welches Ereignis hättest Du gern verzichtet?

Ich sollte nicht anecken, hatten meine Eltern gesagt, wenn ich studieren will. Das hab ich bis zum 20. Lebensjahr auch beachtet. Als ich mich dann an der Technischen Hochschule Leipzig einschrieb dachte ich tatsächlich, ich hätte es geschafft. Nix da. Plötzlich sollte ich unterschreiben, dass ich der Nationalen Volksarmee als Reserveoffizier zur Verfügung stehe. „Hört das denn nie auf?“, dachte ich mir und verweigerte die Unterschrift. Auf das, was dann folgte, hätte ich echt gern verzichtet – unzählige Gespräche, andauernder Druck… hier zeigte mir die DDR, dass sie echt nicht lockerlassen wird – bis an mein Lebensende. Nun denn, irgendwie hat die Situation meinen Entschluss vorangetrieben, eben aus der DDR wegzugehen. Zum Glück war grad Sommer 1989, und Ungarn öffnete die Grenze.

Hast Du in Deinem Leben Tagebuch geführt?

Nein. Ich war selbst erstaunt, welche Erinnerungen das intensive Nachdenken an diese Zeit, das Lesen darüber, das Gespräch darüber zu Tage gefördert haben.

Absolut bemerkenswert ist die historische lexikalische Untermalung mit „ … Was sonst noch geschah“. Nach welchen Kriterien hast Du hier die Ereignisse ausgewählt?

Das sind meistens historische Ereignisse, an die ich mich noch erinnere oder Daten, die zeigen sollen, dass sich beide deutsche Staaten eher voneinander entfernten als umgekehrt. Umso größer erscheint auch mir heute das Wunder der plötzlichen Vereinigung.

Wie lange hast du an dem Buch geschrieben, und gab es für Dich selbst auch gewisse Aha-Momente?

Nein, eigentlich nicht, außer, dass ich manchmal erschrak, wie jung ich war. Mit 17 ins Wehrlager, mit 19 zur Armee, sowas eben. Angefangen zu schreiben habe ich im Sommer 2016. Stoßweise gearbeitet, manchmal entstand sehr viel in sehr kurzer Zeit, über andere Phasen musste ich länger nachdenken, ob da irgendwas passiert war, das hier rein passt. Über die Wintermonate reifte das alles vor sich hin, und im Sommer 2017 ging es an die Feinarbeit. Die historischen Daten sind dazugekommen, und auch die ganz hübsche Zeitleiste in der Kopfzeile.

Du schreibst im Vorwort: Im dritten Jahrzehnt der deutschen Einheit, in Zeiten politischer Umbrüche, richtet sich der Blick wieder stärker in den Osten des Landes. So leistet das Buch vielleicht auch einen kleinen Beitrag zur Debatte, wie das Leben in der DDR die Menschen formte und welche Prägungen sie mit in die deutsche Einheit brachten. Prägungen, die bis heute fortdauern. Auch wenn es sicher schwer ist, zu beantworten: welche geprägten Unterschiede spürst Du zwischen Menschen in Ost und West?

Das ist echt schwer zu beantworten. Es ging auch eher in die andere Richtung. Ich verstehe angesichts der grandiosen und sichtbaren Aufbauleistung hier, in deren Folge lauter Postkartenmotivstädte entstanden sind und es sich auf den Autobahnen fährt wie auf Schienen, dass im Westen viele den Kopf schütteln, angesichts des Protestwahlverhaltens. Andererseits bin ich vielleicht auch gerade wegen meiner Biographie bereit, hinter all dem furchtbaren lauten Protestlärm, den z.B. Pegida in Dresden veranstaltet, die Motive zu suchen, die zu diesem Lärm führen. Und ganz ausgeschlossen, dass die Prägungen der DDR etwas damit zu tun haben, dass viele mit dem Deutschland fremdeln, dass Zeit ihres DDR-Lebens „der Klassenfeind“ war, ist es ja nicht. Und wenn hier durch das Buch ein Funken Verständnis für das entsteht, was Ostdeutsche prägte, kann das ja nicht so schlecht sein.

Was wünscht du Dir für das Buch?

Ich möchte einen Beitrag leisten und erklären, erzählen, wie wir uns damals eingerichtet haben. Wie wir uns arrangierten, teils mitschwammen, teils aber auch dem System kleine Siege abtrotzten. Warum auch ich nicht verzweifelt bin, dass ich eben nicht in den Westen fahren konnte. Warum ich nicht neidisch war, auf die vielen schönen Sachen, die wir im Intershop bestaunen konnten. Welches Werk die DDR-Propaganda verrichtet hat, und ich glaube auch ganz ehrlich, dass das so bisher noch nicht ausreichend geschehen ist."

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