Buckeye spielt in Bonhomie, Ohio – einem fiktionalen Städtchen, in dem ein einziger Kuss am Tag des Sieges in Europa 1945 das Leben zweier Familien für Jahrzehnte verschiebt. Patrick Ryan erzählt daraus eine leise, hochspannendeChronik über Liebe, Schuld, Lügen und die zähe Arbeit der Vergebung. In den USA avancierte der Roman unmittelbar nach Erscheinen (September 2025) zum New-York-Times-Bestseller, war ein „Read with Jenna“-Pick und ein Barnes & Noble Book Club Pick. Kurz: Ein literarischer Publikumsliebling – zugänglich, klug, herzzerreißend.
Buckeye von Patrick Ryan – Ein kleiner Ort, zwei Familien, Jahrzehnte voller Nachhall
Wichtig für deutschsprachige Leser: Derzeit existiert keine deutsche Übersetzung; im Handel ist das Buch nur auf Englisch (USA: Random House; UK: Bloomsbury) erhältlich.
Handlung von Buckeye
Der Krieg ist offiziell vorbei, die Euphorie groß. Im Eisenwarenladen von Cal Jenkins – ausgemustert wegen einer körperlichen Einschränkung – taucht Margaret Salt auf; ein spontaner Kuss, ein Moment, der wie ein Zeitlupenfehlerüber Jahrzehnte nachklingt. Cal ist verheiratet mit Becky, einer warmherzigen Frau mit einem ungewöhnlichen Talent: Sie hält Séancen und hilft Trauernden, den Toten eine Stimme zu geben – gratis, als Dienst an der Gemeinschaft. Margarets Mann Felix fährt zur See; eine Nachricht aus dem Pazifik lässt das Schlimmste befürchten. Aus dieser Konstellation spinnt Ryan eine Familiengeschichte, deren Geheimnis tiefe Risse in beide Ehen und die nächste Generation treibt – insbesondere in das Leben der Jungen Skip und Tom. Die Erzählzeit reicht von den 1940er- bis in die späten 1970er/80er-Jahre, ohne epische Schaumschlägerei: Alltag trägt die Spannung.
Tonal bewegt sich der Roman zwischen slice-of-life-Realismus und poetischen Mikroszenen: Hausfeste, Küchengeflüster, Fabriksirenen, die amerikanische Nachkriegsnormalität, in der man viel verschweigt – und doch nie lange. Was geschah, bleibt nicht begraben; Bonhomie ist klein, Erinnerungen sind groß, und die Söhne erben mehr als nur Gene.
Schuld, Scham, Sehnsucht, und das „amerikanische Versprechen“
Geheimnis & Gemeinwesen
Das „eine“ Geheimnis ist weniger Skandal als Dauerschall: Es verändert Blickwinkel, verschiebt Loyalitäten und zeigt, wie Kleinstädte Informationen „verarbeiten“ – durch Tuscheln, Wegschauen, Ritual. Ryans Kunst liegt darin, ohne Gerichtssaal moralische Konsequenzen zu entwickeln.
Nachkriegszeit als Charakter
Krieg bleibt, auch wenn Frieden draufsteht: körperliche Versehrtheit, Männlichkeitsnormen (Scham über nicht-gedienten Dienst), ökonomischer Aufschwung mit moralischen Dellen – all das prägt Entscheidungen über Jahrzehnte. Der Roman erzählt dabei nicht über Ideologie, sondern über Gebrauchsleben: Arbeit, Kirche, Staatsfeiertage, Sportplätze.
Spiritualität & Trostökonomie
Beckys Séancen sind kein Spuk, sondern Trauerarbeit: ein sozialer Ort, an dem Unsagbares gesagt werden darf. Dieser übernatürliche Stich wird streng realistisch eingesetzt – als Metapher und Handlung zugleich. Er zeigt, wie Gemeinschaft Rituale erzeugt, wenn Sprache nicht reicht.
Väter, Söhne, und die Erbschaft der Lüge
Die Söhne Skip und Tom tragen das Gewicht der elterlichen Entscheidungen. Ryan arbeitet die psychologische Vererbung sauber heraus: Nicht nur Taten, auch Verschweigen bildet Charaktere. Das macht Buckeye zum idealen Buchclub-Stoff – man diskutiert unweigerlich: Wieviel Wahrheit schuldet man Kindern?
Der „Buckeye“ als Symbol
Der Buckeye-Baum (Rosskastanie) steht in Ohio ubiquitous herum – hier wird er zum Leitmotiv: Kinderspiele mit Nüssen, Sammeln, Werfen – und eine stille Erinnerung an das, was Wurzeln schlägt, ob man will oder nicht. Die Finanical Times hebt genau diesen Symbolgebrauch hervor: regionale Erdung, universelle Fragen.
Hinter der Postkarte „American Dream“
Buckeye wirkt wie Anti-Nostalgie: ein Buch, das die sentimentale Postkarte umdreht und die Rückseite zeigt – Klassenschranken, Genderrollen, Veteranenlast, soziale Kontrolle. Mehrere Kritiken betonen, dass Ryan die Idyllenicht zerstört, aber schärft: Wo Wärme ist, ist Melancholie; wo Ordnung herrscht, liegen unbequeme Kompromissedarunter. Vergleiche mit John Irving, Amor Towles oder Ann Patchett kreisen nicht um Plottwists, sondern um Menschenkenntnis und Kompositionsweite.
Stil & Sprache – Weich in der Stimme, hart in der Wahrheit
Ryans Prosa ist „sweeping yet intimate“: Er erzählt großräumig, aber immer durch Konkretion – Körperhaltungen, Küchenlicht, Radiostimmen, Geräusche der Fabrikpforte. Der Roman liest sich schnell, weil die Sätze laufen; er bleibt lange, weil seine Bilder nachglühen. Kritiken beschreiben ihn als „leise verheerend“ und warmherzig ohne Kitsch – die seltene Mischung, die Buchclubs und Kritiker gleichermaßen bekommt.
Für wen eignet sich Buckeye?
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Für Leser, die Familienromane mit moralischer Tiefenschärfe lieben (ohne Moralkeule).
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Für Fans von Ann Napolitano, Richard Russo, Tom Perrotta – Figuren vor Plotmaschine.
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Für Buchclubs, die Lust auf Ethik im Alltag haben: Wahrheitspflicht, Vergebung, Loyalität.
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Weniger geeignet, wenn man ausschließlich Thrill/Cliffhanger sucht; Buckeye ist Spannung durch Beziehung.
Drei Linsen, die das Lesen vertiefen
1) Ritual statt Rhetorik: Beobachte, wie Rituale (Séancen, Feiertage, Beerdigungen) soziale Ordnung herstellen – und wie Figuren sie nutzen oder brechen.
2) Kleinstadt als Archiv: Notiere kleine „Aktenzeichen“ (wer weiß was, und warum?) – so wird Bonhomie zum Kataster der Wahrheit.
3) Krieg als Nachbar: Achte darauf, wie Kriegserfahrung in romantische Entscheidungen „blutet“ (Dienst, Scham, Abwesenheit) – kein Setting, sondern Katalysator.
Stärken & mögliche Reibungen
Stärken
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Menschliche Genauigkeit: Ryan erlaubt Empathie für fehlbare Figuren – ohne sie zu entschuldigen.
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Kompositionsweite: Drei Jahrzehnte, zwei Familien, ein Ort – und doch keine dramaturgische Ausfransung.
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Symbolische Ökonomie: Der Buckeye als leises Leitmotiv verankert die Themen (Erbe, Verwurzelung).
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Spiritualität als Trauerhandwerk: Der Séancen-Strang stützt die Trauer- und Schuldverhandlung, wirkt nie nach Genrespuk.
Mögliche Reibungen
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Geduldskurve: Wer schnelle Enthüllungen will, könnte die Langwelle der Erzählung als zu still empfinden.
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Übernatürliches Element: Beckys Gabe wird nicht jeder mögen – sie ist jedoch konsequent im Realismus des Ortes verankert.
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Moralische Grauzonen: Der Roman verweigert einfache Urteile – für manche frustrierend, für andere die größte Stärke.
Das leise Beben unter der Oberfläche
Buckeye ist kein Effektroman, sondern ein Präzisionsroman. Er zeigt, wie kleine Entscheidungen große Leben verziehen – und wie Vergebung nicht als Pathos, sondern als langsame Praxis entsteht. Wer literarische Gegenwartsbrille für die Vergangenheit sucht, findet hier ein Buch, das warm erzählt, hart hinschaut und langenachwirkt. Klare Empfehlung – auch (oder gerade) weil es die Nostalgie höflich an die Garderobe bittet.
Über den Autor – Patrick Ryan
Patrick Ryan (Washington, D.C.; aufgewachsen in Florida) ist Autor der Storybände „Send Me“ und „The Dream Life of Astronauts“ sowie mehrerer vielbeachteter YA-Romane (Saints of Augustine, In Mike We Trust, Gemini Bites). Mit Buckeye legt er ein erstes großes Erwachsenen-Mainstreamwerk vor, das Kritiker und Publikum zusammenbringt. Ryan leitet als Editor-in-Chief das Magazin One Story.
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