Annegret – von der Familie „Änni“ genannt – ist 69, frisch verwitwet und glaubt fest an die ordnende Kraft guter Routinen: Rouladen am Sonntag, Fenster am Freitag, keine Probleme, nur Aufgaben. Dann kommt die Realität: Das Haus ist zu groß, das Geld zu knapp, die Einsamkeit zu laut. Statt Seniorenresidenz landet Änni – mit einem halb trotzigem, halb neugierigem „Warum nicht?“ – in einer Studenten-WG in Berlin-Kreuzberg. Dort trifft Kleinstadtkompetenz auf Großstadtgewissheiten, „unpaid care work“ auf „Oma kann kochen“, und aus einem Provisorium wird ein Lebensentwurf auf Probe. Bloom macht daraus keine schrille Culture-Clash-Komödie, sondern eine warmherzige, kluge Geschichte über Alter, Umbruch, Care-Arbeit und Würde. Händler- und Verlagsangaben rahmen den Roman genau so: Neustart einer Rentnerin, WG in Kreuzberg, witzig und klug erzählt.
Was geht, Annegret? von Franka Bloom – Neustart mit Roulade: Wenn Alltag zur Revolte wird
Handlung von Was geht, Annegret?
Nach dem Tod ihres Mannes stolpert Änni in eine Lebensinventur: Die Tochter drängt Richtung „sicher und ordentlich“ (Seniorenresidenz), die Enkelin bietet „komm zu uns in die WG“ an – mittendrin Kreuzberg, Lastenrad, Leitungswasser, Küchenplenum. Änni sagt wider Erwarten zu. In der WG prallen Gewohnheiten auf Prinzipien: Mülltrennung hat Doktrin-Status, Fleischkonsum wird zur Debattenfrage, und wer duscht wann wie lange, ist nicht nur Logistik, sondern Moralökonomie.
Je länger Änni bleibt, desto sichtbarer werden die heimlichen Bruchstellen: Die Tochter Julia schleudert zwischen Überforderung und Pflichtgefühl, die Enkelin verhandelt Autonomie, die WG kämpft mit der unsichtbaren Arbeit (wer putzt eigentlich „freiwillig“?). Änni bringt dafür Ressourcen mit, die im hippen Vokabular nicht vorkommen, aber systemrelevant sind: Sorgenetz, Handwerkstricks, Konflikte runterkochen. Ein buchstäbliches Kiezfest, eine angeknackste Freundschaft in der WG, ein Nachbar mit Alleinerziehenden-Stress und eine ernste Vorsorge-Untersuchung, vor der Änni sich drückt, bilden die Mikrodrehpunkte. Der Roman arbeitet ohne große Katastrophen, dafür mit Alltagsdramatik: verletzte Eitelkeit, Geldfragen, Missverständnisse – und einem feinen, glaubwürdigen Happy-Enough. (Klapptexte und Leserrezensionen betonen Witwenschaft, WG-Einzug, Berlin-Setting und humorvollen Ton.)
Alter(n), Care, gemeinsame Räume
Alter ist kein Genre, sondern Bewegung: Änni wird nicht „verwaltet“, sie wächst: Sie lernt neue Begriffe (Mental Load, Barrierearmut), die WG lernt altes Wissen (Kochen, Kiez, Kompromiss). Alter erscheint als zweite Pubertät – anstrengend, identitätsstiftend, aber produktiv.
Mehr-Generationen-Wohnen als Labor: Die WG ist kein Utopia, sondern Praxistest. Was hält eine Hausgemeinschaft zusammen? Transparenz (Putzplan, Kosten), Regeln (Ruhezeiten, Gäste), Rituale (Küchenabende). Bloom zeigt Vorteile (geteilte Care-Last, soziale Präsenz) und Reibungen (Lärm, Sauberkeit, Werte). Dass der Roman Kreuzberg nicht zur exotischen Kulisse macht, sondern zum funktionierenden Nachbarschafts-Ökosystem, ist seine stille Stärke. (Die Kreuzberg-WG ist in allen Händlerprofilen leitend.)
Care-Arbeit & mentale Last: Zwischen Einkaufszettel und Arzttermin liegt unsichtbare Arbeit. Der Roman führt vor, wie schnell diese in WGs und Familien weiblich codiert – und wie entlastend klare Verabredungen sind. Bloom etikettiert nicht, sie inszeniert: Man merkt an Dialogen und Müdigkeiten, wo Arbeit steckt.
Stadt vs. Provinz ohne Häme: Kleinstadt bringt Verlässlichkeit, Großstadt bringt Möglichkeiten. Bloom wertet nicht, sondern vermittelt. Am Ende geht es um Zugehörigkeit: weniger Ort, mehr Beziehung.
Warum das Buch gerade jetzt andockt
Deutschland altert; Wohnraum ist knapp; Pflege und Betreuung geraten in Druck. Gleichzeitig wächst das Bedürfnis nach Gemeinschaft, ohne Bevormundung. Was geht, Annegret? hält den Finger an genau diese Naht: gemeinschaftsorientiertes Wohnen als Antwort auf Kosten, Einsamkeit, Care-Stress – nicht als Theoriepapier, sondern als erzählte Praxis. Dass der Roman in Blogs und Communities als „zeitgemäßes, humorvolles Generationenbuch“ beschrieben wird, passt zu diesem Befund.
Dialogwitz statt Dozentenstimme
Bloom schreibt dialogstark, szenisch, mit sicherem Timing. Kapitel enden gern auf Küchen-Cliffhangern: kleine Umdrehungen, die „nur noch ein Kapitel“ erzwingen. Man spürt, dass hier eine erfahrene Drehbuchautorin am Werk ist: Szenen stehen, Nebenfiguren haben Kontur, Witz entsteht aus Reibung, nicht aus Klamauk. (Zur Autorin: Franka Bloom ist ein Pseudonym; hinter dem Namen steht laut Agentur Heike Rübbert, Drehbuchautorin und Script-Consultant, u. a. für Tatort, SOKO Leipzig, Ein Fall für Zwei; Wohnort: Leipzig.)
Für wen eignet sich „Was geht, Annegret?“
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Best-Ager-Leser, die sich gesehen fühlen wollen – jenseits von Residenz-Kitsch.
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Jüngere Leser, die WG-Alltag kennen und intergenerationelles Reibungs-Humor mögen.
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Buchclubs, die Care, Mental Load, Wohnen und Familienrollen diskutieren möchten; der Roman bietet viele konkrete Anlässe.
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Wer „nur“ eine Großstadt-Komödie erwartet, bekommt mehr Alltag, weniger Slapstick – im besten Sinn.
 
Stärken & mögliche Schwächen
Stärken
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Figurenpsychologie: Änni ist keine Chiffre; sie widerspricht, lernt, verlernt – und bleibt liebenswert widersprüchlich.
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Zeitgeist ohne Zeigefinger: Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit, Genderfragen – humorvoll verhandelt, nicht doziert.
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Narrative Ökonomie: Keine künstlichen Mega-Twists, dafür konsequente Alltagsdramaturgie – realistisch, respekteinflößend.
 
Schwächen / könnte polarisieren
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Kiez-Glasur: Berlin wirkt gnädiger als die Realität mancher Leser – der Roman entscheidet sich bewusst für Zuversicht.
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Konflikt-Temperatur: Wer Thriller-Takt gewohnt ist, empfindet die „kleinen Dramen“ als zu mild – das ist Konzept.
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Humor-Dosis: Gelegentlich ist eine Pointe plakativ; sie kippt aber nie ins Zynische.
 
  
Über die Autorin – Franka Bloom (kurz & konkret)
Franka Bloom ist das Pseudonym der Drehbuchautorin Heike Rübbert, die seit vielen Jahren Stoffe für Reihen wie „Tatort“, „SOKO Leipzig“ und „Ein Fall für Zwei“ entwickelt. Ihre TV-Arbeit prägt den Romanstil spürbar: pointierte Dialoge, szenische Verdichtung, Figuren, die über Konflikte statt Monologe lebendig werden. Unter dem Namen Franka Bloom konzentriert sie sich auf Geschichten über Frauen jenseits der 40, in denen Humor, Care-Arbeit und Selbstbestimmung keine Gegensätze sind. Inhaltlich interessiert sie besonders, wie sich Familie, Wohnen und Arbeit in einer alternden, urbanen Gesellschaft neu sortieren. Bloom/Rübbert lebt in Leipzig und berät neben dem Schreiben Projekte als Script Consultant – diese Praxisnähe zum Alltag macht ihre Romane zugleich warmherzig und wahrnehmungsscharf.
Warmherzig, witzig, wirksam
Was geht, Annegret? ist Feelgood mit Rückgrat: ein Roman, der zeigt, wie Neuanfang jenseits der 60 aussieht, ohne die Lebenswirklichkeit weichzuzeichnen. Er erzählt nicht nur vom „Ankommen in Berlin“, sondern von Teilen, Tragen, Aushandeln – kurz: vom demokratischen Alltag im Kleinen. Dass Bloom dabei ohne Zynismus auskommt und trotzdem klar bleibt, macht die Lektüre stark. Für alle, die glauben, dass die Küchentisch-Politik wichtiger ist als jede Talkshow: klare Empfehlung.
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