Mit „Stonehenge – Die Kathedrale der Zeit“ wagt Ken Follett den weitesten Rücksprung seiner Karriere: Nicht Kathedralen aus Stein für Gott, sondern ein Steinkreis als Zeitmesser – gebaut von Gemeinschaften der Jungsteinzeit. Herausgekommen ist ein großer Historienroman über Handwerk, Macht und den Versuch, der Welt Ordnungabzutrotzen. In Deutschland erscheint der Band bei Lübbe; die internationale Berichterstattung führt den englischen Projektnamen „Circle of Days“ – der deutsche Titel setzt den Point: eine „Kathedrale“ ohne Dach, aber mit Kalender.
Stonehenge – Die Kathedrale der Zeit von Ken Follett: Wenn Menschen den Himmel vermessen
Handlung von „Stonehenge – Die Kathedrale der Zeit“
Die Geschichte setzt zur Sommersonnenwende ein. Seft, ein begnadeter Feuersteinhauer, überquert die Ebene, um Steine zu tauschen und Neen wiederzusehen, die er liebt. Im Schatten der Riten begegnen wir einer Gesellschaft, die Zählen, Opfern, Feiern bereits als Technik der Weltbewältigung betreibt. Joia, Neens Schwester und Priesterin, hat Visionen von einem Monument aus riesigen Steinen – größer, präziser, verlässlicher als alle hölzernen Vorgänger. Ein Bauwerk, das Zeit fasst und Gemeinschaft bindet.
Seft besitzt das, was in dieser Welt wertvoller ist als ein Fürst: Können. Doch Können genügt nicht. Der Plan eines Steinzeit-Megaprojekts zieht Händler, Krieger und Machtmenschen an; Allianzen entstehen, alte Feindschaften erwachen. Follett erzählt das als Vielpersonenstück: Familien werden zertrennt und neu geformt, Riten liefern Legitimität, Gewalt droht als Lösung für alles, was sich nicht verhandeln lässt.
Im Zentrum steht der Bau selbst: Steingewinnung, Transport, Ausrichtung der Menhire auf Sonnenstände – kein esoterischer Nimbus, sondern Organisation: Seile, Rollen, Schlitten, tausende Hände. Dass die Monumente später Stonehenge heißen werden, ist den Figuren egal; sie suchen Sinn und Sicherheit im Rhythmus der Tage. (Verlagsmaterial und Vorabberichte nennen explizit Seft, Neen und Joia sowie das Sonnenwend-Setting und den Bau als Triebfeder.)
Arbeit, Zeit, Macht (und warum Kalender gefährlich sind)
Arbeit als Weltformel: Wie in Die Säulen der Erde macht Follett Handwerk zum Motor. Werkzeuge, Lasten, Winkel – nichts ist Beiwerk. Der Roman argumentiert: Technik entsteht nicht im Genieblitz, sondern in Prozessen und Absprachen.
Zeit als Religion: Der Steinkreis wird nicht angebetet, er ordnet. Wer Zeit misst, verteilt Ressourcen (Ernte, Opfer, Feste) – und damit Macht. Das macht den Bau politisch: Priesterinnen brauchen Legitimation, Krieger Beute, Handwerker Respekt.
Gemeinschaft vs. Gewalt: Der Roman seziert, wie Furcht (vor Dürre, Winter, Götterzorn) in Institutionen übersetzt wird. Rituale stiften Bindung – und dienen als Vorwand, um Abweichler zu zähmen.
Liebe als Praxis: Seft/Neen ist keine Schicksalsoper, sondern Beziehungsarbeit: Entscheidungen, die Kosten haben. In diesem Umfeld ist „romantisch“: bleiben, tragen, widersprechen.
Steinzeit ohne Steinbruch-Romantik
Follett verlegt seine Erzählung in eine Zeit ohne Schrift. Die Quellenlage ist zwangsläufig dünn; die Wissenschaft liefert Modelle (Transport über Schlitten, Holzrollen, Wasserwege; Ausrichtung an Sonnenwenden), der Roman füllt Lücken mit plausiblen Sozialdynamiken. Dass Follett sich für Stonehenge interessierte, nachdem er populärwissenschaftliche Arbeiten zum „Wie baut man Stonehenge?“ gelesen hatte, spürt man dem Text an: Es geht um Machbarkeit, nicht Mythos.
Deutsche Verlagsankündigungen rücken die Achsen Frühgeschichte, Krieg & Eroberung, Intrige & Handwerk in den Vordergrund; der Umfang der gebundenen Ausgabe (ca. 672 Seiten) signalisiert den gewohnten Panoramasog.
Klartext statt Mystik
Follett bleibt sich treu: gerade, filmische Prosa, kurze Szenen, Parallelstränge, die gegen ein Bau-Ereigniskonvergieren. Die Erzählung ist zugänglich, aber nicht schlicht; Dialoge treiben Weltwissen voran („Wie viele Männer? Wie viele Schlitten?“), Action bleibt erdig (Leib, Last, Risiko). Wer das Kathedralen-Erlebnis liebt, findet die vertraute Projekt-Dramaturgie – nur tausende Jahre früher.
Für wen eignet sich „Stonehenge – Die Kathedrale der Zeit“?
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Fans historischer Epen, die Bauprozesse und soziale Architektur mögen.
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Leser, die Säulen der Erde schätzen, aber Lust auf eine prekätere, archaische Welt haben.
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Buchclubs, die über Zeit als Macht, Ritual als Politik und Liebe als Entscheidung diskutieren möchten.
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Einsteiger in historische Romane: klare Figurenachsen, gut greifbare Konflikte.
Kritische Einschätzung – Stärken & Schwächen (kurz & ehrlich)
Stärken
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Bau als Thriller: Logistik, Timing, Rivalitäten – der Steintransport liest sich spannender als jede Schlacht.
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Weltentwurf ohne Esoterik: Sonnenwenden als Kalendertechnik, nicht als Kitsch.
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Figuren-Trio trägt: Seft (Können), Neen (Herz), Joia (Vision) bilden eine produktive Reibung.
Schwächen
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Vorhersagbares Muster: Wer Folletts Projekt-Plots kennt, erkennt den Takt (Vision → Widerstand → Rückschlag → Durchbruch).
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Extrapolation nötig: Die Quellenarmut der Epoche erzwingt erfundene Details – wen das stört, der will vielleicht spätere Epochen.
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Antagonisten-Schärfe: Je nach Erwartung wirken Gegenspieler typisiert („Hüter der alten Ordnung“).
Fazit – Lohnt sich Folletts Reise in die Frühgeschichte?
Ja. „Stonehenge – Die Kathedrale der Zeit“ ist keine Mystik-Schau, sondern ein Roman über Organisation: Menschen bündeln Wissen, um Zeit zu bändigen – und stolpern dabei über Gier, Glauben, Gefühle. Follett übersetzt das bekannte Kathedralen-Gefühl in die Jungsteinzeit und zeigt, dass Großes nicht von Göttern fällt, sondern aus Arbeit wächst. Wer die Mischung aus Handwerkssog, Gefühl und politischer Reibung mag, wird gut bedient.
Über den Autor – Ken Follett (kurz)
Ken Follett (1949) ist einer der erfolgreichsten Erzähler historischer Stoffe. Nach Thrillern wie „Die Nadel“ gelang ihm mit „Die Säulen der Erde“ der Weltdurchbruch; seither variiert er das Thema „Wie baut eine Gesellschaft etwas Großes?“ – von der mittelalterlichen Kathedrale bis zur neolithischen Anlage. Für den Stonehenge-Roman betonte er öffentlich sein Interesse am Wie statt am Mythos.
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