Feuertaufe ist der Moment, in dem Geralt von Riva das einsame Monsterhandwerk endgültig gegen Verantwortung im Plural tauscht. Nach dem politischen Beben von Thanedd schickt Andrzej Sapkowski seinen Hexer auf eine kriegszerfurchte Straße – nicht als schweigenden Einzelgänger, sondern als Anführer wider Willen. Auf dem Weg zu Ciri wächst um ihn eine improvisierte Gemeinschaft: praktisch, streitbar, zutiefst menschlich. Der Roman erschien 1996 in Polen und gilt als dritter Saga-Roman nach Das Erbe der Elfen und Die Zeit der Verachtung.
Feuertaufe (The Witcher 5) von Andrzej Sapkowski: Eine Suche wird zur Truppe
Handlung von Feuerteufel
Start im Brokilon: Schwer verletzt vom Thanedd-Putsch wird Geralt im Wald der Dryaden zusammengeflickt – und bricht viel zu früh auf. Neben ihm: Jaskier (Rittersporn). Schon hier stößt Milva dazu, eine eigenwillige Bogenschützin, die Geralt nicht verehrt, aber auf der Straße gebraucht wird. Zusammen driften sie durch ein Land, in dem Handel zu Schmuggel, Dörfer zu Lagern und Brücken zu Frontlinien werden.
Unterwegs kreuzt Zoltan Chivay mit einer Zwergenschar ihren Weg; man zieht ein Stück gemeinsam – nicht aus Sentiment, sondern aus Schutzlogik in einem Krieg, der niemanden fragt. Später trifft die Gruppe – zögerlich, streitbar – Cahir, den „schwarzen Reiter“ aus Ciris Träumen, der sich vom Feindbild zum Mitstreiter wandelt. Und dann tritt Regisauf, ein Höherer Vampir mit ärztlichem Besteck und Gelassenheit: vermutlich die überraschendste Freundschaft der ganzen Reihe. Zusammen geraten sie in die Schlacht an der Yaruga-Brücke, wo eine Entscheidung mehr zählt als jeder Stammbaum – und wo Königin Meve aus Lyrien Geralt offiziell zum „von Riva“ schlägt. Aus Alias wird Titel, aus der Truppe eine Zweckfamilie.
Parallelstränge:
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Ciri lebt inzwischen bei den Ratten, einer Jugendbande im Kriegsraum. Unter dem Namen Falka stumpft sie ab, testet Grenzen und entdeckt, wie verführerisch Macht ohne Maß ist – ein Gegenentwurf zur moralischen Langsamkeit der Geralt-Truppe.
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Yennefer ringt mit der neu gegründeten Loge der Zauberinnen um die Deutungshoheit über Ciri – und entzieht sich zugleich deren Zugriff, um auf eigene Faust zu handeln. Dass die Loge Ciri als politischen Hebel sieht und Fringilla Vigo Yennefer den Ausbruch ermöglicht, markiert den langfristigen Konflikt zwischen Fürsorge und Instrumentalisierung.
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In Nilfgaard kursiert die Propaganda von Ciris Verlobung mit Emhyr – die vielleicht ein Lügenkonstrukt ist. Für Geralt ist klar: Zuerst Ciri finden, dann reden.
Warum dieser Band trägt
Gefährtenschaft als Ethik: Feuertaufe ist das Buch, in dem aus Auftrag Bindung wird. Die Figuren, die Geralt um sich sammelt – Milva, Cahir, Regis, Jaskier –, sind kein Abenteurertrupp, sondern Infrastruktur: Sie halten ihn moralisch wach, korrigieren, widersprechen, retten. Das „Feuer“ im Titel ist deshalb weniger Schlachtromantik als Bewährungsprobe für Beziehungen.
Krieg als Verwaltung von Geschichten: An der Yaruga wird nicht nur gekämpft; Narrative werden sortiert: Heldentum, Verrat, Verlobungen, Legenden vom Älteren Blut. Wer die Erzählung kontrolliert (Könige, Loge, Nilfgaard), kontrolliert Verhalten. Sapkowski zeigt das ohne Thesenbrett – in Ratszimmern, Gerüchten und Befehlswegen.
Identität als Rüstung: Ciri nennt sich Falka, Geralt wird „offiziell“ von Riva – beide markieren, wie Namen in Kriegszeiten Schutz, Tarnung oder Auftrag sein können. Auch Cahir vollzieht diesen Schritt: vom Symbol der Angst zum Verbündeten, der seine Schuld nicht mit Pathos, sondern mit Taten abträgt.
Macht & Maß: Die Gegenüberstellung ist scharf: Regis als Monster mit Selbstdisziplin, Ciri als Mensch mit ungebremster Impulsivität. Das Buch fragt, ob Kontrolle eine Frage der Spezies ist – oder der Entscheidungsarbeit.
Realismus mit Drachenstaub
Geschrieben mitten in der Transformationszeit Osteuropas, nutzt der Roman Fantasy, um Institutionen unter Stress zu beobachten: Wenn Logen und Königreiche Legitimation verlieren, füllt Propaganda das Vakuum. Die Folge sind kleine, lokale Entscheidungen, die plötzlich große Wirkung entfalten – wie an der Yaruga. Darin liegt die Modernität des Bands: Er erzählt keine Welterklärung, sondern Protokolle der Verantwortung.
Road Novel, Ratszimmer, Schlaglichter
Sapkowski schreibt dialoggetrieben und szenisch: Spöttische Klingenrede, trockene Beobachtung, wenig Zierrat. Feuertaufe ist teils Road Novel, teils Kriegsprotokoll. Die Gruppe streitet, verhandelt, verarztet – und gerade diese Prozedur erzeugt Spannung. Die deutsche Ausgabe (dtv; Übersetzung u. a. Erik Simon) hält den Ton präzise und lakonisch.
Für wen eignet sich „Feuertaufe“?
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Für Fantasy-Leser, die Figurenarbeit und Graubereiche schätzen – weniger Bombast, mehr Konsequenz.
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Für Serien-/Game-Fans, die den Originalton wollen: Ironie, Ethik, langsameres Brennen mit hoher Nachwirkung.
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Für Buchclubs, die über Gefährtenschaft, Erzählmacht und Identität unter Druck sprechen möchten.
Kritische Einschätzung – Stärken & Schwächen
Stärken
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Die Truppe: Milva, Cahir, Regis, Jaskier – selten hat Found Family in Fantasy so organisch funktioniert.
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Yaruga und Meve: Das Brücken-Setpiece ist knallhart inszeniert; die anschließende Ritterschlag-Szene macht aus Mythos Biografie.
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Perspektivfächer: Ciri bei den Ratten, Yennefer vs. Loge – zwei Spiegel, die Geralts Weg politisch und emotional vertiefen.
Schwächen
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Mittelteil-Tempo: Die Marschabschnitte verlangen Geduld – wer nur „Action“ will, wird unruhig.
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Offstage-Großereignisse: Vieles passiert außerhalb des Bilds (bewusst historisch erzählt), was einigen Lesern „Show, don’t tell“-Sehnsucht lässt.
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Namensdichte: Fraktionen, Orte, Logen – wer von den Storybänden kommt, muss kurz umschalten.
Warum dieser Roman bleibt
Feuertaufe ist das Buch der entscheidenden Bindungen: Die Truppe formiert sich, Ciri wählt (falsch) Tempo statt Maß, Yennefer entscheidet sich gegen das Komitee und für Eigenverantwortung. Sapkowski zeigt, wie aus MoralHandlung wird – manchmal im Geröll einer Brücke, manchmal im leisen Gespräch am Lagerfeuer. Wer die Saga ernsthaft lesen will, kommt an diesem Band nicht vorbei: Er macht die Welt größer, die Figuren verletzlicher – und die nächsten Schritte unabwendbar. Klare Empfehlung, danach direkt Der Schwalbenturm.
Über den Autor – Andrzej Sapkowski
Andrzej Sapkowski (1948, Łódź) ist der Schöpfer der Witcher-Saga und einer der prägenden Stimmen der europäischen Fantasy. Aus einer Kurzgeschichte in der polnischen Zeitschrift Fantastyka wuchs ein neunteiliges Buchuniversum, das durch Dialogwitz, moralische Grauzonen und slawische Mythologie auffällt. Seine Werke wurden in viele Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet; stilistisch steht Sapkowski für klare Prosa, szenisches Erzählen und eine skeptische Sicht auf Macht und Institutionen.
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