Mit Am Ende des Sturms führt Alexander Hartung seine erfolgreiche Jan-Tommen-Reihe in die zwölfte Runde – und lässt ausgerechnet einen scheinbar „alltäglichen“ Fund den Stein ins Rollen bringen: ein lebloser Mann in einer Berliner Badewanne. Routine? Fehlanzeige. Die Identität passt nicht, der Tote lebte unter falschem Namen, und plötzlich zeigt der Kompass weg von der Hauptstadt – Richtung Mittelmeer. Hartung knüpft den Fall an ein Unglück vor Sardinien und an ein Geheimnis, das augenscheinlich mit Gewalt bewahrt werden soll. Genau diese Verknüpfung von Kieznähe und internationalem Echo ist die Stärke des Bands: bodenständige Polizeiarbeit, die in eine größere, politisch-ökonomische Druckkammer kippt.
Am Ende des Sturms von Alexander Hartung - Berlin, eine Badewanne und eine Spur, die nach Süden zieht
Handlung von Am Ende des Sturms
Hauptkommissar Jan Tommen und sein Team werden zu einem Todesfall in einem Berliner Altbau gerufen. Die Spurenlage ist trickreich: Es könnte ein Unfall sein – oder ein sauber arrangierter Mord. Bei der Identitätsprüfungtauchen Widersprüche auf; der Mann hat nicht unter seinem echten Namen gelebt. Wovor – oder vor wem – hat er sich versteckt? Die Ermittlungen öffnen einen Teil der Vergangenheit, der nicht nach Berlin riecht, sondern nach Salz, Diesel und Sturm: Tommen stößt auf eine gesunkene Yacht vor Sardinien, zwei Jahre zurück, mit mehreren Toten und nur zwei Überlebenden. Seither klafft etwas – in Akten, in Aussagen, in Biografien.
Je näher Tommens Team an die damalige Unglücksnacht heranrückt, desto klarer wird: Hier ist nichts „natürlich“ verlaufen. Versicherungsinteressen, alte Loyalitäten und eine Kette von kleinen Lügen bilden ein Spannungsgeflecht, das bis in die Gegenwart reicht. Der Verdacht: Jemand hat die Ermittlungslinien gezielt gekappt und nutzt Berlin als Versteck – bis der Körper in der Badewanne alles wieder hochspült. Hartung bleibt seinem Prinzip treu: Kapitel mit Bühnenschnitt, wechselnde Schauplätze, präzise Details (Tatlabor, Vernehmungsräume, Hafendokumente), dazu Zwischenspiele auf Sardinien, wo die Wahrheit zwar verwittert, aber nicht verschwindet. Das Ergebnis ist kein Globalthriller, sondern ein Berliner Polizeifall mit Mittelmeer-Echo – und ein Finale, das die Anfangsfrage umdreht: Nicht wer der Tote war, sondern wer er gewesen wäre, wenn man ihn gelassen hätte.
Themen & Motive – Identität, Schuld, Seewege
1) Versteckte Identitäten: Der falsche Name ist kein Trick, sondern Existenzstrategie. Der Roman verhandelt, wie Biografien neu geschrieben werden – und welchen Preis das hat, wenn Systeme (Behörden, Versicherer, Medien) eindeutige Kategorien verlangen.
2) Die lange Welle der Vergangenheit: Ein Ereignis abseits des Einsatzgebietes wirkt in Berlin nach. Hartung zeigt, wie internationale Fälle nicht mit Fernreisen beginnen, sondern mit lokalen Widersprüchen: eine unpassende Meldeadresse, ein versiegeltes Gutachten, ein zu glatter Satz.
3) Das Meer als Beweismittel: Der Sturm im Titel ist kein reines Bild. Wasser verwäscht Spuren, aber löscht sie nicht. Der Roman nutzt das Meer als Archiv: Wracks, Bergungsberichte, Hafenquittungen – lauter Dokumente, die nur „sprechen“, wenn man die richtigen Fragen stellt.
Warum der Fall größer wirkt als sein Tatort
See-Unglücke sind kein reines Naturphänomen; sie sind Schnittstellen von Geld, Verantwortung und juristischen Grauzonen. Ob Versicherungssummen, Reeder-Image oder Bergungskosten – es stehen Werte im Raum, die Narrative prägen. Hartungs Plot greift genau diesen Reibpunkt: Was wird offiziell und was inoffiziell dokumentiert? Wer hat Zugriff auf Beweise – und wer zahlt, wenn sie auftauchen? Indem der Roman von Berlin nach Sardinien zoomt, zeigt er, wie europäische Verflechtungen Ermittlungen beschleunigen oder bremsen können. Das bleibt verständlich und macht den Stoff heutig: globale Mobilität trifft auf lokale Polizei-Realität.
Hartungs Takt: sauber, schnell, ohne Zierrat
Hartung schreibt geradeaus: kurze Szenen, klare Dialoge, detailgenaue Polizeischritte statt Dozententon. Typisch für die Reihe sind die Schnittstellen-Momente – wenn der Blick aus dem Vernehmungsraum kurz auf die Privatseite einer Figur fällt, ohne die Ermittlungslinie zu verlieren. Der Ton bleibt nüchtern-spannend; die Bildsprache arbeitet mit sachlichen Markern (Berliner Orte, Hafendetails, Witterung), nicht mit Pathos. Das macht den Text zugänglich für alle, die Tempo und Prozedur mögen: Was wurde wann geprüft? Wer hat die Akte zuletzt gesehen? Welche Auskunft blockiert – und warum?
Für den Lesesog sorgen die kapitellangen Haken: Kleine Erkenntnis, kurzer Cut, nächste Fährte. So erzeugt Hartung Rhythmus statt bloße Hektik – ein Stil, der sich über zwölf Bände eingespielt hat und auch hier verlässlich trägt.
Für wen ist „Am Ende des Sturms“ geeignet?
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Reihenleser, die Jan Tommens Berlin-Vibe lieben und kontinuierliche Figurenarbeit schätzen.
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Krimifans, die Prozedural-Details mögen (Spurensicherung, Abgleich, internationale Amtshilfe), aber ohne Technik-Monologe.
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Leser von Küsten-/Mittelmeer-Plots, die nicht „Urlaubscrime“, sondern hartere Ermittlungsware wollen.
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Einsteiger: Der Fall ist stand-alone lesbar; Vorwissen vertieft aber die Teamdynamik und einige wiederkehrende Reibungen.
Kritische Einschätzung – Stärken & Schwächen
Stärken (3)
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Kernsaubere Prämisse: Toter unter falscher Identität → Mittelmeer-Unglück → Netz aus Interessen. Klar, eingängig, spannungsökonomisch.
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Berlin–Sardinien-Achse: Das Locale-Wechselspiel verleiht Gewicht, ohne zum Reiseroman zu werden.
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Pacing: Kurze, fokussierte Kapitel und eine nachvollziehbare Ermittlungslogik halten den Druck hoch – People-first-Lesefluss statt Rätselposen.
Schwächen (2–3)
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Realismus-Kredite: Einzelne Wendepunkte verlangen gutwilliges Mitgehen (wie bei vielen High-Pace-Krimis).
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Grau-Zonen der Gegenseite: Antagonisten sind streckenweise funktional gezeichnet – für Tempo plausibel, für psychologische Tiefe weniger ergiebig.
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Serien-Innenwitze: Wer die Reihe nicht kennt, überliest ein paar subkutane Anspielungen – ohne dem Fall zu schaden, aber mit Potenzialverlust.
Lohnt sich der zwölfte Tommen?
Ja. Am Ende des Sturms liefert genau das, was Hartung-Leser erwarten – und noch etwas: die lange Welle eines alten Unglücks, die in Berlin ankommt und Biografien neu sortiert. Der Roman ist zugänglich für Neueinsteiger, dabei sattfür Reihenfans. Er funktioniert als klassischer Polizeikrimi mit internationalem Echo, ohne zum Thriller-Kino zu kippen. Wenn du Tempo, klare Ermittlungsfragen und sachliche Spannung magst, ist dieser Band ein sicherer Griff – ideal für ein Wochenende, an dem du „nur kurz reinschauen“ willst und dann spät das Licht ausmachst.
Über den Autor – Alexander Hartung
Alexander Hartung (1970, Mannheim) ist Volkswirt, arbeitete in Beratung und IT und schreibt seit 2014 Krimis – begonnen mit Bis alle Schuld beglichen, dem Auftakt der Jan-Tommen-Reihe. Bis heute sind zwölf Bände der Serie erschienen; Am Ende des Sturms ist Nr. 12 (Veröffentlichung 2025). Neben Tommen schreibt Hartung die Reihen um Nik Pohl (München) und Alina Grimm (Hamburg) sowie Einzelromane.
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