Untreu Natalie Barelli:Ehebruch, Drohbriefe, akademischer Druck – warum dieser Thriller unter die Haut geht

Vorlesen

Untreu ist die Übersetzung von Natalie Barellis Unfaithful – ein psychologischer Spannungsroman über Verrat, Schuld und die Zerbrechlichkeit eines perfekten Lebens. Im Mittelpunkt steht eine Mathematik-Dozentin, die nach dem Tod ihres besten Studenten und dem Verdacht, ihr Mann habe eine Affäre, in eine Spirale aus Drohungen, Polizeibefragungen und Fehlentscheidungen gerät. Der Verlag fasst das Setting als „Ehe als Festung – bedroht von Eindringlingen“ zusammen; im deutschen Klappentext ist zudem von Drohbriefen und einer Befragung zum Tod eines Schülers die Rede. Die deutsche Ausgabe erschien am 15. April 2024 (E-Book und Taschenbuch), das Hörbuch folgte am 30. Januar 2025.

Untreu von Natalie Barelli Untreu von Natalie Barelli Amazon

Hier bestellen

Untreu: Ein nervenzerreißender Psychothriller

Worum geht es in Untreu ?

Die Ich-Erzählerin – Anna, Dozentin für Mathematik – glaubt ihr Leben im Griff zu haben: zwei Kinder, ein kreativer Ehemann mit Atelier, eine angesehene Position an der Universität. Dann stürzt ein Tag alles um: Ihr bester Doktorand Alex ist tot; aufgewühlt fährt sie spontan zum Atelier ihres Mannes – und entdeckt Indizien für eine Affäre. Anna sagt nichts. Statt den Konflikt zu suchen, versucht sie, die Fassade zu wahren: für die Kinder, für ihren Ruf, für die Karriere.

Doch die Außenwelt rückt näher: anonyme Drohbriefe, Fragen der Polizei zum Tod von Alex, Unruhe in der Fakultät. Annas inneres Mantra – „die perfekte Ehefrau sein“ – kippt zur Selbstüberwachung. In der Universität wächst der Druck: Forschung, Betreuung, Publikationen, Entscheidungen; und über allem schwebt der plötzliche Verlust jenes Talents, auf das die Fakultät setzte. In dieser Lage trifft Anna eine unethische Kurzschluss-Entscheidung, die sie selbst in Gefahr bringt. Mehr Details lassen wir bewusst aus: Die Spannung entsteht daraus, was sie verschweigt, wer sie beobachtet – und wie das Lügengebäude Risse bekommt, bis alles auf eine Finalentscheidung zuläuft. (Der Roman hält die wichtigsten Wendungen lang zurück; deshalb verzichten wir hier auf konkrete Auflösungen.)


Vertrauensbruch, akademische Ethik, unzuverlässiges Erzählen

  • Ehe & Loyalität: Der Fokus liegt nicht auf der „Affäre“ als Schockbild, sondern auf der Stillarbeit

    der Loyalität: Wie viel verleugnet man, um die Familie zu schützen? Barelli zeichnet das als psychologisches Kammerspiel – Annas Schweigen wird zum Motor.

  • Akademischer Druck & Fehlverhalten: Zwischen Publikationswettlauf, Betreuungsarbeit und Karrierelimbo nimmt der Text Ethik an der Uni ernst. Die Grenzverschiebungen beginnen klein und werden zur Zumutungsprobe für Charakter und Gewissen.

  • Kontrolle & Beobachtung: Drohbriefe, Befragungen, soziale Blicke – das Buch zeigt, wie Überwachung im Privaten wirkt: nicht durch Technik, sondern durch Deutungshoheit über Verhalten und Gerücht.

  • Unzuverlässige Perspektive: Anna ist klug und zugleich verletzlich – ihr Blick ist gefärbt von Angst, Wut und Reue. Das erzeugt Ambivalenz: Man glaubt ihr, hinterfragt sie, und liest doch weiter, um Gewissheit zu bekommen. (So betonen es auch zahlreiche Leser*innen-Stimmen.)

Domestic Noir trifft Hochschulrealität

Untreu verbindet zwei Diskursräume: Domestic Noir (Fassade der perfekten Familie, latente Gewalt des Alltags) und Hochschule (Karriereleitern, Konkurrenz, Betreuungs- und Publikationsdruck). Diese Kombination ist für das Subgenre ungewöhnlich und wird in deutschsprachigen Rezensionen ausdrücklich hervorgehoben: Das Universitätsmilieu verleiht der Geschichte Glaubwürdigkeit und einen frischen Schauplatz jenseits klassischer Vorort-Kulissen.

Klar, temporeich, figurenfokussiert

Barelli schreibt zugänglich, mit kurzen Kapiteln und präzisen Cliffhangern. Viele Szenen sind auf Entscheidungsmomente zugespitzt: eine Mail nicht senden, eine Aussage weglassen, eine Grenze überschreiten. Die Sprache bleibt nah an Annas Innenwelt, ohne ornamentale Umwege – das hält den Sog hoch und erklärt, warum viele Leser*innen das Buch „in einem Rutsch“ beenden.

Zielgruppe

  • Leser, die psychologische Spannung mögen, ohne blutige Effekte – der Druck entsteht aus Fehlentscheidungen und sozialen Konsequenzen.

  • Buchclubs/Lesekreise, die über Beziehungsethik, akademische Integrität und Selbsttäuschung diskutieren möchten (der Roman liefert reichlich Reibungspunkte).

  • Hörer: Das deutsche Hörbuch (9 Std. 4 Min.) wird von Henrike Tönnes gelesen – eine klare Empfehlungfür alle, die die Ich-Stimme als Hör-Erfahrung schätzen.


Kritische Einschätzung – Stärken & mögliche Schwächen

Stärken

  1. Spannung aus Alltagssituationen: Der Text zeigt, wie kleine moralische Abweichungen große Folgen haben – glaubhaft und beklemmend.

  2. Eigenständiger Schauplatz: Das Uni-Setting (Forschung, Betreuung, Begutachtung) ist im Psychothrillerfeld selten und trägt die Handlung.

  3. Schneller Lesefluss: Kurze Kapitel, klare Figurenführung, stringente Eskalation – ideal für „Nur noch ein Kapitel“-Nächte.

Mögliche Schwächen

  1. Glaubwürdigkeitsfragen am Ende: Manche Rezensionen finden die finale Zuspitzung überdreht bzw. mit Logiklücken – das gehört zum Genre, wird aber verschiedentlich benannt.

  2. Figurenzeichnung Nebenrollen: Nebenfiguren dienen teils als Projektionsflächen; wer komplexe Nebenplots erwartet, könnte mehr Nuance wünschen.

  3. Frustrationspotenzial: Annas Vermeidungsstrategie (nicht reden, vertuschen) ist konsequent, kann aber Leser:innen triggern, die proaktive Kommunikation erwarten.

Diskussions- und Reflexionsimpulse

  • Grenzen & Geheimnisse: Welche Geheimnisse sind schutzbedürftig, welche zerstörerisch? Lässt sich das im Vorfeld unterscheiden – und wie?

  • Arbeit & Identität: Wie beeinflussen Karriereziele moralische Urteile? Diskutiert konkrete Szenen, in denen Annas Selbstbild das Faktenbild überlagert.

  • Familienrolle vs. Selbstachtung: Was „schuldet“ man der Familie – und was sich selbst? Wo kippt Rücksicht in Selbstverlust?

Häufige Fragen

Brauche ich Vorkenntnisse zu Barelli oder ihren anderen Thrillern?

Nein. Untreu ist in sich abgeschlossen. Wer Barelli mag, erkennt ihre Handschrift (Domestic Noir, innere Spannung, pointierte Twists), aber es gibt keine Serienbindung. Für Einsteiger:innen ist es ein guter Start, weil die Alltagsszenenverständlich und die Moralfragen unmittelbar sind.

Wie hart ist der Stoff – gibt es Content-Hinweise?

Es gibt psychische Belastungssituationen, Drohungen und einen Todesfall im akademischen Umfeld. Keine explizite physische Gewalt im Splatter-Sinn; der Druck ist psychologisch. Für sensible Leser:innen empfehlen sich Lesepausen, wenn Annas innere Spirale zu nahe geht. (Die deutsche Verlagsbeschreibung setzt klar auf Nerven- statt Blutschock.)

Wie realistisch ist das Uni-Setting?

Der Roman typisiert Abläufe (Publikationsdruck, Betreuungsverhältnisse, Beförderung), bleibt aber wiedererkennbar: Konkurrenz, „Publish or perish“, Abhängigkeiten zwischen Dozent:innen und Promovierenden. Einzelne Lektüren heben genau diesen Schauplatz als Pluspunkt hervor – auch wenn die Finaldramaturgie thrillerhaft zuspitzt.

Über die Autorin: Natalie Barelli

Natalie Barelli lebt in den Blue Mountains bei Sydney (Australien) und schreibt psychologische Thriller und Domestic-Noir-Romane – u. a. Missing Molly, The Housekeeper, The Accident. In Interviews und auf ihrer Website beschreibt sie ihren Stil als spannungsgeladen mit dunklem Humor.

Lohnt sich „Untreu“?

Ja – insbesondere, wenn du Spannung ohne Blutrausch, dafür mit moralischem Druck suchst. Barelli zeigt, wie Schweigen, Stolz und Karrieredruck Entscheidungen deformieren. Das Universitätsmilieu gibt dem Stoff Profil, die Ich-Stimme sorgt für Nähe, der Plot eskaliert sauber – wenn auch mit einer Finalkurve, die man mögen muss. Für Buchclubs bietet Untreu reichlich Diskussionsstoff; als Hörbuch gewinnt die Geschichte zusätzlich durch die stimmliche Ambivalenz der Erzählerin.

Hier bestellen

Untreu: Ein nervenzerreißender Psychothriller

Gefällt mir
0
 

Topnews

Mehr zum Thema

Aktuelles

Dorothee Elmiger – Die Holländerinnen Dorothee Elmiger – Die Holländerinnen Die Holländerinnen ist ein vielschichtiger, bildmächtiger Roman, der sich weigert, bequem konsumierbar zu sein. Dorothee Elmiger führt ihre Leser in einen Dschungel der Sprache, in dem sich Kolonialgeschichte, Theaterdiskurs und existentielle Fragen überlagern. Wer bereit ist, sich diesem Dunkel auszusetzen, findet darin nicht nur eine literarische Erfahrung, sondern auch ein Nachdenken über die Verantwortung des Erzählens im 21. Jahrhundert. Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
Buchvorstellung

Dorothee Elmiger – Die Holländerinnen

Rezensionen