Heiß geliebt, viel gelesen – und wiederentdeckt Die Mosaik-Comics und ihr Schöpfer Hannes Hegen: Ein Rückblick zum 100. Geburtstag

Vorlesen

Für viele Kinder und Jugendliche in der DDR begann das Abenteuer zwischen den Seiten eines kleinen bunten Hefts: Mosaik, mit seinen Helden Dig, Dag und Digedag, wurde nicht nur gelesen, sondern regelrecht verschlungen, getauscht, archiviert – und gesammelt wie ein Schatz. Fast drei Jahrzehnte nach dem Ende der Digedags im Druck erleben sie nun eine Wiederentdeckung. Zum 100. Geburtstag ihres Schöpfers Hannes Hegen kehren sie zurück: auf die Bühne, in die Buchhandlung, ins kulturelle Gedächtnis.

Das Duell an der Newa wird im Juni erstmals publiziert. Das Duell an der Newa wird im Juni erstmals publiziert. MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag + PROCOM Werbeagentur GmbH

Vom Kinderzimmer ins Theater

Pünktlich zum Jubiläum würdigen verschiedene Veranstaltungen das Werk des 1919 geborenen Hegen, mit bürgerlichem Namen Johannes Eduard Hegenbarth. Das Theater am Wettiner Platz in Dresden zeigt eine bebilderte Lesung aus der beliebten Ritter-Runkel-Serie, in der Originalillustrationen mit Live-Erzählung kombiniert werden. Was einst in Schulranzen und unter Bettdecken wanderte, bekommt nun Rampenlicht. Der künstlerische Leiter Peter Förster konnte dafür eine Lizenz beim Tessloff Verlag erwirken, der die alten Ausgaben heute in Sammelbänden neu auflegt.

Ein Comic aus dem Archiv

Die Rückkehr der Digedags erfolgt nicht nur in multimedialer Form, sondern auch im Originalformat: Ein bislang unveröffentlichtes Comic-Heft aus Hegens Nachlass, Das Duell an der Newa, wird im Juni erstmals publiziert – herausgegeben vom MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag, der seit Heft 193 das Mosaik verlegt und sämtliche Rechte an der Reihe ab 1976 sowie an den Abrafaxen besitzt. Neben dem regulären Magazin veröffentlicht der Verlag auch Sonderformate wie die Nebenserie Die Abrafaxe und thematische Alben.

Die Geschichte geht zurück auf die sogenannte Erfinderserie aus den frühen 1960er Jahren, in der die Digedags berühmte Pioniere der Technikgeschichte begleiteten – darunter Wilhelm Bauer, Konstrukteur des ersten deutschen U-Boots. Die Serie wurde 1964 auf Druck der damaligen Verlagsleitung abgebrochen, obwohl zwei Manuskripte bereits fertiggestellt waren. Jahrzehntelang galten sie als verschollen, bis sie kürzlich im Nachlass wiederentdeckt wurden. Eines davon, ursprünglich als Heft 90 vorgesehen, wurde nun von den Zeichnern Ulf S. Graupner und Steffen Jähde vollendet – ein verspätetes Kapitel, das nun ein würdiges Publikum findet.

Hier kann: Das Duell an der Newa bestellt werden.

Formate, Verlage und Neuanfänge

Die erste Ausgabe des Mosaik erschien am 23. Dezember 1955 im Verlag Neues Leben in Ost-Berlin. Das Heftformat – 16,4 x 24 cm – ist bis heute erhalten geblieben. Anfangs vierteljährlich publiziert, wurde ab Heft 7 im Juni 1957 auf einen monatlichen Rhythmus umgestellt. Der Preis lag damals bei 0,60 Mark. Ab Januar 1960 übernahm der Verlag „Junge Welt“ die Herausgabe.

Mit der Ausgabe Nr. 229 im Juni 1975 endete die Ära der Digedags – Hannes Hegen kündigte seinen Vertrag und behielt die Rechte an seinen Figuren. Zur Überbrückung wurden zunächst sechs Hefte der beliebten Ritter-Runkel-Serie nachgedruckt. Ab Januar 1976 begann das Mosaik neu: mit den Abrafaxen, drei neuen, koboldähnlichen Figuren, die in abenteuerlichen Erzählbögen durch Zeit und Raum reisen. Seit Januar 1992 erscheint das Magazin im MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag, der 1992 aus einer Fusion mit der PROCOM Werbeagentur hervorging. Mit Heft 193 wurde eine fortlaufende Nummerierung eingeführt, welche die Abrafax-Reihe in die Tradition der Digedags zurückführt.

Zwei große Erzählstränge: Geschichte im Heftformat

Inhaltlich war das Mosaik stets ambitionierter als viele seiner westlichen Pendants. Die frühe Weltraumserie (Hefte 25–44) entwarf mit der Republikanischen Union und dem Großneonischen Reich eine Allegorie auf den Kalten Krieg – eingebettet in eine Expedition durch Planeten, deren Entwicklungsstadien jenen der Erde glichen. Ab Heft 45 wurden zwei parallel laufende Erzählebenen etabliert: die kosmische Haupthandlung und Rückblenden in die Technikgeschichte. Die Serie vermittelte detailreiches Wissen über Evolution, Dampfmaschinen und gesellschaftliche Entwicklungen.

Besonders prägend waren zwei große Erzählbögen: die Ritter-Runkel-Serie (Hefte 90–151, 1964–1969), angesiedelt im mittelalterlichen Europa, und die Amerika-Serie (Hefte 152–211, 1969–1974), die eine Reise durch das Amerika vor dem Sezessionskrieg schilderte – von Sklavenfarmen bis zur zweiten Schlacht am Bull Run. In beiden Zyklen wurde historisches Wissen mit Humor, Abenteuer und sozialem Gespür vermittelt. Politisch seien die Geschichten nie gewesen, sagte Hegen später – doch Spuren der Zeitgeschichte lassen sich durchaus finden.

Eine neue Leserschaft?

Die Ausstellung „Comics in der DDR“ in der Berliner Bezirkszentralbibliothek Mark Twain fragt genau das: Welche kulturelle Rolle spielten Hegen und seine Helden? Und wie lässt sich dieses Werk heute lesen? Mit dem Abstand von Jahrzehnten erscheinen manche Seiten skurril, andere überraschend modern. Harry Ralf Herrling, Hegen-Biograf und langjähriger Chronist der Mosaik-Geschichte, betont in seiner Einführung das kreative Beharrungsvermögen eines Künstlers, der mit Zeichenstift und Erzählung ein Millionenpublikum erreichte – in einem System, das kulturelle Kontrolle großschrieb.

Mehr als Nostalgie

Dass die Digedags heute wieder aufleben, ist mehr als ein nostalgisches Intermezzo. Es ist eine Erinnerung daran, wie stark das Bedürfnis nach intelligenter Unterhaltung auch unter ideologischen Bedingungen war. Hegens Werk hat Generationen geprägt – nicht nur als Lektüre, sondern als kollektives Kulturphänomen. Wer heute die alten Hefte liest oder das neue Comic-Heft aufschlägt, betritt nicht nur eine andere Welt, sondern auch ein Stück vergangener Wirklichkeit, die plötzlich erstaunlich lebendig wirkt.


Gefällt mir
1
 

Topnews

Aktuelles

Rezensionen