Sebastian Fitzek überrascht erneut – und diesmal ganz bewusst ohne Thriller. Mit „Horror-Date: Kein Thriller“ legt er den dritten Band seiner sogenannten KeinThriller-Reihe vor. Nach „Der erste letzte Tag“ und „Elternabend“ bleibt Fitzek seinem Kurs treu, ernste Themen mit Humor zu verbinden. Doch auch wenn der Titel auf leichte Unterhaltung hoffen lässt, steckt in diesem Roman viel mehr als eine schräge Date-Geschichte. Es ist ein Roman über unsere Angst vor Nähe, über die Flucht vor der Wahrheit und die Frage, ob wir überhaupt wissen, wer wir sind – und wer wir sein wollen.
„Horror-Date“ von Sebastian Fitzek – Ein Roman über die Angst, sich selbst zu zeigen
Worum geht es in „Horror-Date“? – Mehr als eine skurrile Verwechslung
Im Mittelpunkt steht Raphael, ein junger Mann, der durch eine schwere Krankheit weiß, dass ihm nur noch wenig Zeit bleibt. Auf der Plattform The Walking Date, einem Dating-Portal speziell für Sterbenskranke, sucht er nach einer letzten tiefen Verbindung – und findet sie in Nala, die ebenfalls schwer krank ist. Zwischen den beiden entsteht eine virtuelle Nähe, getragen von Ehrlichkeit und Offenheit, wie sie wohl nur unter Menschen entsteht, die nichts mehr zu verlieren haben.
Als es zum ersten Treffen kommen soll, kann Raphael den Termin aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen. Aus Verzweiflung bittet er seinen besten Freund Julius, in seiner Rolle zum Date zu erscheinen. Julius, ein erfolgreicher, selbstverliebter Start-up-Millionär, stimmt widerwillig zu – und tappt damit in eine emotionale Falle, aus der es kein leichtes Entkommen gibt.
Um seine wahre Identität zu verschleiern, behauptet Julius kurzerhand, er sei dabei, sein gesamtes Vermögen zu verschenken. Was folgt, ist ein Kaskadeneffekt aus Lügen, Missverständnissen, wachsender Nähe und moralischem Dilemma.
Fitzeks Stil: leichtfüßig, witzig – aber mit Tiefgang
Obwohl Fitzek sich in diesem Roman deutlich vom Thriller-Genre entfernt, ist seine Handschrift sofort erkennbar. Die Erzählweise bleibt schnell, die Dialoge sind pointiert, und der Spannungsaufbau funktioniert auch ganz ohne Verbrechen. Besonders gelungen ist die Balance aus ironischem Witz und emotionalem Ernst. Fitzek gelingt es, gesellschaftlich relevante Themen wie Sterblichkeit, Verantwortung und Selbstbetrug in eine unterhaltsame Geschichte zu verpacken, ohne je ins Lächerliche abzurutschen.
Die Figuren wirken trotz ihrer teils überspitzten Eigenschaften glaubwürdig – gerade weil sie ihre Widersprüche offen ausleben. Julius etwa ist oberflächlich und egomanisch, aber auch verletzlich und erstaunlich reflektiert, sobald seine Maske zu bröckeln beginnt. Nala wiederum ist keine typische Romanheldin, sondern selbstbewusst, verletzlich und klug – jemand, der sich nicht mit leeren Versprechen abspeisen lässt.
Ein Roman über Krankheit, Wahrheit und die Sehnsucht nach Bedeutung
Auch wenn „Horror-Date“ mit Humor punktet, ist es im Kern ein Roman über das Leben mit dem Tod im Nacken. Fitzek nähert sich der Thematik nicht mit Mitleid, sondern mit Respekt. Raphael und Nala sind keine Opfer ihrer Diagnose, sondern Menschen, die in ihrer letzten Lebensphase versuchen, etwas Echtes zu finden – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Gleichzeitig stellt der Roman die Frage, wie viel Wahrheit eine Beziehung erträgt. Julius’ Lüge wächst ihm über den Kopf, weil sie anfangs nur aus Hilfsbereitschaft entstanden ist. Doch schnell wird klar: Sein Verhalten ist nicht nur ein Gefallen, sondern auch eine Flucht vor sich selbst. Der emotionale Kern des Buchs liegt in diesem inneren Konflikt: Muss man sterben, um ehrlich zu leben?
Für wen ist das Buch gedacht? – Wer lachen will, aber nicht oberflächlich lesen möchte
„Horror-Date“ ist kein Buch, das sich leicht in ein Genre pressen lässt – und gerade das macht es besonders. Leserinnen und Leser, die emotionale Tiefe mit scharfsinnigem Humor mögen, werden hier auf ihre Kosten kommen. Wer Fitzek nur aus dem Thriller-Regal kennt, könnte überrascht sein, wie gut er auch andere Tonlagen beherrscht.
Besonders empfehlenswert ist das Buch für Menschen, die Geschichten mögen, in denen Charaktere sich entwickeln, anecken, scheitern – und gerade dadurch an Profil gewinnen. Es ist kein typischer Liebesroman, aber ein Roman über das, was wahre Begegnungen ausmacht.
Kritik und Resonanz – Genrewechsel mit Erfolg
„Horror-Date“ wurde nach Veröffentlichung schnell zum Spiegel-Bestseller und konnte sich sowohl unter langjährigen Fitzek-Fans als auch bei neuen Lesergruppen behaupten. Kritiker lobten die feinfühlige Behandlung der Thematik, den originellen Plot und die glaubwürdigen Figuren.
Einige Rezensenten bemängelten, dass gewisse Nebenfiguren klischeehaft bleiben oder der Roman an manchen Stellen etwas zu dialoglastig sei. Dennoch überwiegt der Eindruck, dass Fitzek mit diesem Buch erneut bewiesen hat, wie wandlungsfähig er ist – und dass Populärliteratur auch inhaltlich anspruchsvoll sein kann.
Ein Roman, der unterhält, aber nicht weggelesen wird
„Horror-Date“ ist ein Roman, der vielleicht ohne Blut und Verbrechen auskommt, aber dennoch erschüttert – weil er den Finger genau in die Wunde legt, die wir im Alltag oft ignorieren. Er erzählt eine Geschichte über Masken, die wir tragen, über Nähe, die wir vermeiden, und über Wahrheiten, die wir uns selbst nicht sagen.
Und er tut das mit Humor, mit Feingefühl – und mit Sätzen, die nachhallen. Für alle, die Literatur nicht nur konsumieren, sondern erleben wollen, ist „Horror-Date“ mehr als nur ein weiterer Fitzek: Es ist ein kleines Plädoyer für Mut, Liebe und Echtheit.
Fitzek neu gedacht – Der Autor im Porträt
Sebastian Fitzek (*1971) hat sich über die letzten 15 Jahre hinweg vom Überraschungserfolg zum festen Bestandteil der deutschsprachigen Literaturszene entwickelt. Seine Thriller erreichen Millionenauflagen, doch mit der „Keinthriller“-Reihe zeigt er, dass er mehr kann als Spannung und Psychospielchen.
Fitzek nutzt seine Reichweite zunehmend für gesellschaftlich relevante Themen – sei es durch Unterstützung psychischer Gesundheitsprojekte oder durch Bücher wie dieses, die Mut machen, über Dinge zu sprechen, die sonst gern verdrängt werden.
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