Martin Mosebach ist ein Autor, der mit Sprache formt wie ein Maler mit Farbe. Seine Sätze haben Gewicht, seine Themen Tiefe, seine Figuren Schärfe. In Die Richtige geht es um die Kunst und ihre Modelle, um Männer, die sehen wollen, und Frauen, die gesehen werden sollen – oder müssen. Aber es geht auch um Täuschung, Begehren, Selbstbilder und Inszenierung – nicht nur auf der Leinwand, sondern auch im Leben.
„Die Richtige“ von Martin Mosebach: Kunst, Kontrolle und die Macht des Blicks
Worum geht es in "Die Richtige"
Ein Roman über Kunst, Macht und das fragile Gleichgewicht zwischen Darstellung und Wirklichkeit
Die Geschichte beginnt mit einer unscheinbaren Begegnung. Der berühmte Maler Louis Creutz, ein kultivierter, etwas eitel inszenierter Künstler in mittleren Jahren, trifft bei einer Ausstellung auf Astrid Thorblén, eine junge Frau mit klarem Blick und zurückhaltender Präsenz. Sie ist als Ehefrau für den Bruder seines alten Freundes und Gönners Rudolf vorgesehen. Creutz jedoch verfolgt andere Absichten: Er bietet sich als Porträtmaler an, um Astrid näherzukommen – und spinnt sich damit in eine Dreieckskonstellation ein, die sich schleichend, fast idyllisch entfaltet, zugleich jedoch emotional aufgeladen ist.
Was Creutz in ihr erkennt, geht über gesellschaftliche Arrangements hinaus: nicht nur Jugend und Schönheit, sondern die Ahnung einer Gestalt, die auf seiner Leinwand Wirklichkeit werden soll – eine neue Muse, ein neues Idealbild, ein weiteres Frauenporträt, das mehr zeigt als ein Gesicht.
Die Frau im Bild – und daneben
Creutz will Astrid nicht besitzen, nicht lieben, nicht verstehen – er will sie sehen. Aber dieses Sehen ist ein Akt der Aneignung. Wie alle seine Gemälde von Frauen soll auch das Bild von Astrid ein Ausdruck von Klarheit und Kontrolle sein. Doch genau darin liegt der Bruch: Astrid ist nicht kontrollierbar. Sie entzieht sich, auch wenn sie mitmacht. Sie bleibt anwesend und fern zugleich.
Mosebach zeichnet diesen Spannungsverlauf meisterhaft nach. In langen, detailreichen Szenen entfaltet sich eine Beziehung, in der nicht Liebe, sondern Deutung die treibende Kraft ist. Die Kunst verlangt ihre Opfer – das ist die stille These dieses Romans – aber diese Opfer spielen mit. Sie haben ihre eigenen Vorstellungen davon, wie sie wahrgenommen werden wollen.
Eine Sprache wie eine alte Leinwand
Stilistisch bleibt Mosebach sich treu: Seine Sprache ist ausgearbeitet, rhythmisch, niemals flüchtig. Er setzt auf sorgfältig komponierte Sätze, auf Wortschärfe und Ironie. Dabei wirkt sein Ton nie altmodisch, obwohl er klassische Formen liebt. Er schreibt mit Ernst – aber nie humorlos.
Was bei vielen Autoren manieriert wirken würde, ist bei Mosebach Ausdruck einer Haltung: Literatur als Formbewusstsein, als Reflexion, als Kunst. Die Richtige ist ein Roman, der nicht hetzt, der sich Zeit nimmt – für Blicke, für Gesten, für Zwischentöne. Ein Buch, das sich wie ein Ölporträt entfaltet: langsam, aber mit Tiefe.
Kunst und Kontrolle – eine gefährliche Allianz
Im Zentrum steht die Frage: Wer kontrolliert das Bild? Ist es der Maler? Das Modell? Oder am Ende der Betrachter? Die Erzählung wirft genau diese Unklarheiten auf, ohne sie aufzulösen. Astrid bleibt „die Richtige“ – aber für was? Für wen? Ist sie die Richtige für das Bild, für den Künstler, für den Leser? Oder ist dieser Titel ein Zynismus, der das Unverfügbare benennt?
Diese Vieldeutigkeit macht Die Richtige zu einem literarischen Spiegel. Leserinnen und Leser werden sich je nach Erfahrung, Alter, Geschlecht unterschiedlich auf Astrid und Creutz beziehen. Was der eine als Machtmissbrauch liest, interpretiert der andere als klassische Rollenverteilung. Mosebach lässt genau diesen Raum.
Für wen ist dieser Roman?
Die Richtige ist kein Roman für eilige Leser. Es ist ein Buch für jene, die bereit sind, sich auf ein literarisches Tableau einzulassen – in dem jeder Strich, jede Farbe, jede Geste Bedeutung trägt. Wer Bücher wie Der Maler von Rabih Alameddine oder Die Eleganz des Igels von Muriel Barbery mochte, wird hier fündig. Auch wer Interesse an kunstphilosophischen Fragen und literarisch dichten Gesellschaftsporträts hat, findet hier ein Buch mit Substanz.
Ein Roman zur richtigen Zeit?
In Zeiten, in denen gesellschaftliche Debatten über Geschlechterrollen, Machtstrukturen und Blickregime neu verhandelt werden, wirkt Die Richtige wie ein historisch anmutendes Kammerspiel – und zugleich hochaktuell. Die Dynamik zwischen Künstler und Modell ist nicht nur ästhetisch, sondern politisch. Und sie wird hier nicht belehrt, sondern erzählt.
Fazit: Ein kluger, langsamer Roman über das, was im Blick verborgen bleibt
Martin Mosebach gelingt mit Die Richtige ein leises, aber pointiertes Kunststück. Er zeigt, wie subtil Macht ausgeübt wird – und wie widerspenstig sie sich manchmal verhält. Ein Roman über Bilder, die nicht lügen – und gerade deshalb gefährlich nah an die Wahrheit herankommen. Sprachlich brillant, thematisch hochspannend – und ein Buch, das lange nachwirkt.
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