Abseits der Saison

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Ich sah auf die Uhr am Handy und steckte es wieder weg. Der Bus hatte Verspätung. Nur Autos und Kombis kamen aus der Kurve. Die anderen an der Haltestelle starrten vor sich hin. Ich schob die Hände tiefer in die Hosentaschen. Es war scheiß kalt und beschissen früh. Die Sonne musste sich irgendwo da hinter dem Gebäude verstecken, hinter den dicken Wolken. Es würde hoffentlich nicht auch noch regnen. Kalt, mit in die Wangen und Ohren beißendem Nordwind, reichte vollkommen. Noch Regen wäre einfach nur unfair. Ich überlegte, eine Zigarette anzuzünden, und wusste, sobald ich es tue, kommt der Bus aus der Kurve. Ich guckte auf die andere Straßenseite rüber, zum Supermarkt. Zu den Leuten an der Kasse. Eine alte Frau steckte ihr Zeug in die Tüte. Die Verkäuferin gähnte mit weit aufgerissenem Mund und die Hand kam in Zeitlupe hoch. Ein Auto blieb an der Haltestelle stehen und hupte. Ich erkannte das Auto nicht, aber den Fahrer. Ich ging zur Beifahrertür und das Fenster kam runter.

"Hey! Musst du in die Innenstadt runter?"

"Ja."

"Steig ein! Ich kann dich ein Stück mitnehmen."

"Klasse." Ich stieg ein. Der Sitz war warm am Arsch. "Neues Auto?"

"Was?" Er drehte das Radio leiser.

"Neues Auto?"

"Ja." Hinter uns tauchte der Bus auf. Wir fuhren los. "Ich wollte eigentlich noch kein Neues kaufen, mit dem ganzen Quatsch jetzt. Aber dann ergab sich einfach eine Gelegenheit."

"Ist es OK, wenn ich rauche?"

"Lass mal lieber. Ich mag den neuen Geruch." Er lachte.

OK. Ich steckte die Schachtel weg.

"Ich hab auch selbst aufgehört."

"Ja?"

"Es ist ja auch ungesund."

"Du hast es gerade erst erfahren?"

"Was erfahren?"

"Dass es ungesund ist?"

"Nein, aber." Er lachte. "Ach leck mich doch. Was gibts bei dir Neues? Ist schon ein Weilchen her, dass wir uns über den Weg gelaufen sind."

"Nichts, nicht viel. Bei dir?"

"Ach, immer dasselbe."

"Ja."

Wir blieben an einer Ampel stehen. Am Rückspiegel hingen der obligatorische Rosenkranz und das Wappen der Fußballnationalmannschaft aus dem alten Auto. Das Wappen sah alt aus und war gelblich an den Rändern. Jesus wippte an seinem Kreuz hin und her. Das Wippen musste schon ordentlich an den Nägeln ziehen. Den Römern war wohl nie eingefallen, sie mal baumeln zu lassen.

"Wohin bist du unterwegs?" Fragte er.

"Ich muss ans Arbeitsamt."

"Immer noch nichts gefunden?"

"Immer noch nichts."

"Was ist mit der ganzen? Wie heißt die Aktion jetzt, vom Staat? Ist jetzt immer in den Nachrichten, in den Zeitungen."

"Von der Uni zum Beruf."

"Ja, die!" Er grinste. "Ich bin noch nicht ganz wach. Was ist damit?"

"Nichts, sie läuft. Nur in den Zeitungen." Er lachte. Die Ampel wurde grün und wir fuhren weiter. "Wohin bist du so früh unterwegs?"

"Ach, ich muss mal wieder ans Gericht."

"Arbeiten die so früh?"

"Ich muss mich vorher mit dem Anwalt treffen. Hab dann auch noch was schnell zu erledigen, bevor es da losgeht."

"Wie läuft die ganze Sache?"

"Nicht schlecht, nicht schlecht. Ein Zeuge hat seine Aussage zurückgezogen." Ich konnte die Anführungszeichen um Zeuge herum hören. "Hat sie geändert."

"Nett von ihm."

"Ja, mein' ich auch."

Wir blieben erneut an einer Ampel stehen. Sie wurde fast sofort grün und wir fuhren weiter. Am Straßenrand gingen ein paar Mädchen entlang und er nickte zu ihnen rüber und schüttelte mit dem Kopf und grinste.

"Bist du eigentlich noch immer mit der?"

"Nein." Ich unterbrach ihn und räusperte mich. "Schon eine Weile nicht."

"Was ist passiert?"

"Ach, nichts. Scheiß drauf."

"Nicht zu reparieren?"

"Ich glaub nicht."

"Mach dir nichts draus. Auch andere Mütter haben schöne Töchter."

"So sagt man."

Wie wir uns dem Stadtzentrum näherten, wurde der Verkehr zäher und stockender. Draußen sah alles grau aus. Auch das Meer, das sich gelegentlich im Fenster blicken ließ. Es würde wahrscheinlich regnen. Viele Passanten hatten Regenschirme dabei. Aus dem Radio kam ein blödes Lied und mein Arsch lief langsam heiß. Ich wollte ihn fragen, die Sitzheizung abzustellen, entschied mich aber dagegen. Es war nicht mehr weit.

"Kann ich dich hier rauslassen? Ich muss hier links."

"Ja, OK."

"Ruf mich mal an. Wir könnten dann mal was unternehmen. Weggehen, wie früher immer."

"In der guten alten Zeit?"

"Ja." Er lachte.

"Ja, könnten wir machen."

"Vielleicht holen wir auch Robi aus seiner kleinen Höhle raus?" Wir blieben stehen.

"Er ist in Italien."

"Ja? Was macht er da?"

"Er hat da einen Job gefunden. Bei Verwandten, in einem Restaurant."

"Ja? Wie lange ist er schon weg?"

"Nicht lange, ein paar Wochen." Jemand hupte hinter uns."Danke fürs Mitnehmen." Ich machte die Tür auf.

"Kein Problem. Hör mal, vielleicht könnt ich dir auch mit der Jobsuche aushelfen, keine Ahnung."

"Ja, wäre nett. Ich ruf dich an. Dann machen wir was aus."

"OK. Ich werd‘ mich mal umhören."

"Ja, OK. Danke."

Ich stieg aus und er fuhr weiter. Der Wind biss mir in die Augen und der Arsch kühlte schnell ab. Ich zündete eine Zigarette an. Der erste Zug schmeckte sehr gut und tief. Ich spürte ihn in der ganzen Lunge. Die Passanten hatten rote Nasen und Ohren und starre Blicke mit gläsernen Augen. Wir hatten recht bedauernswürdige Gesichter und ich hasste es. Ich knöpfte die Jacke zu und beeilte mich weiter. Er stand noch an der Kreuzung. Ich hasste auch ihn und seine bescheuerte Arschheizung. Ich wünschte ihm ein paar Hämorrhoiden an seinem Fettarsch in der Trainingshose für den Gerichtssaal. Dieser billige Sopranosverschnitt plus Hyänenlachen. Die Ampel wurde grün und er bog links ab und ich rechts. Der Wind drückte in den Rücken und wippte in den nackten Ästen herum. Wenn er ein billiger Sopranosverschnitt war, was für einer war ich? Etwas aus einer schlechten Komödie? Ich nahm noch einen Zug und schnipste die Zigarette weg. Ich steckte die kalte Hand tief in die Hosentasche hinein.









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