Mignon Kleinbek: Wintertöchter – Die Kinder

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Als sich Die Kinder öffnet, ist die Welt, die Die Gabe eingerichtet hat, nicht verschwunden – sie hat sich verschoben. Der zweite Band der Wintertöchter‑Saga bewegt sich nicht entlang einer externen Handlungslinie, sondern im Gefüge dessen, was weiterwirkt: Gewohnheiten, alte Verletzungen, das unausgesprochene Gewicht familiärer Erwartungen. Hier verlagert sich der Blick von der Landschaft zur Innenwelt der Figuren. Nicht mehr Berge und Witterung stehen im Vordergrund, sondern das, was in den Figuren weiterlebt: Erinnerungen, Dynamiken, Konflikte.

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Wintertöchter: Die Kinder. Teil 2 der erfolgreichen Trilogie. Eine fesselnde Familiensaga (Wintertöchter: Die Forstau Saga)

Anna tritt in diesem Band klarer hervor. In Die Gabe war sie Trägerin einer außergewöhnlichen Fähigkeit – einer Gabe, die zugleich Parabel ist für den Zugang zur Geschichte. In Die Kinder wird diese Gabe nicht verdoppelt, sondern verdichtet. Sie wird zu einem Maßstab dafür, wie Identität entsteht, wie sie getragen und beschwert wird. Die Gabe wird hier nicht mehr als Sonderfall gezeigt, sondern als Schnittstelle zwischen dem Individuellen und dem Kollektiven.

Figuren als Widerstandsräume

Im Zentrum des zweiten Bandes steht die Frage: Was macht ein Kind aus dem Erbe seiner Eltern? Diese Frage ist keine rührselige Reflexion, sondern eine systematische Beobachtung der Machtverhältnisse, in denen Figuren bestehen. Anna ringt mit den Erwartungen, die ihre Mutter Marie, ihre Zieh‑ und Blutsverwandten in sie setzen. Die sozialen Strukturen des Dorfes sind nicht bloß Kulisse, sie sind Handlungsmotoren, die Form und Richtung des Lebens bestimmen. Tradition bedeutet hier nicht nur Bewahren, sondern Begrenzen.

Marie, Barbara, Helena, Roman – sie alle tragen in Die Kinder Spuren ihres Selbst, die aufeinanderprallen. Kleinbek versteht es, jede dieser Figuren nicht nur als psychologische Gestalt zu zeigen, sondern als Ort von Macht und Widerstand. Die Figur ist nicht abgeschlossen; sie ist ein Raum, in dem widersprüchliche Impulse sich begegnen und nicht immer aufgelöst werden. Die Erzählerin hält Distanz und Nähe in gleichem Maß; sie zeigt, wie inneres Erleben und äußerer Druck sich gegenseitig durchdringen.

Sprache als Resonanzraum

Was Sprache hier leistet, ist keine ornamentale Ausgestaltung der Umwelt, sondern eine Entfaltung innerer Strukturen. Der klare, einfache Satz bleibt Basis, aber er wird zur Resonanzfläche für Nuancen, die zwischen den Zeilen stehen: Hoffnung, Resignation, leise Zärtlichkeit, unausgesprochene Angst. Die Landschaft tritt zurück, nicht um zu verschwinden, sondern um in den Figuren weiterzuschwingen. Wetter und Berge sind keine externen Kräfte mehr, sie sind Teil innerer Prozesse.

Kleinbek verzichtet auf dialektal geprägte Dialoge, wodurch der Text in seiner Lesbarkeit klar bleibt. Zugleich eröffnet diese sprachliche Glätte einen paradoxen Effekt: Die Figuren wirken universeller, ohne ihre Verankerung im Alpenraum zu verlieren. Selten eingesetzte regionale Begriffe scheinen gezielt gesetzt, sie markieren keine ethnographische Authentizität, sondern sie rhythmisieren das Lesen.

Identität zwischen Tradition und Freiheit

Ein zentrales Problemfeld des Romans ist die Spannung zwischen Gewordenem und Gewünschtem. Anna sucht nicht nur ihr Selbst, sie sucht eine Sprache für das, was sie über sich und ihre Umgebung weiß. Die Gabe ist nicht einfach Fähigkeit, sie ist Modell für Zugänge zur Realität: Was bleibt, wenn wir erinnern? Was verlieren wir, wenn wir vergessen? In einem Dorf wie Forstau, das von Traditionen, festen Rollen und alten Bindungen geprägt ist, wird diese Frage brennend.

Kleinbek zeigt auf, wie sehr Identität ein Produkt der Geschichte ist – aber auch ein Ort des Widerstands. Anna bewegt sich in diesem Feld nicht als Opfer, sondern als Verhandlerin ihrer eigenen Lage. Sie übernimmt nicht einfach, sie reflektiert. Dieses Reflektieren ist die eigentliche Handlung von Die Kinder: kein äußeres Ereignis, sondern ein innerer Durchgang.

Rückblick und Resonanz

Am Ende dieses Bandes bleibt keine einfache Auflösung, sondern ein Bild, das sich verschiebt. Die Figuren sind nicht vollständig geworden, aber sie haben Räume betreten, in denen sie sich selbst befragen können. Die Kinder ist weniger ein Bindeglied als ein eigener Ausdruck der Saga, ein Band, der Erweiterung und Vertiefung zugleich anbietet.

In diesem zweiten Teil wächst die Saga über die Form des Familiendramas hinaus. Sie wird zu einer Erkundung kultureller Bedingungen, sozialen Wissens und individueller Freiheit – eines Textes, der nicht nur erzählt, sondern fragt. Fragen nach Erinnerung, Identität und der Macht, die in scheinbar gewöhnlichen Lebensverhältnissen verborgen liegt.

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