Mit Chimamanda Ngozi Adichie ehrt das Harbour Front Literaturfestival eine Autorin, deren Werk so klar spricht, dass es keiner Parolen bedarf. Die Verleihung des mit 20.000 Euro dotierten Felix-Jud-Preises an die nigerianische Schriftstellerin markiert nicht nur den Auftakt des Festivals, sondern auch ein programmatisches Statement: Für eine Literatur, die nicht nur erzählt, sondern widerspricht.
Chimamanda Ngozi Adichie erhält Felix-Jud-Preis – Literatur als Form des Widerstands
Der Felix-Jud-Preis
Der erstmals vergebene Felix-Jud-Preis für widerständiges Denken ist mehr als ein weiterer Literaturpreis. Gestiftet vom Verein Felix Jud Friends e.V. erinnert er an einen Hamburger Buchhändler, der sich bereits in dunklen Zeiten der nationalsozialistischen Gleichschaltung verweigerte – mit Büchern, Diskussionen und einem unverhandelbaren Sinn für das Wesentliche. Ausgezeichnet werden Persönlichkeiten, die sich durch intellektuelle Unabhängigkeit, gesellschaftliches Engagement und kulturelle Integrität auszeichnen. Die Wahl der ersten Preisträgerin ist damit kaum zufällig.
Die Rückkehr der Stimme: Dream Count
Nach zwölfjähriger Romanpause meldet sich Chimamanda Ngozi Adichie 2025 mit Dream Count zurück – und zwar nicht leise. Vier afrikanische Frauen, drei davon in die USA emigriert, eine in Nigeria geblieben, bewegen sich zwischen Aufbruch und Verlorenheit, zwischen Sehnsucht und Wirklichkeit. Es geht um Identität, Migration, Kontinuität und Brüche. Und um Sprache – nicht als Dekor, sondern als Mittel zur Durchdringung sozialer Realität.
Wie schon in Americanah oder Blauer Hibiskus setzt Adichie auf Ambivalenz statt Botschaft. Ihre Figuren sprechen, zweifeln, provozieren. Sie äußern Meinungen, die nicht gefallen müssen – ein literarischer Raum, der es aushält, dass nicht alle einverstanden sind. Vielleicht gerade deshalb wurde Dream Count nicht nur als literarisches Ereignis begrüßt, sondern auch als politische Intervention verstanden.
Auma Obama hält die Laudatio – und verweist auf das größere Bild
Die Laudatio hielt Auma Obama – Autorin, Germanistin, Sozialaktivistin, Schwester des früheren US-Präsidenten. Sie sprach von Adichie als „kraftvoller Stimme afrikanischer Selbstbehauptung“, als Denkerin, die sich in keiner politischen Floskel verliert und dabei global wirksam bleibt. In feministischen Debatten, in popkulturellen Zitaten, auf politischen Bühnen.
Schon 2021 sprach Adichie im Berliner Humboldt Forum – eingeladen zur Eröffnung des Ethnologischen Museums. Damals traf sie Angela Merkel zum Gespräch. Dass sie nun in Hamburg geehrt wird, lässt sich auch als Fortsetzung einer deutsch-afrikanischen Begegnung verstehen, die sich für einmal nicht in Betroffenheitsrhetorik erschöpft, sondern auf Augenhöhe über Zugehörigkeit und Verantwortung verhandelt.
Literatur als Widerspruchsraum
Adichies Schreiben steht für eine Literatur, die sich nicht anpasst – nicht an Erwartungen des Westens, nicht an Marktlogiken, nicht an akademische Wohlmeinerei. Sie erzählt von postkolonialen Realitäten, von patriarchalen Strukturen, von individuellen Lebensentwürfen jenseits einfacher Zuschreibungen. Und sie tut das in einer Sprache, die nicht agitatorisch sein muss, weil sie präzise ist.
Der Felix-Jud-Preis scheint damit auf ideale Weise zugeschnitten: Adichies Werk ist nicht affirmativ, es ist beharrlich. Und gerade darin liegt seine politische Kraft.
Ein Festival zwischen Weltliteratur und Lokalgeplänkel
Das Harbour Front Literaturfestival läuft noch bis zum 19. Oktober – mit über 60 Veranstaltungen zwischen Elbphilharmonie, Thalia Theater und Schauspielhaus. Erwartet werden internationale Größen wie Isabel Allende, Ian McEwan, Donna Leon oder Dan Brown. Auch die deutschsprachige Szene ist vertreten: Martin Suter, Caroline Wahl, Joachim Meyerhoff, Marc-Uwe Kling, Katja Riemann und Benjamin von Stuckrad-Barre – letzterer gemeinsam mit Jan Delay, der an diesem Abend vermutlich mehr über Udo Lindenberg singen als schreiben wird.
Zwischen Bestsellerbetrieb und literarischer Haltung markiert Adichies Auftritt einen Moment der Ernsthaftigkeit – und eine Erinnerung daran, dass Literatur eben doch mehr sein kann als Unterhaltung.