Am 6. Juni feiert die Welt den Tag der russischen Sprache. Was auf den ersten Blick nach einem Kalenderkuriosum klingt, ist in Wirklichkeit ein klug gesetztes Zeichen: Denn an diesem Tag wurde 1799 Alexander Sergejewitsch Puschkin geboren – jener Sprachmagier, dem es gelang, die russische Sprache aus den höfischen Salons zu befreien und ihr das rhythmische Rückgrat für eine eigenständige Literatur zu geben.
Sprachenpolitik mit Symbolkraft
2010 führte die UNESCO offizielle Sprachtage für die sechs UN-Amtssprachen ein – ein diplomatisch fein austariertes Bekenntnis zur sprachlichen Vielfalt. Englisch, Französisch, Spanisch, Arabisch, Chinesisch – und eben Russisch. Jeder dieser Tage verweist auf kulturelle Ikonen: Shakespeare, Cervantes, die Erfinder der chinesischen Schriftzeichen, die arabische UN-Anerkennung. Und bei Russisch? Da wählte man nicht einen Politiker, sondern einen Poeten.
Puschkin: Sprachschöpfer mit Fabelmut
Dass es Puschkin wurde, ist keine Nebensächlichkeit. Denn Puschkin war nicht einfach Dichter – er war derjenige, der das Russische in den Dienst des Erzählens stellte. Mit dem Eugen Onegin schuf er einen Versroman, der so elegant wie ironisch durch das gesellschaftliche Parkett gleitet. Aber es sind seine Märchen, die den Reichtum der russischen Sprache wie ein Kaleidoskop aufblitzen lassen.
Das Märchen vom goldenen Hahn, Das Märchen vom Zaren Saltan, Vom toten Prinzen und den sieben Recken – das sind nicht nur Stoffe für Opern und Bilderbücher, sondern Sprachgewebe aus Reim, Rhythmus und folklorischem Glanz. Puschkin destilliert aus Volksliedern, aus mündlich Überliefertem, aus kauzigen Erzählfetzen eine Sprache, die warm klingt, aber präzise bleibt, archaisch leuchtet und dennoch modern wirkt.
Das Alphabet als Grundlage
Dass die russische Sprache heute weltweit von rund 258 Millionen Menschen gesprochen wird – darunter 154 Millionen Muttersprachler –, hat nicht nur mit Geschichte, sondern auch mit Schrift zu tun. Das kyrillische Alphabet, im 9. Jahrhundert von den Brüdern Kyrill und Method entwickelt, wurde mehrfach reformiert. Die letzte große Umstellung erfolgte 1918 – seitdem umfasst das moderne russische Alphabet 33 Buchstaben, auf denen ganze Weltanschauungen gebaut wurden.
Keine Sprache ohne Politik
Natürlich ist auch der Tag der russischen Sprache nicht frei von Ambivalenzen. Denn Sprache ist nie nur Klang und Grammatik – sie ist auch Instrument. In politischen Konflikten wird Russisch zur Markierung von Einflussräumen. Und doch: Wer sich mit der Sprache literarisch beschäftigt, stößt nicht auf Propaganda, sondern auf Puschkin. Auf Tschaikowski und Tolstoi. Auf Kinder, die Gedichte aufsagen, und Großmütter, die Märchen flüstern.
Ein Tag, der mehr ist als Symbol
So steht der 6. Juni nicht nur für eine Sprache, sondern für ein Versprechen: dass inmitten globaler Spannungen Worte ihre Kraft behalten können – wenn sie gut gewählt sind. Und dass ein Märchenerzähler mehr bewirken kann als ein Diplomatenchor. Puschkin, der oft selbst nicht ernst genommen wurde, wäre vermutlich amüsiert, dass sein Geburtstag nun als offizieller Tag der Sprache begangen wird. Und vielleicht hätte er ein paar Reime darauf gehabt.
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