Aya Cissoko ist unter schwierigsten Umständen im Pariser Migrantenmilieu aufgewachsen. Das Boxen war ihre Rettung. Wortwörtlich kämpfte sich frei von ihrer Wut und ist heute eine erfolgreiche Schriftstellerin. In der kommenden Ausgabe "titel, thesen, temperamente" (19. März) sprich Cissoko über ihr im April erscheinendes Buch "Kein Kind von Nichts und Niemanden".
Aya Cissoko wurde 1978 als Kind malischer Eltern in Paris geboren. Sie war gerade acht Jahre alt, als sie mit ansehen musste, wie die Wohnung ihrer Familie infolge eines Brandanschlags in Flammen aufging, ihr Vater und ihre Schwester verbrannten. Schlagartig änderte sich der ohnehin schwierige Alltag der Familie. Aya Mutter Massiré schuftete Tag und Nacht, um ihre beiden Kinder als Alleinerziehende durchzubringen. Währenddessen beginn sich Aya´s tiefsitzende Trauer allmählich in Wut umzuschlagen. Sie rebelliert gegen die afrikanischen Traditionen, gegen die französische Assimilationspolitik, widersetzt sich ihren Lehrer, fliegt von der Schule. Dann aber findet sie eine Möglichkeit, diesen immensen Hass zu kanalisieren. Aya beginnt zu boxen, und wird eine der Besten auf ihrem Gebiet. Zwei Mal holt sie den Weltmeistertitel im Kickboxen - 2006 wird sie Amateur-Boxweltmeisterin. "Es ist ein Sport, den ich dringend brauchte", sagt sie heute. "Als Kind hatte ich diese große Wut in mir, und ich hatte gute Gründe. Ich hatte noch nicht die Worte, um die Wut auszudrücken. Ich war total wehrlos, diesen Schmerz auszudrücken, diese Ungerechtigkeit."
Weg zur Schriftstellerin
Nachdem ihre Wirbelsäule gebrochen wurde, musste sie ihre Karriere beenden. Sie begann ein Studium der Politikwissenschaften Institut d’études politiques in Paris und schrieb - gemeinsam mit ihrer Co-Autorin Marie Desplechin - ihr erstes Buch "danbé", das 2011 erschien und unter dem Titel "Wohin ich gehe" verfilmt wurde. Ihr zweites Buch "n’ba" (auf Deutsch unter dem Titel "Ma" veröffentlicht) beschreibt den Emanzipationsprozess ihrer Mutter. Dass ihre Mutter gelitten hat, ohne zu verbittern, macht sie für Aya Cissoko zu einer Heldin.
Aya Cissokos dritten Buch "Kein Kind von Nichts und Niemanden"
In ihrem dritten Buch taucht Cissoko tief in die Gesellschaft ein und versucht, Jahrzehnte lang anwachsende Themen wie Rassismus und Diskriminierung an die Wurzel zu packen. Auch hierbei rekurriert sie auf ihre Mutter: "Kein Kind von Nichts und Niemand – dieser Satz stammt von meiner Mutter, die mir immer eintrichterte: Du bist kein Kind von Niemandem, du bist Teil einer langen Ahnenreihe. Auch ich wollte, dass mein Kind erfährt, woher es kommt. Vor allem, weil diese Geschichten bisher fast nicht erzählt worden sind." Und so ist aus einem an die eigene Tochter gerichteten Brief ein Buch entstanden, welches nach den Beweggründen gesellschaftlicher Kämpfe um Klasse und Rasse auf den Grund zu gehen versucht.
Dabei startet Cissoko bei ihrer eigenen Familie. Sie fragt, inwiefern sich das Leben ihrer Generation von dem ihrer Eltern unterscheidet, welche Möglichkeiten, welche neuen Verbarrikadierung wurden neu aus dem Boden gestampft, welche Erzählungen haben es auf die Tagesordnung geschafft? Die Autorin geht aber noch weiter zurück, erzählt von ihren Vorfahren, die Krieger aus dem Stamm der Bambara waren und einst gegen die Kolonialisierung kämpften.
"Dass wir angeblich in einer postkolonialen Gesellschaft leben, das ist schlicht Augenwischerei", sagt Aya Cissoko. "Ich möchte als Schriftstellerin einen Beitrag leisten, unsere individuellen Geschichten auszudrücken, Worte dafür zu finden, was unser Leben ist, und so eine neue Stimme in die Geschichtsschreibung zu bringen."
Außerdem bei "ttt - titel, thesen, temperamente"
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- Die Konzeptkünstlerin Jenny Holzer im Düsseldorfer K 21 - Jenny Holzer ist eine der renommiertesten US-amerikanischen Künstlerinnen. Berühmt wurde sie mit provozierender Text-Kunst im öffentlichen Raum. Die Kunstsammlung NRW widmet ihr die bisher umfangsreichste Überblicksschau in Deutschland.
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