75. Todestag Ernst Jünger: Ambivalenz in Person und Werk

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Ernst Jünger war Schriftsteller, Berichterstatter, Soldat und Zeitzeuge. Zu seinen berühmtesten Werken zählen Bücher wie "In Stahlgewittern", "Auf den Marmorklippen" und "Strahlungen", die sowohl Kriegserlebnisse als auch gesellschaftliche Entwicklungen zum Thema haben. Am 17. Februar jährte sich der 25. Todestag Jüngers, der 1998, kurz vor seinem 103. Geburtstag, verstorben ist.

Ernst Jünger (links) mit dem Verleger Ernst Klett (rechts) im Jahr 1984. Bild: Klett Gruppe - Archiv der Ernst Klett AG

Ernst Jünger gilt als einer der umstrittensten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Zeit seines Lebens hat er an die hundert Bücher veröffentlicht - Romane, Erzählungen, Essays und Erinnerungsbücher, die sich beinahe ausschließlich auf Kriegserfahrungen stützen, die Jünger von Dezember 1914 bis August 1918 als junger Soldat an der deutschen Westfront gemacht hat. Insbesondere sein erstes, auf Tagebuchaufzeichnungen basierendes Buch "In Stahlgewittern" hat sowohl bei zeitgenössischen Kritikern wie auch bei späteren Rezipienten für großen Unmut gesorgt. Unbehagen löste vor allem die neutrale Form der Texte aus, die in ihrer rohen Form zwar durchaus den Schrecken des Krieges abbilden, den Krieg als solchen aber an keiner Stelle dezidiert verurteilen. Nichtsdestotrotz: "In Stahlgewittern" gilt bis heute als einer der wichtigsten Texte zum Ersten Weltkrieg; der Schriftsteller Ernst Jünger, der vierzehn Mal verwundete, tugendhafte, preußische Soldat, als einer der größten Stilisten der deutschsprachigen Kriegs- und Nachkriegsliteratur.

Ernst Jünger, ein Widerspruch

Bereits im Alter von sechzehn Jahren hatte Jünger erste Texte veröffentlicht. Gedichte, die in einer "Wandervogel"-Zeitschrift erschienen und die ihm bei seinen Mitschülern und Lehrern den Ruf eines "Poeten und Dandys" einbrachten. Drei Jahre später meldete er sich kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges als Freiwilliger und kam an die Champagne-Front nach Frankreich. Ein Jahr nach Kriegsbeginn wurde er Leutnant und Zugführer, machte sich an der Front einen Namen. Zugleich erschütterten ihn die unmittelbaren, grausamen Erlebnisse: Das Töten im Krieg, schreibt Jünger in sein Tagebuch, sei ein "Morden". 1917 schließlich stellt er, der "einst so kriegslustige" Mann, die Frage: "Wann hat dieser Scheißkrieg ein Ende"

Während der Gefechtspausen las Jünger Nietzsche und Schopenhauer, später, nach Kriegsende, begeisterte er sich für Autoren wie Thomas Mann, Baudelaire und Rimbaud. In Hannover, wo er nach Kriegsende als Leutnant eines Reichswehr-Regimentes diente, verkehrt Jünger mit Dadaisten wie Walter Serner und Kurt Schwitters. Er beginnt seine Kriegsaufzeichnungen zu überarbeiten, die später in diversen Büchern Widerhall fanden. Jüngers Ambivalenz zeigte sich bereits in dieser Zeit. Auf der einen Seite stand er mit dem Anarchisten Erich Mühsam in Kontakt, auf der anderen Seite arbeitete er an nationalrevolutionäre Texte und forderte, auf seine eigenen Kriegserlebnisse rekurrierend, eine Militarisierung aller Lebensbereiche.

Ambivalenz in Person und Werk

Trotz aller nationaler Ambitionen griffe es zu kurz, wollte man Jünger ins nationalsozialistische Eck drängen. Er selbst verachtete den Antisemitismus, ging 1933 auf Distanz zum Regime, wurde aufgrund seiner Kontakte zu internen Widerstandskreisen aus der Wehrmacht entlassen. Gewiss, Jünger war ein umstrittener Autor, der hochambivalente Texte publizierte - Nazi war er nicht.

Gerade hier, wo einer beobachtet und schreibt und sich uns zwangsläufig die Frage stellt, ob schreiben schweigen bedeutet, ist der Schriftsteller Ernst Jünger auch mit Blick auf die Gegenwart interessant. Denn zum einen schaffen wir es nach wie vor nicht, uns mit der nüchternen Betrachtung des Grauenvollen abzufinden (wieviel bombastische Twitter-Schüsse und Leopard-Emojis in Regierungskreisen). Zum anderen müssen wir uns auch heute die Frage stellen lassen, wann ein Schreiben, das nurmehr Tagesaktuelles halbfiktionalisiert herunterschreibt, die stillschweigende Reproduktionen jener grauenvollen Zustände bedeutet, die wir, um sie ertragen zu können, bunt ausschmücken müssen.

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