Die Suche nach den Gefühlen

Vorlesen
- 5 Seiten -

Das Ächzen, welches du von dir gibst, als du dich neben mich auf den Boden legst, weckt mich auf. Mit grosser Anstrengung öffne ich die Augen und sehe dich an. Du hast deinen Kopf zur Seite gedreht, deine Wange auf dem Boden liegend. Du lächelst nicht. Deine grünen Augen schauen mich bloss aufmerksam an. "Ich fühle mich unsichtbar", sage ich. Du schweigst. Ich schlafe ein.

Dein Räuspern weckt mich auf. Du liegst unverändert neben mir. Dein Blick ruht nach wie vor auf meinem Gesicht. Ich spüre den Drang, mich aufzusetzen. Meine Kehle ist trocken. Obwohl ich weiss, dass oberhalb meines Kopfes ein Glas gefüllt mit Wasser steht, kann ich meinem Arm nicht befehlen, danach zu greifen. "Ich glaube, ich habe Durst", stelle ich fest. "Ich kann dich sehen", erwiderst du. Ich schlafe ein.

Du stupst mich an. Ich lasse mich durch das Meer von Trägheit treiben und weigere mich, aufzutauchen, um Luft zu holen. Deine Hand legt sich vorsichtig auf meinen Arm. Die Berührung reisst mich an die Oberfläche und ich schnappe nach Luft. Du hast dich aufgesetzt und streckst mir das Glas mit Wasser entgegen. "Trink!" Ich wende all meine Willenskraft auf und verdrehe die Augen. "Sag mir nicht, was ich zu tun habe", entgegne ich. Bevor ich mich auf die andere Seite drehe, sehe ich, wie sich dein kantiges Gesicht zu einem amüsierten Grinsen verzieht. Mir wird warm, ohne es zu fühlen. Ich schlafe ein.

Deine Stimme reisst mich aus meinem Dämmerzustand. "Wie lange dauert das normalerweise?" Gereiztheit und Wut, die einzigen Empfindungen, die mich gelegentlich besuchen, steigen in mir auf. Davon angetrieben schaffe ich es, mich aufzusetzen. "Was meinst du mit das?", frage ich scharf. Anstatt dem zu erwartenden Erschrecken, breitet sich stattdessen ein entspanntes Lächeln auf deinem Gesicht aus. "Dieser Zustand", antwortest du gelassen. "Das ist kein Zustand, das bin ich." Du neigst deinen Kopf zur Seite und versuchst zu verstehen. Dann schüttelst du den Kopf. "Das ist nur ein kleiner Teil vom grossen Ganzen. Oder eben ein Zustand." Die Bestimmtheit in deiner Stimme lässt mich müde werden. Ohne etwas zu erwidern, lege ich mich zurück auf den Boden. Ich schlafe ein.


Gefällt mir
1
 

Weitere Freie Texte

Freie Texte

Der stürmische Frühlingstag von Pawel Markiewicz

Der grüne sanfte Lenz kam auf eine bunte Weise an mit ihm die numinose Bläue zarten Himmelszaubers doch ich schwärme hold-zärtlich von wilden Gänsen und Störchen die vor milden Wochen heimatwärts angeflogen kamen so wunderschön-fein scheint und funkelt meine lichte Heimat die tiefblauen Veilchen voller Glanz gaben lichtes Haus um ich sah mir zwei Schmetterlinge beim Träumen und Schwärmen an einer davon setzt sich auf den Kelch des Veilchens neuen Drangs zweiter Schmetterling fliegt im Lenzsturm ...
Freie Texte

Fiona: Hoffnung

Die Hoffnung klopft, so zaghaft sacht, doch bricht sie jedes Mal bei Nacht. Auch wenn sie den tag über nur lacht Hält sie der gedanke trotzdem die ganze Nacht wach Es wird bestimmt klappen Und ich kann es auch schaffen Und ich werde mich auch trauen, ... doch ... ich könnte es auch versauen Die Hoffnung, einst so zart und klein, ertrank in Tränen, kalt und rein. Sie fragt nicht mehr, warum, wofür, denn jede Antwort schweigt in ihr. Hoffnung nur ein positives Gefühl Sie glaubte daran doch dass ...
lesering
Freie Texte

Die Sehnsucht. Pindars Ode

Du wie die Träumerei geboren von dionysischen Oden wie zarter Tag in deinem Wind – verzaubertem Schmetterling so wie das Goldene Vlies – zauberisch in der anmutigen Phantasie graziöses Paradies verloren ist doch gefunden und so schwärmerisch Du lotos-zärtlicher Tagfalter du – über den Vulkanen mit sanfter Flügel-Verzaubertheit verewigt in den Zeiten Ich möchte sein wie Du und ewige dankende Augen ein Heer der Gefühle scheint in fernen Mythen Ländern Ich wäre linder und unendlich wunderbar wie ...
lesering
Freie Texte

Irena Habalik: Hinter den geschlossenen Türen

werden die Gabeln poliert für die nächste Zugabe wird Posaune geübt für das Jüngste Gericht zu große Brust flach gelegt und geschmeckt zu kleiner Kopf in den Topf gesteckt wird laut diskutiert über die Abwesenheit der Milch wird geklagt über das Nachlassen der Schwerkraft Hinter den geschlossenen Türen wird die Liebe kalt begossen werden die Messer gewetzt, in die Tasche gesteckt die Unwahrheiten serviert zu den Mahlzeiten wird Brecht zitiert und Benn applaudiert das Perverse wird hier probiert ...
Freie Texte Freie Texte lesering
Freie Texte

Maxima Markl: Zeit

Ich schaue auf die Uhr vor, nach und während einer Tat die Zeit vergeht wenn ich nicht hinschaue Das Ticken einer Uhr ein Herzschlag Bist du tot, bleibt die Zeit für dich stehen Du veränderst dich nicht Bleibst gleich Bis die Zeit alle geholt hat Die sich an dich erinnerten Und die Uhr tickt weiter Früher gab es keine Uhr Keine Zeit Die Tage verschmolzen ineinander Aber es gab auch keine Tage Nur hell und dunkel War die Zeit dazwischen Sie floss wild Ungebändigt Und doch so stetig Bis man ihr ...

Aktuelles