Aber sie war alt

Vorlesen

Der Salzstreuer rollt über den Boden. Eichendielen. Die zittrige Hand, aus der er gefallen ist hängt über das Tischtuch. Rot-blau karriert. Der Arm, an der die Hand hängt, schaut aus einem Hemd heraus. Ockerfarben. Das Oberteil gehört einer Frau. Tot. Die Klinge steckt in ihrem Rücken. Ein alter Rücken. Das Messer ist jung. Kurz.

Warum Er Sie getötet hat weiß er. Sie sind stumm. Er ist jung. Wie das Messer. Er war das Messer. Kein Schock.
Er wäscht seine Kleidung, er wäscht sich. Das Blut, es geht nicht weg. Nicht metaphorisch. Blut geht immer schlecht raus. Er trug weiß. Eine schöne Farbe.

Die Beerdigung ist klein. Langweilig. Er steht am offenen Grab, ein Kind weint. Weint nicht. Sie war alt. Sie wäre eh bald gestorben. Niemand trauert wirklich, man tut es aus einem gesellschaftlichen Zwang heraus. Der Mutter zuliebe. Aber sie war alt. Sie wäre eh bald gestorben. Er hat Schuldgefühle. Nicht wegen Ihr. Sie war alt. Wegen ihm. Er ist jung. Er betrachtet seine Fußfessel. Er hat sein Leben weggeworfen. Ihres ist egal. Sie war alt. Seines nicht. Er ist jung.

Lebenslänglich. Fünfzehn Jahre. Danach ist er alt. Jetzt ist er jung.

Der Psychiater ist groß. Dürr. Ein Klischee? Er weiß es nicht. Er schaut zu Boden. Er ist traurig, nicht weil er getötet hat. Weil er im Gefängnis ist. Weil sie lauter sind als zuvor.

Der Psychiater sieht ihn an, seine Augen. Sie sind braun. Nichtssagend. Langweilig. Er ist nicht langweilig. Er ist interessant. Er ist jung.

In seinem Kopf summt es. Es brummt. Die Bienen. Er hört sie immer. Es macht ihn wahnsinnig. Wenn er schläft, wenn er isst, wenn er sucht, wenn er rennt. Wenn er tötet, dann nicht. Sie summen nicht, wenn er tötet. Sie sind still, sie schämen sich. Sie hätten Sie nicht getötet. Aber er ist jung. Und sie war alt. Und die Bienen waren still.

Er ist frei, sie summen nicht mehr. Sie sind tot. Tot wie die Frau, tot wie das Mädchen, tot wie der Mann und tot wie die Alte. Er ist tot. Blut. Das Messer ist alt. Er ist alt. Er ist tot. Die Bienen sind stumm. Er ist frei

Gefällt mir
3
 

Weitere Freie Texte

Freie Texte

Katrin Pointner: Mein Land

ein Land durchzogen von weißen Narben Orte getränkt in rotes Blut öffnen deinen Blick für alles was dazwischen liegt. tausend Blumen in tausend Farben sprießen zwischen all den Narben. klare Bäche schlängeln sich wie Erinnerungen die nicht für immer bleiben bis zu meinem Innersten in dem alles zusammentrifft. ein Herz durchzogen mit allen Farben verziert mit Worten, Blumen, Narben. es ist schön. es ist gut wie es ist. weil es mein Land ist.
lesering
Freie Texte

Matthias Aigner: Ich

Meine Seele sieht Gedanken, meine Zweifel tragen Licht. Meine Fragen, meine Schatten - sie verlassen mich noch nicht. Ich steh still vor fremden Blicken, offen, nackt und unbewacht, jede Wunde, jedes Zittern hat mich leiser gemacht. Doch mein Herz schlägt zwischen Zeilen, trotzt der Kälte, trotzt dem Klang, tänzelt mutig durch das Schweigen, zitternd, aber nicht bang. Denn ich bin nicht nur das Weiche, nicht nur Glas und nicht nur Staub - in mir lebt auch eine Eiche, wächst aus Tränen, wächst ...
lesering
Freie Texte

Markus Wieczorek: Lebenskraft

Mut du sprichst mir täglich zu Dass ich nun gehe, ganz in Ruh` Gewiss und wohl umsorgt bin ich als Wesen ohne jede Pflicht Kein Ort, den ich nicht erreichen kann wohl behütet ist im mir die Frau, der Mann Der Mut begleitet mich auf jedem Weg Steh` ich als Fischer auch am Steg und halte Ausschau nach dem Wind Ich fühle, dass heißt, er wohnt hier wenn ich ihn spür`, dann nur in mir Wo soll er sonst auch noch zugegen sein Nichts existiert nicht, welch` ein Schein wie eine Rose blüht am See jeder ...
lesering
Freie Texte

Peter Bertram: Spuren im Laub

Zwei Spuren im Laub führen hinein in den tiefen Wald. Das lässt keine Gefühle kalt. Es raschelt bei jedem Tritt. Man kommt dabei nicht aus dem Schritt. * Die eine Spur ist Deine. Daneben läuft direkt Meine. Zusammen führen sie ins Glück, ins Reine. * Zwei Spuren im Laub führen hinein in den tiefen Wald. Das lässt keine Gefühle kalt. Es raschelt bei jedem Tritt. Man kommt dabei nicht aus dem Schritt. * Die Blätter sind so herrlich bunt. Sie sind mal eckig, mal rund. Sie rascheln in ...
lesering
Freie Texte

Raphael Walder : ARACHNOPHOBIE

Falls du grad nicht zu beschäftigt, oder gänzlich abgelenkt, möchte ich dir rasch erzählen, was mir unlängst zugestoßen, in der Hoffnung, dich mit meiner Beichte nicht zu sehr zu quälen. Selbstzufrieden und bequem ruhte ich im Schatten aus, als gewaltig, doch nicht grob, etwas meinen Leib umfasste und mich gänzlich unerwartet plötzlich in die Höhe hob. Was auch immer mich gepackt, ließ mich überraschend los, und ich landete sogleich nach nur kurzem, bangem Fallen auf einer hellen Oberfläche, die ...

Aktuelles