„Sucht ist medizinisch genauso erklärbar wie Diabetes oder Rheuma. Das Thema Schuld ist keines.“ Mit diesem Satz zieht Gaby Guzek den Vorhang beiseite und entlarvt eine der hartnäckigsten und schädlichsten Lügen unserer Gesellschaft: Dass Sucht ein persönliches Versagen sei, ausgelöst durch einen Mangel an Disziplin und Willenskraft.
In ihrem Buch Die Suchtlüge führt sie vor Augen, warum diese Vorstellung nicht nur falsch, sondern auch gefährlich ist. Denn wer Sucht als Schwäche betrachtet, übersieht die eigentlichen Ursachen: tiefgreifende biochemische Veränderungen im Gehirn, die das Verhalten von Betroffenen massiv beeinflussen.
Statt mit erhobenem Zeigefinger zu moralisieren, zeigt Guzek konkrete Wege auf, wie Betroffene ihre Abhängigkeit wirklich überwinden können – und das ganz ohne den „Mythos der Willenskraft“.
Wie entsteht Sucht wirklich? – Die Hirnchemie hinter dem Drang
Wenn wir von Sucht sprechen, denken die meisten an den Willen, „Nein“ zu sagen. Doch Gaby Guzek stellt die entscheidende Frage: Warum reicht Willenskraft bei Sucht nicht aus?
Die Antwort liegt im Belohnungssystem des Gehirns. Sucht entsteht, wenn Botenstoffe wie Dopamin aus dem Gleichgewicht geraten. Wer regelmäßig Alkohol, Zucker, Nikotin oder digitale Reize konsumiert, trainiert sein Gehirn darauf, schnelle Belohnungen als Überlebensstrategie zu speichern. Das Suchtgedächtnis entsteht – ein neuronales Muster, das in Momenten der Schwäche, Langeweile oder Stress automatisch aktiviert wird.
„Sucht ist ein biochemisches Geschehen – kein Charakterfehler“, schreibt Guzek. Das Gehirn verlangt in diesen Momenten nicht nach Genuss, sondern nach chemischem Ausgleich. Und hier versagt die Willenskraft, weil der Körper ein physiologisches Defizit auszugleichen versucht, das sich nicht durch bloßen Verzicht regulieren lässt.
Der unterschätzte Faktor: Wie der Blutzuckerspiegel Suchtdruck verstärkt
Ein besonders eindrucksvolles Kapitel widmet sich einem Thema, das in klassischen Suchttherapien sträflich vernachlässigt wird: dem Blutzuckerspiegel.
Guzek beschreibt detailliert, wie instabile Blutzuckerwerte zu Suchtdruck führen. Bei einem rapiden Abfall des Blutzuckers schaltet das Gehirn in einen Überlebensmodus, der sofortige Belohnung verlangt – sei es in Form von Zucker, Alkohol oder anderen schnellen „Kicks“.
„Das Blutzuckerproblem bei Abhängigen ist riesengroß, sorgt für unzählige Rückfälle und spielt trotzdem in der heutigen Suchtbehandlung keine Rolle“, warnt Guzek. Sie empfiehlt einen simplen Selbsttest: Tritt Suchtdruck auf, kann ein Stück Traubenzucker helfen, den Blutzucker zu stabilisieren. Verfliegt das Verlangen, liegt die Ursache klar im physiologischen Bereich – nicht im Charakter.
Wie kann man Sucht dauerhaft überwinden? – Wege aus der Abhängigkeit
Der entscheidende Schlüssel zur Suchtüberwindung liegt nicht im Kampf gegen das eigene Verlangen, sondern in der gezielten Regeneration des Belohnungssystems.
Guzek beschreibt, wie sich durch neue, positive Erfahrungen und eine bewusste Steuerung von Dopaminquellen das neuronale Suchtgedächtnis Schritt für Schritt überschreiben lässt. Statt den Fokus auf Verbote zu richten, geht es darum, das Gehirn mit positiven Impulsen zu „füttern“, die langfristig echte Zufriedenheit statt flüchtiger Befriedigung erzeugen.
Ein stabiler Blutzuckerspiegel, eine ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung und die bewusste Pflege sozialer Beziehungen sind zentrale Säulen dieser Methode.
„Wenn Sie eines Tages aufwachen und nicht mehr denken ›Ich darf nicht mehr‹, sondern ›Ich muss nicht mehr‹, dann haben Sie gewonnen“, so Guzek.
Dieses Umdenken markiert den wahren Wendepunkt auf dem Weg in ein suchtfreies Leben.
Wer profitiert eigentlich von der Suchtlüge? – Eine unbequeme Wahrheit
Neben den individuellen Aspekten der Sucht stellt Guzek auch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen infrage, die eine Kultur der Abhängigkeit bewusst fördern.
Industrien wie die Alkohol- und Nahrungsmittelbranche, Social-Media-Plattformen und die Glücksspielindustrie haben ein direktes Interesse daran, dass Menschen in ihren Konsummustern gefangen bleiben. Sie verdienen Milliarden daran, dass das menschliche Belohnungssystem kontinuierlich überreizt wird.
Doch auch klassische Suchttherapien bleiben nicht ungeschoren. Guzek kritisiert offen, dass viele Programme noch immer auf dem Mythos der reinen Abstinenz und Willenskraft aufbauen, ohne die zugrundeliegenden biochemischen Mechanismen zu berücksichtigen. Sie spricht von einer „kollektiven Lüge“ und fordert ein radikales Umdenken in der therapeutischen Praxis.
Für wen ist dieses Buch ein echter Befreiungsschlag?
Ob es um Alkohol, Zucker, soziale Medien oder andere Verhaltenssüchte geht – Die Suchtlüge richtet sich an alle, die den scheinbar endlosen Kreislauf von Verzicht, Rückfall und Schuldgefühlen durchbrechen wollen.
Auch Angehörige finden in diesem Buch wertvolle Einsichten, um Sucht nicht länger als moralisches Versagen zu betrachten, sondern als das, was es tatsächlich ist: eine neurologisch erklärbare Erkrankung.
Therapeut:innen, Coaches und Fachleute erhalten zudem einen praxisnahen Einblick in moderne, neurobiologisch fundierte Methoden zur Suchtüberwindung, die weit über klassische Abstinenzmodelle hinausgehen.
Ein wissenschaftlich fundiertes Manifest gegen Schuld und Scham
Die Suchtlüge ist kein klassischer Ratgeber. Es ist ein Weckruf, ein Aufruf zur Selbstermächtigung und ein wissenschaftlich unterfüttertes Plädoyer für einen neuen Umgang mit Sucht.
Guzek zeigt auf, wie die neuesten Erkenntnisse der Neurowissenschaft uns nicht nur die Ursachen, sondern auch den Ausweg aus der Abhängigkeit offenbaren. Dabei bleibt ihr Ton empathisch und mutmachend. Dieses Buch ist ein Werkzeug für alle, die nicht länger in einem Kreislauf aus Rückfällen und Selbstverachtung gefangen sein wollen, sondern echte Freiheit anstreben.
5 Sofort-Tipps aus Die Suchtlüge, um den Kreislauf der Sucht zu durchbrechen
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Blutzucker sofort stabilisieren:
Beim nächsten Suchtdruck nicht gegen das Verlangen ankämpfen, sondern den Blutzucker testen. Ein Stück Traubenzucker kann akuten Suchtdruck lindern – ein einfacher, aber effektiver Selbsttest.
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Neue Belohnungen gezielt trainieren:
Statt sich auf den Verzicht zu konzentrieren, sollte aktiv nach positiven Aktivitäten gesucht werden, die den Dopaminspiegel gesund anregen. Sport, Naturerlebnisse und kreative Hobbys sind ideale Dopamin-Lieferanten.
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Den Körper richtig „füttern“:
Guzek empfiehlt, auf die Anti-Sucht-Diät zu setzen: komplexe Kohlenhydrate, ausreichend Eiweiß und der konsequente Verzicht auf Zucker- und Alkoholspitzen. So wird der Stoffwechsel entlastet und das Suchtgedächtnis entkoppelt.
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Ein Motivationsschreiben verfassen:
Klar formulierte persönliche Gründe, warum man frei von der Sucht leben möchte, wirken nachweislich stärkend in Momenten des Zweifelns. Dieses Schreiben sollte jederzeit griffbereit sein.
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Das große Ziel nicht aus den Augen verlieren:
„Ich muss nicht mehr“ – dieser Satz ist das ultimative Zeichen der inneren Freiheit. Jeder kleine Fortschritt führt dorthin. Rückschläge sind dabei kein Scheitern, sondern ein Teil des Umprogrammierungsprozesses.
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