Im August erschien Moritz Rinkes neuer Roman "Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García". Ein Roman, der von dem Alltag eines Postboten erzählt, dessen Arbeit - Briefe austragen, Kommunikation herstellen - weitestgehend digitalisiert wurde. Auch auf der Frankfurter Buchmesse hat der Bestsellerautor ("Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel") diese Tendenzen beobachten können. Dort starre man weniger in Bücher als aufs Handy.
Es gibt ja furchtbar apokalyptische Berechnungen bezüglich der zukünftigen Arbeitswelt. Verkürzt kann man sagen: All das, was berechnet werden kann, wird früher oder später nicht mehr zwingend von einem Menschen berechnet werden müssen. Der Siegeszug der Logik und der Analyse ist damit vorüber; womit nicht nur Millionen von Jobs verloren gehen, sondern auch ein seit Jahrhunderten tragendes und im Selbstverständnis vieler Menschen fest verankertes Weltbild an seine Grenze gelangt. Die gegenwärtig noch immer dominierende, große Frage "Wie werde ich fit für die Arbeitswelt?" wird notwendigerweise in die Frage "Wie definiere ich mich fernab der Lohnarbeit" umschlagen müssen. Um diesen Perspektivenwechsel - und um die positiven Aspekte darin - geht es auch in Moritz Rinkes aktuellen Roman "Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García". Bevor wir auf Rinkes Erfahrungen mit der diesjährigen Frankfurter Buchmesse eingehen, stellen wir den Roman kurz vor.
Da niemand mehr Briefe schreibt...
Der uns hier vorgestellte Protagonist, eben der titelgebende Pedro Fernández García, erfährt den Perspektivenwandel, von dem gerade die Rede war, hautnah. Pedro arbeitet als Postbote auf Lanzarote. Doch seit der Erfindung des Internets gibt es wesentlich weniger zu tun. Briefe werden kaum noch geschrieben, nurmehr bei den Werbesendungen muss er Hand anlegen. Dadurch allerdings, bleibt ihm viel Zeit. Zeit, die er zumeist mit seinem Sohn Miguel verbringt, mit dem er über historische Vulkanausbrüche spricht und den Geheimnissen seiner Familie auf den Grund zu gehen versucht. Die idyllische Vater-Sohn-Beziehung nimmt allerdings ein jähes Ende. Denn Pedros Frau und große Liebe Carlota verlangt die Trennung. Gemeinsam mit Miguel zieht sie nach Barcelona. Für Pedro bricht eine Welt zusammen. Es wird leer um ihn. Niemand schafft es, den Niedergeschlagenen aus der so plötzlich eingekehrten Farblosigkeit zu befreien - nicht einmal sein Freund Tenor, der als arbeitsloser Fischer sein Dasein fristet. Um seinen Sohn zurückzugewinnen, muss sich Pedro aus seiner Lethargie selbst befreien.
Fußball und Literatur
Natürlich bringt Moritz Rinke auch in diesem Roman seine beiden großen Leidenschaften zusammen. So ist Pedro enthusiastischer Fußballfan, und zugleich begeisterter Leser des Literaturnobelpreisträgers José Saramago, der auf Lanzarote lebte. Auf den Punkt gebracht heißt es im Roman, Saramago sei der "Messi der Bücher".
Verziert ist diese Vater-Sohn-Geschichte mit Ausflügen in die nationalsozialistische Vergangenheit von Pedros Großvaters, der Begegnung mit dem Flüchtling Amado und den daran geknüpften Erzählungen über die Toten am Strand Lanzarotes. Auch der Franco-Zeit wird Aufmerksamkeit geschenkt. Stellenweise hat Rinke hier etwas zu üppig ausgeschmückt. Man bekommt den Eindruck, er sei wäre des Schreibens auf alle möglichen, passenden Themen gestoßen, und hätte diese mit in den Topf geworfen.
Überzeugend aber ist, und so kommen kehren wir an den Anfang zurück, dass das Ausgangsmotiv des Romans die übriggebliebene Zeit ist. Pedro verbringt diese mit seinem Sohn. Auch die Ausflüge in die historische Vergangenheit seiner Familie, das genüssliche Trinken des Café con leche, und letztlich sogar der Kampf um seinen Sohn sind nur in einer Welt möglich, in der uns wesentlich mehr Zeit zur Verfügung steht.
"Die ganze Branche starrt nur aufs Handy"
Der Protagonist in seinem Roman, erzählte Rinke dem Deutschlandfunk Kultur, stehe für eine ganze Reihe ehemals stolzer Postboten, die er in den vergangenen Jahren kennengelernt hat. „Die werden quasi durch die Digitalisierung aus der Welt geworfen. Ein Postbote, den ich kennenlernte, der organisierte ganze Postbotenfamilien für mich.“ wird der Autor in dem Beitrag zitiert.
Darüber hinaus stehe der Postbote in dem Roman auch für die Veränderung der Buchbranche. Auf der Frankfurter Buchmesse habe er erlebt, wir die ganze Branche aufs Handy starrt. Die Debatte rund um Jasmina Kuhnke, die Twitter-Erregung, die Instagram-Posts. Die Buchmesse, so Rinke, scheint sich in diese Accounts verschoben zu haben, dorthin, wo "die wirklichen sogenannten Erregungen (...) stattfinden"
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