Am 14. September erscheint Suzanne Rindells packender Thriller endlich auf Deutsch. Wir haben bereits das Original gelesen.
New York in den 20er Jahren: Die Frauen tragen Bob, Alkohol ist verboten, in illegalen "Speakeasies" wird Charleston getanzt und natürlich trotzdem gesoffen. Inmitten dieser wilden Zeit tritt Rosie eine Stelle als Stenotypistin in einem New Yorker Polizeirevier an. Sie selbst kommt aus einem von Ordensschwestern geführten Waisenhaus und ist moralisch gefestigt erzogen worden. Erstmals in der großen Stadt, erhascht Rosie durch das Protokollieren von Zeugenaussagen einen Blick in tiefste menschliche Abgründe.
Eines Tages fängt die neue Stenotypistin Odalie im Revier an, und Odalie ist anders: In höchster Weise manipulativ, wickelt sie erst die Beamten und dann die Kolleginnen ein, um sich schließlich ausgerechnet die schüchterne Rosie als Busenfreundin auszusuchen. Sie erfährt von Rosies erbärmlicher Unterkunft und lädt sie nach einiger Zeit ein, mit ihr zusammen zu ziehen.
Dass Odalie eigentlich eine Arbeit als Stenotypistin in einem Polizeirevier nicht nötig haben kann, wird schon an ihrer teuren Kleidung klar. Die gemeinsame Wohnung entpuppt sich dagegen sogar als Suite in einem Luxus-Hotel. Rosie lässt sich immer mehr von Odalie einlullen und aushalten und entwickelt eine fast schon krankhafte Obsession zu ihr.
Sie folgt ihr in die verbotenen Untergrund-Lokale und stürzt sich in die schrille, bunte Welt des Charleston, in der sich Odalie mit traumhafter Sicherheit bewegt und Männer wie Frauen in ihrem Sinne orchestriert. Den ausschweifenden Lebensstil erklärt Odalie mit Zuwendungen ihres Vaters. Zwar merkt Rosie, dass die Geschichten ihrer Freundin alles andere als stimmig sind, doch sie steht bereits zu stark ihrem Bann, um sie noch anzweifeln zu wollen.
Odalie ist eine klassische Femme Fatale, die nicht nur eine Leiche im Keller hat, sondern gleich eine ganze Reihe an dunklen Geheimnissen hütet.
Zum Finale gelingt Rindell eine vollkommen überraschende Wende, obwohl sie aus der Sicht von Rosie erzählt, die sich im Nachhinein in der Nervenheilanstalt an ihre Beziehung zu Odalie erinnert. Dabei berichtet Rosie teils fahrig, nimmt Dinge vorweg, lässt anderes aus. Und genau dadurch glaubt der Leser stets, die Entwicklung der Dinge mit wachsendem Entsetzen vorhersehen zu können. Doch die Autorin wendet die Handlung dann doch in eine immer noch dramatischere Richtung. Schließlich erlebt der Leser ein furioses Finale, dessen intelligent konstruiertes, offenes Ende lange nicht loslässt.
Fazit: Natürlich ist das Motiv der Femme Fatale in der Literatur nicht neu - aber was für ein Roman! Suzanne Rindell gelingt es, ein mitreißendes Beziehungsdrama vor dem Hintergrund der Goldenen 20er Jahre im Stile des "Großen Gatsby" zu inszenieren. Die Geschichte von "Die Frau an der Schreibmaschine" ist wie die titelgebende Verführerin selbst: Völlig vereinnahmend. Rosies fatale Obsession für Odalie mit all seinen Wendungen und den geschickt enthüllten Geheimnissen ist über den gesamten Handlungsverlauf spannend und vor allem auch glaubwürdig erzählt. Noch dazu wirkt das Setting des New Yorks der 20er Jahre sorgfältig recherchiert. Es ist kaum möglich, von "Die Frau an der Schreibmaschine" nicht fasziniert zu sein - ein Muss für Fans außergewöhnlicher Thriller.
Für wen eignet sich´s? Lassen Sie sich nicht täuschen: Das Setting des Polizeireviers bedeutet nicht, dass Sie hier einen klassischen Krimi zu erwarten haben. Die Frage lautet also nicht: "Wer war der Täter?" Die Frage lautet: "Das kann doch unmöglich noch schlimmer werden?" Wenn Sie Basic Instinct oder den talentierten Mr. Ripley mochten, ist dieses Buch genau das Richtige für Sie. Aktuell ist "Die Frau an der Schreibmaschine" wegen der Konzentration auf die Beziehungsdrama, das schließlich in der Katastrophe endet, mit Paula Hawkins´ "Girl on the Train" vergleichbar. Nur: "Die Frau an der Schreibmaschine" ist viel spannender.
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