Hecken, Hack und Horst (Ein Grenzland-Noir-Stück aus dem Kapellenweg)

Vorlesen
cms.saavl lesering

An der Grenze wächst der Rasen schneller. Vielleicht, weil hier drei Länder ihre Bürokratie auskippen wie Kompost – und der Mist wirkt offenbar.

Ich wohne im Kapellenweg. Nicht weil ich will, sondern weil ich dachte, dass ein Weg mit „Kapelle“ drin zumindest spirituelle Ruhe verspricht. Aber in Dellenheim bedeutet das nur: der Pfarrer parkt jeden Dienstagvormittag auf meinem Privatparkplatz, weil Gott ja wichtiger ist als meine Autotür.

Die eigentliche Hauptfigur in diesem Kaff ist Horst. Horst ist Gemeindearbeiter, mental irgendwo zwischen Treckerführerschein und Elektroschocktherapie. Er hat mir am ersten Tag meine Blumentöpfe geklaut. Einfach so. Ich dachte erst an Vandalismus. In Dellenheim nennt man das „Sicherung vor sozialem Fehlverhalten“. Blumentöpfe draußen stehen lassen gilt hier als Einladung zum Chaos. Horst war nur „präventiv tätig“, wie der Bürgermeister sagt.

Apropos Bürgermeister: Kaatz. Mit tz. Der Mann sieht aus wie eine schlecht gelaunte Zimmerlinde und regiert mit einem Kugelschreiber, der nie schreibt. Wenn er spricht, klingt es wie eine Mischung aus Verwaltungsakt und Frikadellenrezept. Letzteres immerhin authentisch, denn er riecht konstant nach Hack.

Meine Nachbarin Gisela sagt: „Wer hier lebt, hat irgendwas verbrochen oder aufgegeben.“ Ich glaube, sie meint das als Trost.

Ich habe hier drei Kinder, einen Exmann in Deutschland, einen Lebensgefährten in Belgien und eine gelbe Mülltonne, die nur alle vier Wochen geleert wird. Willkommen im Dreiländereck, wo alles kompliziert ist – außer der Meinung der Nachbarn.

Letzte Woche hatte Horst ein neues Projekt: die Hecken. Es gibt in Dellenheim eine sogenannte Sichtlinienverordnung. Alles, was größer ist als Horsts Augenbrauen, muss weichen. Also stellte er sich mit seiner elektrischen Heckenschere an meine Ligusterwand und sagte, ohne mich anzusehen: „Dat müss fort.“

Ich sagte: „Dat“ ist mein Sichtschutz.
Er sagte: „Hier isset Gemeinde.“
Ich: „Hier isset mein Grundstück.“
Horst: „Ich seh nix mehr. Unfallgefahr.“
Ich: „Vielleicht einfach mal den Gehweg freimachen, statt Pflanzen massakrieren?“ Horst: „Dat klär ich mit dem Kaatz.“

Er klärte es. Mit einer Motorsense.

Jetzt habe ich freien Blick auf Giselas Altkleidercontainer, der sich seit drei Jahren nicht mehr öffnen lässt. Und Gisela hat freien Blick auf mein Küchenfenster, was zu einer drastischen Reduktion meiner Schokoladenration geführt hat. Es ist alles ein Kreislauf der Hölle.

Letzten Donnerstag kam Post vom Amt. Man müsse sich „wegen der wiederholten Unklarheit im Abfalltrennverhalten“ zusammensetzen. Das klingt, als hätte ich radioaktive Kartoffelschalen entsorgt. Dabei war es ein belgischer Joghurteimer mit deutschem Deckel. Aber klar: Dellenheim ist keine Grauzone. Hier herrscht Trennung. Von allem. Kulturell. Biografisch. Verpackungstechnisch.

Ich frage mich manchmal, ob man auch einen Antrag stellen kann auf geistige Integration. Oder ob das schon als Provokation gilt. Neulich hat mich jemand gefragt, ob ich „aus dem Westen“ sei. Ich sagte: „Kommt drauf an, wie rum man schaut.“

Es gibt Tage, da will ich einfach nur verschwinden. Andere Tage schreibe ich dann sowas auf. Und an guten Tagen lächle ich dabei.

Heute ist so ein Tag.
Denn heute hat Horst beim Heckeschneiden die Stromleitung vom Pfarramt getroffen.

Endlich Ruhe. Eure Claire Rouvier


Frau Mitohnesahne.com


Gefällt mir
1
 

Weitere Freie Texte

Freie Texte

Richie Flow: Sommer 2018

Die Taube schwamm im Wasser des Hafenbeckens. Mit zunehmend hektisch anmutenden Flügelschlägen versuchte sie sich aus diesem ihr fremden Element zu befreien. Ohne Erfolg. Das Klatschen der Flügel auf die Wasseroberfläche verstärkte den Eindruck eines verzweifelten und hoffnungslosen Versuchs. Passanten, die an der Hafenpromenade entlang gingen, blieben stehen. Erst wenige, dann immer mehr, bis eine Gruppe von 20 oder mehr Menschen das Schauspiel betrachteten – Männer, Frauen und Kinder ...
Freie Texte

Claudia Dvoracek-Iby: Das Mädchen

„Übrigens“, Cocos Hundesitterin setzt sich unaufgefordert auf die Bank zu mir, „heute hat mir die Reinweiß eiskalt mitgeteilt, dass ich vorläufig“ - sie zeichnet Anführungszeichen in die Luft - „nicht mehr gebraucht werde. Ab morgen kommt jemand anders mit Coco hierher. Eine junge Ukrainerin. Die Reinweiß haben sie bei sich aufgenommen. Naja, Platz und Geld haben die ja mehr als genug. Aber wie sich die Reinweiß mit ihrer guten Tat brüstet - zum Kotzen ist das! Ich habe gehört, wie sie ins ...
Freie Texte

Tamás Fajta: Paris – allen Vorurteilen zum Trotz

Ja, ich war in Paris – allen Vorurteilen zum Trotz. Mit Vorurteilen meine ich das, was ich aus zweiter Hand über die französische Hauptstadt gehört habe. Jene zweite Hand gehörte Jakob Fleischberg, einem damaligen Freund von mir, der Paris samt Freundin besucht hatte. Er erzählte uns an einem Stammtisch-Donnerstag von seinen Erfahrungen. Ich breche das Gesagte kurz runter: Die Franzosen sind unhöflich und sprechen kein Englisch, die Stadt sei dreckig und der Verkehr ...
Freie Texte

Die Himmelsreisen des Träumers

Auf einer Wiese liegend betrachte ich die Gestalten des Himmels. Sie verändern dauernd ihre Formen und Farben, der Wind des Frühlings bringt sie in unbekannte Welten In meinen Träumen folge ich ihnen, dabei gelange ich an besondere Orte in meiner Erinnerung. Mein jüngeres Ich betrachte ich wohlwollend und lächle über seine Sorgen, weil sie mir heute teilweise fremd erscheinen. Zur gleichen Zeit fühle ich mich beobachtet, als ich mich umsehen will, blenden mich die Sonnenstrahlen, sie ...
lesering
Freie Texte

Gabriele Ejupi: Unser Eis schmilzt – Eine Botschaft aus dem Norden

Weit oben, wo der Himmel manchmal in bunten Farben leuchtet, lebt Tobi, ein kleiner Eisbär, mit seiner Familie. Er ist neugierig, verspielt und liebt es, morgens mit der kalten Schnauze über den frostigen Boden zu gleiten. Der Schnee knirscht unter seinen Tatzen, die Welt ist weiß, klar und endlos. Für Tobi ist jeder Tag ein neues Abenteuer. Jeder Sonnenstrahl, der durch den Dunst bricht, ein Wunder. Jedes Knacken des Eises unter seinen Pfoten, eine Melodie seines ...

Aktuelles