Tage am See

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29.05.2022 II

Und manchmal sind die grauen Regentage um einiges schöner als so mancher Sonnentag. Wenn der Wind die Wolken hoch oben jagt und der beruhigend gleichmäßige Regen auf das Immergrün der Birken prasselt, dann geht mein Herz auf und meine Seele atmet endlich wieder auf. Wie nach einem langen Luftanhalten. Und die kleinen Stücke Himmelblau, die zwischen den Grautönen hervorschimmern, lassen auf den kommenden Sommer erahnen. Ein Sommer voller Erinnerungen an Freundschaft und junggebliebene Seelen, welche sich schon so lange im Leben begleiten und sicherlich immer ein Teil des Anderen sein werden. Auf der stiller werdenden Wasseroberfläche jagen sich die seichten Wellen, während die Wolkentürme sich spiegeln und das Wasser in eine Parallelwelt verwandeln, welche von unsereins wohl niemals betreten wird. Ach, wie schön sind doch die grauen Regentage, wenn die Welt leiser erscheint und die Natur mich tröstet in meiner Melancholie und mir den Schmerz für einen Moment nimmt. Sodass mich eine friedliche Stille erfasst und mich von innen erfüllt. Und Hoffnung auf Glück sich, wie ein warmer Sonnenstrahl oder ein wärmendes Feuer an einem kalten Wintertag, in mir ausbreitet. Oh, wie schön kann ein Augenblick an einem regnerischen Tag im Mai sein. Mir geht das Herz auf.

26.07.2022

Der See ist fast leer. Und ich muss beinahe weinen. Das wenige Wasser, welches übrig bliebt, steht wie unter Strom, all das Leben eines ganzen Sees tummelt sich darin. Von der Weite blieb nur ein Stück, mit wenig Raum für Leben. Existenz auf kleinsten Raum und kein Platz für die Gedanken. Keine Freiheit für niemand. Traurigkeit erfüllt mich, als ein gehetztes Reh über, einst von Wasser bedeckter, Erde läuft. Die sengende Hitze der Sonne reißt Risse in staubtrockene Erde und verleiht auch meinem Gefühl innerer Zerrissenheit Ausdruck. Mit müden Augen blicke ich auf die kreisenden Reiher, die stetig auf der Suche scheinen; so, wie meine Seele ruhe- und rastlos – versunken im ermüdenden Ziehen der immergleichen Kreise. Müde fühlt sich auch mein Herz heute an, zerfurcht durch trostlöse Ödnis im Angesicht der schwerwiegenden Tatsache, dass unbeschwerte Zeiten hinter und nicht vor uns liegen.

17.09.2022

Der Sommer neigt sich langsam dem Ende und zwischen dem Grün, leuchtet erstes herbstliches Gelb an den Bäumen. Der Wind nimmt an Kraft zu und die Brise ist erfüllt von der knisternden und sehnlich erwarteten Kühle, die der früher Herbst mit sich bringt. Der, sonst so sanfte Tanz des Schilfs weicht einem fast schon ehrfurchtsvollen Neigen und die Wolkentürme wirken riesig im Blassblau des Himmels. Ich fühle mich, als könnte ich endlich wieder atmen, als wäre ich aus einer Trance erwacht, die mich erstarren ließ. Die Strahlen der Sonne, welche zwischen Wolkenfetzen hervorscheinen, wärmen mein Gesicht und ich schließe die Augen, lausche der Melodie der Bäume im Wind und dem fernen Kinderlachen am Ufer gegenüber. Von mir fällt die erdrückende Schwere des Sommers ab und ich weiß, hier gehöre ich hin. Zwischen den ersten Herbstfarben und der Natur, welche mir die friedliche Ruhe bringt. Ruhe, die bis in mein Innerstes dringt und jede meiner Fasern und Furchen erfüllt; mich erfüllt mit glimmendem Gold. […] Das Gefühl, dass ich genau hierhin gehöre, wenn der Herbst sich ankündigt und der Sommer langsam weicht, lässt mein Herz leichter werden. Die befreiende Friedlichkeit nimmt in meiner Seele Platz und ein Lächeln umspielt meine Lippen, während ich den Blick über die Landschaft schweifen lasse.

20.09.2022

So tröstlich die Nacht, welche nur mir gehören zu scheint. Sanft wandet sie mich in ihrem tiefblauen Gefieder und hüllt mich ein, in ihrer friedliche Ruhe. Erfasst meine Seele und spendet meinem geschundenen Herzen Wärme, welche mich von innen erfüllt. Die Nacht ist es, welche mir neue Dimensionen eröffnet, wenn ich meinen Blick hebe, und die unzähligen Sterne und die Unendlichkeit erblicke; die in meinem Dasein die Sehnsucht wecken und mich träumen lassen. Träume vom Auflösen in Atome, welche mit der Unendlichkeit eins werden und mich wieder vereinen mit den Seelen, die schon voraus gegangen sind. Und meine Lunge füllt sich mit der Luft der ersten kühlen Herbstnächte, während ich still dastehe und mich verliere im Augenblick meiner Träumereien. Warme Luftzüge entweichen meiner Lunge und hinterlassen kleine Wolken, die sich kurz darauf ins Nichts auflösen und mein Blick wandert über die leeren Straßen der Kleinstadt. Eine Melancholie erfasst mich, als ich der Nacht meinen Rücken zuwende, die helle Stube betrete und ich die betörende Wärme eines Zuhauses wieder auf meiner Haut spüre. Entschlüpfe dem Gefieder der Nacht zurück in die Realität meines Seins, in der ich es nicht wage die Träume der Nacht auszusprechen. Und während im Osten schon der blasse Morgen ankündigt, schließe ich die Tür. Auf dass eine neue Nacht mich zu trösten vermag.

25.09.2022 I

Unter meinen Fü.en ziehen die Wurzeln sich durch die Erde. Ein Muster aus knotigen, moosbedeckten und feuchten Linien aus Holz, keine gleicht der anderen und doch ergeben sie eine Art Harmonie, welche mich traurig stimmt. Zwischen all den vertrockneten Tannennadeln und den gelb verfärbten Birkenblättern, haben sie ihren Platz gefunden, in einer Gemeinschaft. Die Äste ihrer Bäume über mir tanzen im Wind und Schatten weichen dem Sonnenlicht, welches mein Gesicht wärmt. Währenddessen nimmt in mir die Dunkelheit erneut Platz und gräbt sich, wie Wurzeln durch mich hindurch. Traurigkeit schnürt mir die Kehle zu und die Furcht vor dem was kommt, lässt meine Hände erzittern. Viel zu lange hat die Dunkelheit auf sich warten lassen und ich bin mir sicher, dass es schwer zu ertragen sein wird. Die Furcht fließt durch meine Adern, vergiftet mich und die Wurzeln der Dunkelheit reißen die Wunden erneut auf, lässt mich bluten und erinnert mich daran, dass die Furchen in meinen Knochen und meiner Seele nicht verschwunden sind. Erneut zeigt sie mir, dass ich nicht frei davon bin und noch immer der Gefangene meines Daseins bin. Ich schließe die Augen, die es Leid sind, die Welt sehen zu müssen und hinter meinen geschlossenen Lidern, nimmt die Dunkelheit auch in meinem Kopf Platz. Sie breitet ihre Schwingen aus und mit ihren Klauen reißt sie sich die guten Momente aus meinen Erinnerungen, lässt nicht übrig für mich und frisst alles in sich hinein in ihrem unersättlichen Hunger. Übrig bleibt bloß Leere [und Dunkelheit]. Ich wappne mich; so gut es geht und hoffe, dass es schnell vorüber geht; unrelevant, ob ich am Ende dann noch da bin oder nicht. Alles wäre Erlösung von dieser bestialischen Dunkelheit. Oh, wie viele unzählige Male war ich hier, hier an diesem Punkt, welcher mich immer und immer wieder wünschen lässt, es möge nur endlich vorbei sein und nicht wiederkommen. Wie oft sehnte ich mich nach Erlösung in der Unendlichkeit, durch die Auflösung meines Seins zu Staub. Wie sehr wünschte ich mir die Freiheit, der wild rauschenden Wellen des Meeres, die mich verschlingen sollten und mich hinaustreiben in das dunkle Blau der Tiefe. Und doch sitze ich hier, starre auf Wurzeln unter meinen Füßen und ertrage es erneut.

10.10.2022

Über mir jagen sich die Wolken und die Sonne hat noch immer ihre Wärme nicht verloren. Das Wasser schlägt stetig in kleinen Wellen an das Ufer und die Brise lässt die gelben Blätter am Uferrand tanzen. Der goldene Oktober hat seinen Namen nicht umsonst, Das beständige Treiben auf den Wegen rund um den See, zeigt wie sehr wir doch solche Tage schätzen. Doch meine Anspannung vermag sich nicht aufzulösen, hat sich an meinen Schultern festgekrallt und zerrt diese schmerzhaft nach oben. Selbst das Glitzern der Sonne auf der Wasseroberfläche kann mir nicht das Gefühl von Leichtigkeit vermitteln und ich schaffe es nicht die Natur hereinzulassen. Die erlösende Wirkung der Einfachheit der Natur bleibt aus; meine Seele fühlt sich nicht befreit. Ein Jammer.

23.10.2022

Ich wandere über laubbedeckte Wege, welche nach all der Zeit ihren Platz fanden, zwischen See und Wald. Zwischen buntverfärbten Baumkronen findet die Sonne ihren Weg und malt Bilder aus Licht und Schatten auf kühle, feuchte Erde. Ich lasse meinen Blick und die Gedanken wandern; mich erfüllt eine friedliche Stille, welche mich von innen nach außen wärmt. Sie ist wie ein Kontrast zur kalten Brise, die über das Blätterdach hinweg gleitet. Ich suche mir einen Platz in der Herbstsonne und schließe die Augen für den Moment. Ich spüre die Wärme auf meinem Gesicht und die Haarsträhnen, die meine Nase kitzeln; lausche den fernen Stimmen, welche der Wind vom Ufer gegenüber, zu mir trägt. Meine Hand liegt auf meiner Brust und ich fühle die Bewegung meiner Atemzüge; sie sind tief und ruhig. Glückseligkeit breitet sich langsam unter meine Handfläche aus, als mir bewusst wird, dass ich hier in diesem Moment bin.

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